»Stimmt es«, fragte Vuillard Christopher paffend, »dass man von den Frauen in England erwartet, dass sie den Tisch verlassen, bevor die Männer nach dem Essen Zigarre rauchen?«
Christopher nahm den Zahnstocher aus dem Mund, um zu antworten. »Von respektablen Frauen, ja.«
»Selbst respektable Frauen, finde ich, sind attraktive Gefährten beim Rauchen von Zigarren und einem guten Glas Portwein.« Vuillard, zufrieden, dass die Zigarre gut zog, lehnte sich zurück und blickte am Tisch entlang. »Ich habe eine Idee«, sagte er lächelnd. »Ich weiß genau, wer die nächste Frage beantworten wird. Zu welcher Zeit haben wir morgen das erste Tageslicht?«
Es folgte eine Pause, in der die Offiziere Blicke tauschten. Dann errötete Pelletieu. »Sonnenaufgang, Sir«, sagte er, »wird um zwanzig nach vier sein, aber um zehn vor vier wird es hell genug sein, um etwas zu sehen.«
»Das war clever«, flüsterte die Blonde, die Annette hieß, ihm zu.
»Und Mondaufgang und -untergang?«, fragte Vuillard.
Pelletieu war jetzt puterrot. »Der letzte Vollmond war am dreizehnten April, und der nächste wird am ...« Seine Stimme war immer leiser geworden, bis er bemerkte, dass seine Kenntnisse die anderen am Tisch belustigten.
»Fahren Sie fort, Leutnant«, sagte Vuillard.
»Am neunundzwanzigsten dieses Monats, Sir, es ist also im ersten Quartal ein zunehmender Mond, Sir, und sehr schwach. Keine Leuchtstärke. Jetzt nicht.«
»Ich liebe dunkle Nächte«, flüsterte ihm Annette zu.
»Sie sind ja ein wandelndes Lexikon, Leutnant«, sagte Vuillard. »Dann sagen Sie mir, welchen Schaden Ihre Granaten heute angerichtet haben.«
»Sehr wenig, Sir, befürchte ich.« Pelletieu, fast überwältigt von Annettes Parfümduft, sah aus, als würde er jeden Moment ohnmächtig werden. »Dieser Gipfel ist von Felsen geschützt, Sir. Wenn sie ihre Köpfe unten behalten haben, dann sollten sie weitgehend unbeschadet geblieben sein, obwohl ich mir sicher bin, dass wir einen oder zwei getötet haben.«
»Nur einen oder zwei?«
Pelletieu blickte beschämt drein. »Wir hätten einen Mörser gebraucht, Sir.«
Vuillard lächelte. »Wenn einem die Instrumente fehlen, Leutnant, dann benutzt man, was man zur Verfügung hat. Ist das nicht richtig, Annette?« Er lächelte wieder, dann nahm er eine dicke Taschenuhr aus seiner Westentasche und ließ den Deckel aufschnappen. »Wie viele Granaten haben Sie noch übrig behalten?«
»Achtunddreißig, Sir.«
»Benutzen Sie nicht alle auf einmal«, sagte Vuillard und hob dann eine Augenbraue in gespielter Überraschung. »Haben Sie keine Arbeit zu erledigen, Leutnant?«, fragte er. Die Arbeit bestand darin, während der Nacht mit der Haubitze zu feuern, damit die zusammengewürfelte Truppe auf der Hügelkuppe keinen Schlaf fand, und dann eine halbe Stunde vor dem ersten Tageslicht das Feuer einzustellen. Vuillard nahm an, dass der Feind dann schlafen würde, wenn seine Infanterie angriff.
Pelletieu schob seinen Stuhl zurück. »Natürlich, Sir, und danke sehr, Sir.«
»Wofür danken Sie?«
»Für das Essen, Sir.«
Vuillard machte eine huldvolle Geste. »Gern geschehen. Es tut mir sehr leid, Leutnant, dass Sie nicht zur Unterhaltung hierbleiben können. Sicherlich hätte Mademoiselle Annette gern etwas über Ihre Ladung, Ihren Ansetzer und Ihren Schwamm gehört.«
»Tatsächlich, Sir?«, fragte Pelletieu überrascht.
»Gehen Sie, Leutnant«, sagte Vuillard, »gehen Sie nur.« Der Leutnant flüchtete regelrecht, und es folgte ihm Gelächter. Der Brigadier General schüttelte den Kopf. »Gott weiß, wo sie solche Kinder finden«, sagte er. »Sie müssen sie aus ihren Wiegen genommen, ihnen die Muttermilch von den Lippen gewischt und sie dann in den Krieg geschickt haben. Doch der junge Pelletieu kennt sein Geschäft.« Er ließ die Uhr kurz an der Kette baumeln und steckte sie dann in die Westentasche zurück. »Beim ersten Tageslicht um zehn Minuten vor vier, Major«, sagte er zu Dulong.
