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Die lange Fassade mit ihren unzähligen Fenstern gegenüber des Flusses war trügerisch, denn das Gebäude war sehr schmal. Gerade ein Dutzend Fenster wies geradeaus gen Oporto, und vom hinteren Teil des Seminars, am weitesten von der Stadt entfernt, ragte ein langer Flügel nach Norden. Im Winkel zwischen den beiden Flügeln gab es einen Garten. Die Apfelbäume darin waren als Brennholz gefällt worden. Die beiden Seiten des Gartens, die nicht von dem Gebäude begrenzt waren, wurden von einer hohen Steinmauer mit zwei Eisentoren geschützt, die sich zur Stadt hin öffneten.

In einem Schuppen, verborgen unter einem Netzwerk, das einst benutzt worden war, um Vögel von den Obstbäumen abzuhalten, fand Sharpe eine alte Spitzhacke, die er Cooper gab. »Fang an, Schießscharten zu machen«, sagte er und wies auf die lange Mauer. »Patrick! Suchen Sie noch mehr Werkzeuge. Teilen Sie sechs Mann als Helfer für Cooper ein, und der Rest der Männer soll aufs Dach gehen, sich aber nicht sehen lassen, verstanden? Sie sollen unsichtbar bleiben.«

Sharpe ging in einen großen Raum, der wohl das Büro des Direktors des Seminars gewesen war. Er hatte eine Bücherei gehabt, doch die Regale waren geplündert worden wie der Rest des Gebäudes. Zerrissene und zertrampelte Bücher lagen auf den Bodendielen, ein großer Tisch war gegen eine Wand geschleudert worden, und ein aufgeschlitztes Ölgemälde, das einen andächtigen Priester zeigte, lag halb verbrannt im großen Kamin. Das einzige unbeschädigte Objekt war ein Kruzifix, das rußgeschwärzt hoch an der Wand über dem Kaminsims hing.

Sharpe öffnete das Fenster direkt über der Haupttür des Seminars und benutzte das kleine Fernrohr, um die Stadt zu betrachten, die so verlockend nahe jenseits des Tals lag. Dann, seinen eigenen Befehl missachtend, dass jeder verborgen bleiben sollte, lehnte er sich über das Fensterbrett hinaus, um zu sehen, was sich am südlichen Ufer des Flusses tat, doch er konnte nichts von Bedeutung entdecken. Während er sich noch den Hals verrenkte, dröhnte die Stimme eines Fremden hinter ihm.

»Sie müssen Lieutenant Sharpe sein. Ich bin Waters, Lieutenant Colonel Waters, und gut gemacht, Sharpe, verdammt gut.«

Sharpe zog sich vom Fenster zurück und drehte sich um. Er sah einen rot berockten Offizier durch das Durcheinander weggeworfener Bücher und Papiere treten und nahm Haltung an.

»Ich bin Sharpe, Sir«, stellte er sich vor.

»Die verdammten Franzosen dösen«, sagte Waters. Er war ein stämmiger Mann mit O-Beinen von zu häufigem Reiten und wettergegerbtem Gesicht. Sharpe schätzte ihn auf gerade vierzig, doch er wirkte älter, weil sein Haar ergraut war. »Sie sollten hier ein Bataillon und ein paar Batterien Geschütze haben, nicht wahr? Unsere Feinde dösen, diese Schlafmützen.«

»Sie sind der Mann, den ich am anderen Flussufer gesehen habe?«, fragte Sharpe.

»Genau der bin ich. Ihr portugiesischer Freund kam rüber. Smarter Mann! Er ruderte mich zurück, und jetzt lassen wir diese verdammten Boote schwimmen. Das ist eine starke Entlastung für meine Jungs, und wenn wir mit den Booten zurechtkommen, dann werden wir die ›Ochsen‹ zuerst und dann den Rest der Ersten Brigade hier haben. Sollte interessant werden, wenn Marschall Soult erfährt, dass wir uns durch seine Hintertür geschlichen haben. Ist noch was zum Saufen in diesem Gebäude?«

»Alles weg, Sir.«

»Guter Mann«, sagte Waters, der irrtümlich annahm, dass Sharpe die Versuchung für seine Rotröcke bereits beseitigt hatte. Dann trat er zum Fenster, nahm ein großes Fernrohr aus seiner Schultertasche und schaute hindurch auf Oporto.

»Was tut sich, Sir?«, fragte Sharpe.

