KAPITEL 6
»Was Sie wirklich wollten«, sagte Leutnant Pelletieu, »ist ein Mörser.«
»Ein Mörser?« Brigadier General Vuillard war erstaunt über das Selbstbewusstsein des Leutnants. »Sie wagen es, mir zu sagen, was ich wollte?«
»Was Sie wollen, ist ein Mörser«, sagte Pelletieu überzeugt. »Es ist eine Frage der Richthöhe, Sir.«
»Es ist eine Frage, Leutnant, Tod, Horror und Verdammnis auf die frechen Bastarde auf dem gottverdammten Hügel zu schießen!« Vuillard wies zum Wachturm hinauf. Er stand am Waldrand, wo er Leutnant Pelletieu aufgefordert hatte, seine Haubitze abzuprotzen und mit dem Beschuss anzufangen. »Reden Sie mir nicht von Richthöhe! Ich rede vom Töten!«
»Töten ist unser Geschäft, Sir«, sagte der Leutnant, unbeeindruckt vom Ärger des Brigadier Generals, »aber ich muss näher an die frechen Bastarde ran.« Er war ein so junger Mann, dass Vuillard sich fragte, ob er sich schon zu rasieren begonnen hatte. Er war auch dünn wie eine Bohnenstange, so dünn, dass seine weiße Hose, die weiße Weste und der dunkelblaue lange Rock an ihm hingen wie Kleidungsstücke, die man über eine Vogelscheuche drapiert hatte. Der lange, dünne Hals ragte aus dem steifen blauen Kragen, und auf seiner langen Nase saß eine dicklinsige Brille, die ihm das unglückliche Aussehen eines halb verhungerten Fischs verlieh, doch es war ein bemerkenswert selbstsicherer Fisch, der sich jetzt dem Feldwebel zuwandte. »Zwei Pfund auf zwölf Grad, meinen Sie nicht? Aber nur, wenn wir auf dreihundertfünfzig Klafter gehen können.«
»Klafter?« Der Brigadier General wusste, dass Kanoniere die alte Maßeinheit benutzten, aber er konnte nichts damit anfangen. »Warum, zur Hölle, können Sie nicht normal sprechen?«
»Dreihundertfünfzig Klafter, das sind ...« Pelletieu runzelte die Stirn und rechnete.
»Sechshundertachtzig Meter«, warf sein Feldwebel, ebenso dünn, blass und jung wie Pelletieu, ein.
»Sechshundertzweiundachtzig«, korrigierte Pelletieu heiter.
»Dreihundertfünfzig Klafter«, überlegte der Feldwebel laut. »Zwei Pfund Ladung? Zwölf Grad? Ich denke, das wird reichen, Sir.«
»Jedoch nur so gerade«, sagte Pelletieu. Dann wandte er sich wieder an den Brigadier General. »Das Ziel ist hoch, Sir«, erklärte er.
»Ich weiß, dass es hoch ist«, sagte Vuillard mit mühsam erkämpfter Beherrschung. »Das haben Hügel manchmal so an sich.«
»Und jeder denkt, Haubitzen können Wunder auf erhöhte Ziele bewirken«, fuhr Pelletieu fort und ignorierte Vuillards Sarkasmus, »aber sie sind nicht auf mehr als zwölf Grad Winkel von der Horizontalen ausgelegt. Ein Mörser kann einen viel höheren Winkel erreichen, aber ich nehme an, der nächste Mörser befindet sich in Oporto.«
»Ich will die Bastarde nur tot sehen!«, grollte Vuillard und wollte sich abwenden, doch dann fuhr er wieder herum, als ihm eine Erinnerung kam. »Und warum keine drei Pfund Ladung? Die Kanoniere benutzten Ladungen von drei Pfund bei Austerlitz.« Er war versucht hinzuzufügen »... bevor Sie geboren wurden«, hielt sich jedoch gerade noch zurück.
»Drei Pfund!« Pelletieu schnappte sichtlich nach Luft, während sein Feldwebel über die Unwissenheit des Brigadier Generals die Augen verdrehte. »Sie hat ein Nantes-Rohr, Sir.« Pelletieu fügte eine für Vuillard rätselhafte Erklärung hinzu und klopfte auf die Haubitze. »Sie wurde im Mittelalter gemacht, also vor der Revolution, und sie ist nachlässig gegossen. Ihr Partner flog vor drei Wochen in die Luft, Sir, und tötete zwei von der Mannschaft. Da war ein Luftloch im Metall, einfach schreckliches Gießen. Sie ist nicht sicher über zwei Pfund hinaus, Sir, einfach nicht sicher.«
Haubitzen wurden für gewöhnlich in Paaren benutzt, doch die Explosion vor drei Wochen hatte Pelletieus Haubitze als Einzige in ihrer Batterie übrig gelassen. Es war ein sonderbar aussehendes Geschütz, das wie eine Spielzeugwaffe wirkte, die sich auf einer Lafette duckte. Das Rohr befand sich zwischen Rädern von der Höhe eines Mannes, doch die kleine Waffe war zu etwas fähig, was keine andere Feldwaffe konnte - in hohem Bogen feuern. Feldwaffen wurden selten auf mehr als ein, zwei Grad eingestellt und hatten eine flache Flugbahn, doch die Haubitze schoss so hoch, dass sie über Verteidigungswälle oder befreundete Infanterie hinweg den Feind traf. Weil ein in hohem Bogen gefeuertes Geschoss bei der Landung sofort liegen blieb, feuerten die Haubitzen kein massives Geschoss. Ein normales Feldgeschütz konnte sich darauf verlassen, dass sein Geschoss hüpfte und hüpfte und selbst nach dem vierten oder fünften Aufprall am Boden immer noch so viel Wucht hatte, dass es den Feind verstümmeln oder töten konnte, doch das Geschoss einer Haubitze, das steil in die Luft gefeuert wurde, bohrte sich beim Herabfallen ins Erdreich und richtete nachträglich keinen Schaden mehr an. So feuerten die Haubitzen Granaten mit Zündern ab, die explodierten, wenn das Geschoss landete.
