»Himmel, nein! Ich bin putzmunter.«
Niemand wollte in diesem Platzregen aufbrechen, doch Sharpe war entschlossen, jede Stunde der Dunkelheit zu nutzen, um zum Douro zu gelangen. Es bestand die Möglichkeit, ihn morgen Mittag zu erreichen, erst dann würde er den Männern eine Rast gönnen, während er am Fluss eine Möglichkeit zum Überqueren erkundete.
»Tornister aufschnallen!«, befahl er. Er beobachtete Williamson und suchte nach Anzeichen für Widerwillen, doch der Mann machte sich ebenso wie die anderen bereit, ohne zu murren. Vicente hatte Weinkorken verteilt, und die Männer schoben sie in die Mündungen ihrer ungeladenen Gewehre oder Musketen. Es gab einiges Murren, als Sharpe die Männer aus dem Stall und den Abmarsch befahl, aber sie folgten ihm in den Wind und strömenden Regen.
Sharpe war schon nach ein paar Hundert Yards bis auf die Haut durchnässt, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass keine Franzosen in diesem Sauwetter unterwegs sein würden. Das letzte Licht des Abends verblasste schnell, und die Wolken, die sich jetzt schwarz über der Ruine des Wachturms ballten, verschmolzen mit der Schwärze ringsum. Sharpe folgte einem Pfad, der um die westliche Seite des Hügels herumführte, und blickte zu dem alten Mauerwerk empor. Er dachte an all die Arbeit, die er und seine Männer dort geleistet hatten.
Er rief zum Halten, damit die Letzten in der langen Linie aufschließen konnten. Daniel Hagman hielt sich offensichtlich gut. Harper, an dessen Koppel zwei Ziegenkeulen hingen, kletterte zu Sharpe auf den Felsvorsprung und beobachtete mit ihm das Eintreffen der Männer. »Verdammter Regen«, maulte der Sergeant.
»Er wird bald aufhören.«
»Sagte der Optimist zum Pessimisten«, bemerkte Harper.
In diesem Augenblick sah Sharpe das Schimmern von Licht in den Weingärten. Es war kein Blitz, es war zu schwach, zu klein und zu nahe am Boden, aber er wusste, dass er sich den Lichtschimmer nicht eingebildet hatte, und er verfluchte Christopher, der ihm sein Fernrohr gestohlen hatte. Er starrte auf die Stelle, an der er den Lichtschein kurz gesehen hatte, doch da war jetzt nichts mehr zu erkennen.
»Was ist?«, fragte Vicente, der sich zu ihnen gesellt hatte.
»Ich glaube, ein Licht gesehen zu haben«, sagte Sharpe.
»Das war wohl nur der Regen«, meinte Harper.
»Vielleicht war es ein Stück zerbrochenes Glas«, sagte Vicente. »Ich habe mal romanische Scherben auf einem Feld bei Entre-dos-Rios gefunden. Da lagen zwei zerbrochene Vasen und einige Münzen von Septimius Severus.«
Sharpe hörte nicht hin. Er beobachtete die Reihen der Reben.
»Die Münzen habe ich dem Seminar in Oporto gegeben«, fuhr Vicente fort und hob die Stimme, um im Rauschen des Regens gehört zu werden, »denn die Pater unterhalten dort ein kleines Museum.«
»Bei Dunkelheit scheint keine Sonne, und es kann nichts im Regen reflektieren«, sagte Sharpe. Aber da hatte etwas reflektiert, und er hatte etwas schimmern gesehen. Er suchte die Hecke zwischen den Reihen der Reben ab, und da sah er es wieder. Er fluchte.
»Was ist es?«, fragte Vicente.
»Dragoner«, sagte Sharpe, »Dutzende von den Bastarden zu Fuß, die uns beobachten.« Der Lichtschimmer - von einer Fackel? - war von einem Messinghelm reflektiert worden. Es musste einen Riss in der Stoffummantelung des Helms sein, und der Mann hatte wie ein Leuchtsignal gewirkt, als er an der Hecke entlanggeschlichen war. Aber jetzt, nachdem Sharpe die erste grüne Uniform zwischen den Reben entdeckt hatte, glaubte er Dutzend weitere zu erkennen.
Widerwillig empfand er Bewunderung für einen Feind, der sich bei Dunkelheit und Regen anschlich. Er reimte sich zusammen, dass sich die Dragoner Vila Real de Zedes im Laufe des Tages genähert hatten und ihm das entgangen war. Ihnen war nicht die Bedeutung der Arbeit auf der Hügelkuppe entgangen, und sie mussten wissen, dass der Hügel seine Zuflucht war.
»Sergeant!«, befahl er Harper. »Den Hügel rauf! Sofort! Schnell!«
Und er betete, dass es nicht zu spät war.