»Wir werden bereit sein.« Dulong war verdrossen. Das Scheitern des Angriffs in der vergangenen Nacht ärgerte ihn. Die Schwellung in seinem Gesicht war dunkel geworden.
»Bereit und ausgeruht, hoffe ich«, sagte Vuillard.
»Wir werden bereit sein«, wiederholte Dulong.
Vuillard nickte, doch sein wachsamer Blick war weiterhin auf den Infanterie-Major gerichtet. »Amarante ist eingenommen«, sagte er, »was bedeutet, dass einige von Loisons Männern nach Oporto zurückkehren können. Mit Glück, Major, bedeutet dies, dass wir mit genügend Männern nach Süden gen Lissabon marschieren können.«
»Das hoffe ich, Sir«, antwortete Dulong, unsicher, worauf das Gespräch hinauslief.
»Aber General Heudelets Division säubert noch die Straße nach Vigo«, fuhr Vuillard fort. »Foys Infanterie durchkämmt das Bergland nach Partisanen, so werden unsere Kräfte auseinandergezogen, Major. Selbst wenn wir Delabordes Brigade von General Loison zurückbekommen und selbst mit Lorges' Dragonern werden wir auseinandergezogen sein, wenn wir nach Lissabon marschieren wollen.«
»Ich bin mir sicher, dass wir es trotzdem schaffen werden«, sagte Dulong loyal.
»Aber wir brauchen jeden Mann, den wir aufbieten können, Major, jeden. Und ich will keine wertvollen Infanteristen zur Bewachung von Gefangenen einteilen müssen.«
Es herrschte Schweigen am Tisch. Dulong verstand die eigentliche Bedeutung der Worte des Brigadier Generals, sagte jedoch nichts.
»Habe ich mich klar ausgedrückt, Major?«, fragte Vuillard in härterem Tonfall.
»Das haben Sie, Sir«, sagte Dulong.
»Dann lassen Sie die Bajonette aufpflanzen«, sagte Vuillard und schnippte Asche von seiner Zigarre. »Und benutzen Sie sie, und zwar richtig.«
Dulong blickte auf, und sein grimmiges Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken. »Keine Gefangenen, Sir.« Er sagte es nicht wie eine Frage, sondern als Feststellung.
»Das klingt wie eine sehr gute Idee«, sagte Vuillard lächelnd. »Jetzt gehen Sie und legen Sie sich noch ein, zwei Stündchen hin.«
Major Dulong ging, und Vuillard schenkte sich Portwein nach.
»Krieg ist grausam«, sagte er salbungsvoll, »aber Grausamkeit ist manchmal nötig. Der Rest von Ihnen ...«, er blickte die Offiziere auf beiden Seiten des Tisches an, »... kann sich darauf vorbereiten, zurück nach Oporto zu marschieren. Wir sollten diese Sache hier morgen früh um acht beendet haben, sodass wir den Abmarsch auf zehn Uhr festsetzen können.«
Um diese Zeit würde der Wachturm auf dem Hügel eingenommen sein. Die Haubitze würde Sharpe und seine Männer während der Nacht wach halten, und in der Morgendämmerung, wenn die übermüdeten Männer endlich eingeschlafen waren und der Tag anbrach, würde Dulongs gut ausgebildete Infanterie mit dem Töten beginnen.
Beim ersten Tageslicht.
Sharpe hatte beobachtet, bis das letzte Zwielicht in tiefe Dunkelheit übergegangen war. Erst dann schlich er mit Pendleton, Tongue und Harris um den äußeren Steinwall herum und ertastete sich den Weg zum Pfad hinunter. Harper hatte mitkommen wollen, war sogar gekränkt gewesen, weil er Sharpe nicht begleiten durfte, doch Harper würde das Kommando über die Schützen haben, wenn Sharpe nicht zurückkehren würde.
Sharpe hätte gern Hagman mitgenommen, doch der verwundete Mann war noch nicht völlig genesen, und so hatte er Pendleton gewählt, der jung, agil und gerissen war, und mit Tongue und Harris dazu hatte er drei gute Schützen mit Intelligenz bei sich. Jeder von ihnen trug zwei Gewehre. Sharpe hatte sein großes Kavallerieschwert zurückgelassen, weil die schwere Metallscheide gegen Steine klirren und seine Position verraten konnte.