»Was sich tut? Wir werfen die Franzosen aus Portugal raus. Hopp, hopp, auf Nimmerwiedersehen, ihr Lahmärsche. Sehen Sie sich das an!« Waters wies auf die Stadt. »Sie haben nicht die geringste Ahnung, dass wir hier sind. Ihr portugiesischer Freund sagte, dass Sie abgeschnitten wurden. Ist das wahr?«

»Seit Ende März.«

»Guter Gott, da haben Sie ja überhaupt keinen Kontakt mehr!« Der Colonel wandte sich vom Fenster ab und erzählte Sharpe, dass Sir Arthur Wellesley tatsächlich in Portugal eingetroffen war. »Er kam vor knapp drei Wochen«, sagte Waters. »Und er brachte einigen Schwung in die Truppen! Cradock ist zwar ein anständiger Kerl, aber er hat keinen Mumm. So sind wir auf dem Marsch, Sharpe, links, rechts, links, rechts, und der Teufel hole die Letzten. Die britische Armee ist dort drüben.« Er wies durch das Fenster zu dem verborgenen Terrain jenseits des Klosters auf der Erhebung am Südufer. »Diese verdammten Franzmänner denken, wir kommen von der See her, und so sind all ihre Männer entweder in der Stadt oder bewachen den Fluss zwischen der Stadt und der See.«

Sharpe verspürte ein leichtes Schuldgefühl, weil er der Frau in Barca d'Avintas nicht geglaubt hatte, die ihm das Gleiche gesagt hatte.

»Sir Arthur will über den Fluss«, fuhr Waters fort. »Sie haben diese drei Boote beschafft, und Sie sagen, es gibt ein viertes?«

»Drei Meilen stromaufwärts, Sir.«

»Da haben Sie gute Arbeit geleistet, Sharpe«, sagte Waters mit einem freundlichen Lächeln. »Wir müssen nur beten ...«

»Dass die Franzosen uns hier nicht entdecken?«

»Genau. Am besten verschwindet der rote Rock aus dem Fenster, wie?« Waters lachte und durchquerte den Raum. »Beten Sie, dass sie weiterpennen, denn wenn sie aus ihren süßen Träumen aufwachen, wird es verdammt heiß sein. Wie viele Personen können diese drei Boote pro Fahrt mitnehmen? Dreißig? Und Gott allein weiß, wie lange jede Überquerung dauern wird. Genauso gut könnten wir unsere Köpfe ins Maul des Tigers schieben, Sharpe.«

Sharpe verkniff sich, zu sagen, dass sein Kopf in den letzten Wochen ständig im Maul des Tigers gesteckt hatte. Stattdessen starrte er durch das Tal, versuchte sich vorzustellen, wie die Franzosen sich nähern würden, wenn sie angriffen. Er nahm an, dass sie geradewegs von der Stadt durch das Tal den Hang heraufkommen würden, der praktisch kahl und ohne jede Deckung war. Die nördliche Flanke des Seminars blickte zur Straße im Tal, und dieser Hang war ebenso kahl außer einem einzelnen Baum auf halber Strecke des Aufstiegs. Jemand, der das Seminar angriff, würde vermutlich versuchen, durch das Gartentor oder die große Eingangstür zu kommen, und das würde bedeuten, eine breite Terrasse zu überqueren, wo Kutschen mit Besuchern des Seminars wenden konnten und wo angreifende Infanteristen von Musketen- und Gewehrfeuer aus den Fenstern oder vom Dach gestoppt werden konnten.

»Eine Todesfalle!«, sagte Colonel Waters.

Sharpe teilte seine Ansicht, denn er hatte den gleichen Gedanken gehabt. »Ich möchte nicht auf diesem Hang sein und angreifen«, pflichtete er ihm bei.

»Und ich habe keinen Zweifel, dass wir einige Kanonen auf das andere Ufer herüberbringen, um alles noch ein bisschen gefährlicher zu machen«, sagte Waters heiter.

Sharpe hoffte, das dies stimmte. Er fragte sich weiterhin, warum keine britischen Geschütze auf der breiten Terrasse des Klosters waren, auf der Terrasse, wo die Portugiesen ihre Batterien im März gehabt hatten. Das war eine nahe liegende Position, doch Sir Arthur Wellesley hatte sich entschieden, seine Artillerie unten zwischen den Hütten am Hafen in Stellung zu bringen, wo sie außer Sicht des Seminars waren.

»Wie spät haben wir?«, fragte Waters, dann beantwortete er seine eigene Frage, indem er seine Taschenuhr zog und den Deckel aufschnappen ließ. »Fast elf!«