»Neunundvierzig mal zwei, Sir«, sagte Pelletieu, als Vuillard fragte, wie viele Geschosse für sein Geschütz zur Verfügung standen, »weil wir den Munitionswagen für die andere Haubitze ebenfalls dabeihaben. Achtundneunzig Granaten und zweiundzwanzig Kartätschenmunition.«
»Vergessen Sie die Kartätschen«, sagte Vuillard. Kartätschenmunition, die wie Entenschrot aus dem Rohr schoss, wurde gegen Soldaten im Gelände benutzt, nicht für Infanterie, die versteckt zwischen Felsen lag. »Feuern Sie die Granaten auf die Bastarde, und wir werden weitere Munition holen lassen, wenn ihr sie braucht. Was nicht nötig sein wird«, fügte er hinzu, »weil ihr die Bastarde killen werdet, nicht wahr?«
»Deshalb sind wir hier«, sagte Pelletieu glücklich. »Und mit Verlaub, Sir, wir werden keine Witwen machen, indem wir hier rumstehen und reden. Am besten wähle ich jetzt einen Platz, um sie einzusetzen, Sir. Feldwebel! Schaufeln!«
»Schaufeln?«, echote Vuillard.
»Wir müssen den Boden ebnen, Sir«, sagte Pelletieu, »weil Gott nicht an die Pioniere gedacht hat, als er die Welt erschuf. Aber wir sind sehr gut darin, seine Schöpfung auszugleichen.«
Colonel Christopher hatte die Haubitze inspiziert, doch jetzt nickte er zu Pelletieu hin, der davonging. »Schicken sie jetzt Schuljungen, um unsere Kriege zu führen?«
»Er scheint sein Geschäft zu verstehen«, gab Vuillard widerwillig zu. »Ist Ihr Diener wieder aufgetaucht?«
»Der verdammte Kerl ist immer noch verschwunden. Musste mich heute selbst rasieren!«
»Selbst rasieren, welche Schande«, bemerkte Vuillard amüsiert. »Das Leben kann manchmal hart sein.«
Und bald, dachte er, wird es mörderisch hart für die Briten und Portugiesen auf dem Hügel.
Bei Tagesanbruch, als die Regenwolken südostwärts abzogen und immer noch der Wind um den gezackten Gipfel wehte, entdeckte Dodd die Flüchtlinge auf dem nördlichen Hügelhang. Sie duckten sich zwischen die Felsen, versteckten sich offensichtlich vor den französischen Posten, die den Rand des Waldes säumten. Es waren sieben, allesamt Männer. Sechs waren Überlebende von Manuel Lopes' Bande, und der siebte war Luis, Christophers Diener.
»Es ist der Colonel«, hatte er Sharpe erzählt.
»Wer ist was?«
»Colonel Christopher. Er ist dort unten. Er hat sie hergebracht und den Franzosen gesagt, dass Sie hier sind!«
Sharpe starrte hinunter zum Dorf, wo ein verkohlter Haufen anzeigte, wo die Kirche gestanden hatte. »Er ist ein Hurensohn«, sagte er ruhig, aber es überraschte ihn nicht. Er gab sich nur die Schuld, dass er so lange gebraucht hatte, um zu erkennen, dass Christopher ein Verräter war. Er befragte Luis weiter, und der Diener erzählte ihm von der Reise nach Süden und von dem Treffen mit General Cradock, von der Dinnerparty in Oporto, wo ein französischer General der Ehrengast gewesen war, und dass Christopher manchmal eine Uniform des Feindes trug, aber Luis gab ehrlich zu, dass er nicht wusste, welche Fäden der Colonel spann. Er wusste nicht, dass Christopher Sharpes gutes Fernrohr in seinen Besitz gebracht hatte. Luis hatte es geschafft, dem Colonel sein altes Fernrohr zu stehlen, und das präsentierte er jetzt Sharpe mit triumphierendem Lächeln.