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»Dann sterben wir alle«, sagte Sharpe und stellte sich vor, wie das plumpe Geschütz die Geschosse in den Himmel schickte und sie dann fast vertikal auf seine Position herunterfielen. »Wir alle kommen ums Leben«, wiederholte er, »oder wir rennen weg und werden gefangen genommen.«

Vicente machte wieder das Kreuzzeichen. Diese Geste hatte er in den ersten Wochen ihrer Begegnung überhaupt nicht gemacht, aber je mehr er sich von seinem Leben als Anwalt entfernt hatte, desto öfter verfiel er in die alten Gewohnheiten. Er begann zu lernen, dass das Leben nicht vom Gesetz oder von der Vernunft kontrolliert wurde, sondern vom Glück und dem blinden, gefühllosen Schicksal.

»Ich kann keine Kanone sehen«, gab er schließlich zu.

Sharpe wies auf den französischen Arbeitstrupp. »Diese Scheißer richten eine kleine, ebene Plattform her, damit sie richtig zielen können«, erklärte er. »Man kann kein Geschütz von einem Hang abfeuern, nicht, wenn man treffsicher sein will.« Er ging ein paar Schritte den nördlichen Pfad hinunter. »Dan!«

»Sir?«

»Stellen Sie fest, wo die Bastarde eine Kanone aufstellen. Und wie weit entfernt das ist.«

Hagman, versteckt in einer Felsmulde, hob den Kopf über den Rand und spähte hinab. »Um die achthundert Schritte, Sir. Zu weit.«

»Können wir es versuchen?«

Hagman zuckte mit den Schultern. »Ich kann einen Schuss auf diese Entfernung versuchen, aber vielleicht kann ich das auf später verschieben?«

Sharpe nickte. Besser, die Schussweite der Gewehre den Franzosen erst zu verraten, wenn die Dinge verzweifelter waren.

Vicente blickte Sharpe wieder verwirrt an, und so erklärte er es ihm. »Eine Gewehrkugel reicht so weit, aber es kann nur ein Meisterschütze mit Glück auf diese Entfernung treffen. Dan ist nahe an einem Meisterschützen dran.« Er dachte daran, sich mit einem kleinen Trupp Schützen den Hang hinabzuschleichen, denn auf drei- oder vierhundert Yards konnten sie viel Schaden bei einer Geschützmannschaft anrichten, doch bei dieser Entfernung würde die Geschützmannschaft mit Kartätschenfeuer antworten, obwohl der Hang mit Steinen übersät war, die jedoch zu klein waren, um einem Schutz vor Kartätschenbeschuss zu bieten. Wenn sie den Hügel hinuntergingen, würde Sharpe Soldaten verlieren. Er würde es trotzdem tun, wenn sich das Geschütz als Mörser herausstellen sollte. Er konnte nur beten, dass es kein Mörser war.

Eine Stunde nachdem der Arbeitstrupp mit dem Errichten einer ebenen Plattform begonnen hatte, tauchte das Geschütz darauf auf, und Sharpe sah, dass es eine Haubitze war. Das war schlimm genug, aber es gab ihm und seinen Männern eine Chance, denn ein Haubitzengeschoss kam in einem schrägen Winkel, und seine Männer würden auf der Hügelkuppe hinter den dickeren Felsbrocken sicher sein.

Vicente lieh sich das kleine Fernrohr und beobachtete, wie die Kanoniere das Geschütz abprotzten und die Munition vorbereiteten. Ein Munitionswagen, dessen langer, sargähnlicher Deckel gepolstert war, sodass die Kanoniere darauf mitfahren konnten, war geöffnet worden, und man hatte die Pulversäcke und Geschosse auf dem geebneten Boden aufgeschichtet.

»Es sieht wie ein sehr kleines Geschütz aus«, sagte Vicente.

»Es hat kein langes Rohr«, erklärte Sharpe. »Es ist keine Präzisionswaffe. Es schleudert nur Geschosse auf uns. Das ist laut, aber wir werden es überleben.« Er sagte das, um Vicente aufzuheitern, aber er war nicht so zuversichtlich, wie er klang. Zwei oder drei Glückstreffer konnten seine Männer dezimieren, doch das Eintreffen der Haubitze hatte ihre Gedanken von der misslichen Lage abgelenkt, und sie beobachteten die Vorbereitungen der Kanoniere. Etwa fünfzig Schritte vor der Haubitze war eine kleine Flagge aufgestellt worden, vermutlich damit geschätzt werden konnte, wie der Wind die Flugbahn der Geschosse beeinflusste. Sharpe sah durch das Fernrohr, dass Keile unter das kurze Rohr gehämmert wurden. Feldgeschütze wurden für gewöhnlich mit Schrauben korrigiert, doch bei dieser Haubitze benutzte man die altmodischen hölzernen Keile. Sharpe nahm an, dass der dünne Offizier, der das Kommando über die Geschützcrew hatte, die größten Keile benutzen ließ, um die größtmögliche Richthöhe einzustellen, sodass die Geschosse in die Felsen auf dem Gipfel des Hügels fallen würden. Die ersten Pulversäcke wurden zum Geschütz gebracht, und Sharpe sah, dass der Offizier die Lunte vorbereitete.