Colonel Christopher mochte die Regeln neu bestimmt haben, aber die Schachfiguren konnten sich nur auf die bekannte Weise bewegen. Sein Wissen um die Züge erlaubte ihm jedoch, vorauszuschauen, und das konnte er besser als die meisten.
Es gab zwei mögliche Ergebnisse der Invasion in Portugal. Entweder würden die Franzosen siegen, oder - weit unwahrscheinlicher - die Portugiesen mit ihren britischen Verbündeten würden irgendwie mit Soults Streitkräften fertig werden.
Wenn die Franzosen siegten, dann würde Christopher der Eigentümer von Savages Häusern, ein vertrauenswürdiger Verbündeter der neuen Herren des Landes und unglaublich reich sein.
Wenn die Portugiesen und ihre britischen Verbündeten gewannen, dann würde er Argentons pathetische Verschwörung nutzen, um zu erklären, weshalb er in feindlichem Gebiet geblieben war, und den Zusammenbruch der geplanten Meuterei als Ausrede für das Scheitern seiner Pläne nutzen. Und dann brauchte er in dem Schachspiel nur ein paar seiner Bauern zu opfern, um Savages Besitz zu behalten, der ihn unglaublich reich machen würde.
Er konnte also nicht verlieren, solange die Bauern taten, was sie tun sollten, und einer dieser Bauern war Major Henri Dulong, der stellvertretende Kommandeur der 31. Leger, ein Regiment der erstklassigen französischen Leichten Infanterie in Portugal. Die 31. wusste, dass sie gut war, aber keiner der Soldaten war Dulong ebenbürtig, der in der gesamten Armee berühmt war. Er war hart, wagemutig und ruhelos, und an diesem windigen und regnerischen Maiabend war es seine Aufgabe, mit seinen voltigeurs den südlichen Pfad hinaufzumarschieren, der zum Wachturm auf dem Hügel oberhalb der Quinta führte. Nehmen Sie diese Höhe ein, hatte Brigadier General Vuillard erklärt, und die zusammengestoppelte Horde in Vila de Zedes kann nirgendwo mehr hin. Während die Dragoner das Dorf und das Haus von Savage umzingelten, würde Major Dulong den Hügel einnehmen.
Es war Brigadier General Vuillards Idee gewesen, bei Einbruch der Dunkelheit anzugreifen. Die meisten Soldaten würden einen Angriff im Morgengrauen erwarten, aber es war Vuillards Überzeugung, dass die Männer spät am Tag weniger aufmerksam sein würden. »Sie freuen sich auf Wein, Weiber und eine warme Mahlzeit«, hatte er Christopher erklärt und dann die Zeit für den Angriff auf Viertel vor acht am Abend festgelegt. Die Sonne würde ein paar Minuten zuvor untergehen, doch das Zwielicht würde bis halb neun herrschen. Aber die Wolken hatten sich als so dicht erwiesen, dass Vuillard ein nennenswertes Zwielicht bezweifelte. Nicht, dass es etwas ausmachte, Dulong hatte sich eine gute Breguet-Uhr geliehen und versprochen, dass seine Männer um Viertel vor acht auf dem Wachturm sein würden, genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Dragoner sich dem Dorf und der Quinta näherten. Die verbleibenden Kompanien der 31. Leger würden zuerst durch den Wald aufsteigen und dann von Süden auf die Quinta hinabstoßen. »Ich bezweifle, dass Dulong auf irgendwelchen Widerstand stoßen wird«, sagte Vuillard zu Christopher, »und darüber wird er unglücklich sein. Er ist ein blutrünstiger Hundesohn.«
»Sie haben ihm gewiss die gefährlichste Aufgabe zugeteilt?«
»Aber nur, wenn der Feind oben auf dem Hügel ist«, sagte der Brigadier General. »Ich hoffe sie zu überraschen, Colonel.«
Und für Christopher hatte es den Anschein, dass Vuillards Hoffnungen berechtigt waren, denn um Viertel vor acht fielen die Dragoner in Vila de Zedes ein und stießen fast auf keinen Widerstand. Ein Donnerschlag begleitete den Angriff, ein Blitz zuckte über den Himmel, und die langen Schwerter der Dragoner glänzten silbern. Eine Hand voll Männer feuerte mit Musketen aus der Taverne neben der Kirche, und Vuillard erfuhr später bei den Verhören der Überlebenden, dass sich eine Partisanenbande im Dorf erholt hatte. Eine Hand voll davon entkam, acht wurden getötet, und ein Dutzend, einschließlich ihres Anführers, der sich selbst »Der Schullehrer« nannte, wurde gefangen genommen. Zwei von Vuillards Dragonern wurden verwundet.