»In Deckung, Sergeant!«, brüllte Sharpe.

Jedermann hatte einen zugeteilten Platz, der von den großen Felsblöcken gut geschützt war. Die meisten der Schützen waren hinter den Steinwällen, aber ein halbes Dutzend, einschließlich Sharpe und Harper, hielt sich im alten Wachturm auf, bei einem Treppenschacht, der einst zu den Brustwehren geführt hatte. Nur vier der Stufen waren übrig geblieben, und sie führten zu einem klaffenden Loch im Mauerwerk der nördlichen Wand. Dort postierte sich Sharpe, damit er sehen konnte, was die Franzosen taten.

Das Geschütz verschwand in einer Rauchwolke, einen Herzschlag später gefolgt von einem Donnerschlag des explodierenden Pulvers. Sharpe versuchte, das Geschoss am Himmel zu entdecken. Dann sah er die winzige Rauchspur, die von der brennenden Lunte stammte. Dann kam das Geräusch der Granate, ein donnerndes Grollen am Himmel, und die Rauchspur peitschte nur ein paar Fuß über die Ruine des Wachturms hinweg. Jeder hatte den Atem angehalten, doch jetzt atmeten alle auf, als die Granate irgendwo über dem südlichen Hang explodierte.

»Der hat die Lunte zu lang bemessen«, sagte Harper.

»Das wird er beim nächsten Mal nicht tun«, meinte Tongue.

Daniel Hagman hockte mit weißem Gesicht und geschlossenen Augen am Wall. Vicente und die meisten seiner Männer befanden sich ein Stück weiter hangabwärts, wo sie von einem Felsbrocken von der Größe eines Hauses geschützt waren. Nichts konnte sie direkt erreichen, doch wenn eine Granate vom Wachturm abprallte, würde sie vermutlich unter die Männer fallen. Sharpe versuchte, nicht daran zu denken. Er hatte sein Bestes getan und konnte nicht für die absolute Sicherheit seiner Männer sorgen.

Sie warteten.

»Macht schon weiter«, sagte Harris. Harper bekreuzigte sich. Sharpe blickte durch das Loch in der Wand und sah den Kanonier mit der Zündschnur hantieren. Er sagte nichts zu seinen Männern, denn das Krachen des Geschützes würde Warnung genug sein, und er schaute nicht den Hügel hinab, um zu sehen, wann die Haubitze abgefeuert wurde, sondern um den Moment nicht zu verpassen, in dem die Franzosen einen Infanterieangriff starteten. Das war das logische Vorgehen. Feuere mit der Haubitze, um die Briten und Portugiesen in Deckung zu halten, und greife sie dann mit Infanterie an.

Aber Sharpe sah kein Anzeichen auf solch einen Angriff. Die Dragoner hielten ihre Distanz, die Infanterie war außer Sicht, und die Kanoniere arbeiteten einfach weiter.

Granate um Granate stieg zum Hügel auf. Nach dem ersten Schuss waren die Lunten auf die genaue Länge gekürzt worden, und die Granaten krachten auf Felsen, fielen und explodierten. Monoton, stetig, Schuss um Schuss, und jede Explosion schickte Splitter von heißem Eisen, die durch das Gewirr der Felsen auf der Hügelkuppe pfiffen.

Der Gipfel stank nach Pulver, der Rauch trieb wie Nebel zwischen den Felsen und wallte am flechtenbedeckten Mauerwerk des Wachturms, doch wie durch ein Wunder wurde niemand ernsthaft verwundet. Einer von Vicentes Männern wurde von einem Eisensplitter am Oberarm getroffen, doch das war der einzige Verwundete. Dennoch empfanden die Männer den Beschuss als Martyrium. Sie kauerten angespannt in Deckung, zählten die Schüsse, die in regelmäßigen Abständen fielen, einer pro Minute, und die Sekunden dehnten sich zwischen den Schüssen, und niemand sprach. Eine Granate explodierte nicht, und sie warteten atemlos, während die Sekunden verstrichen und sie dann feststellten, dass die Lunte fehlerhaft gewesen sein musste.

»Wie viele verdammte Granaten haben sie?«, fragte Harper nach einer Viertelstunde.