»Sind Sie beim Stab, Sir?«, fragte Sharpe, weil Waters' roter Uniformrock zwar mit vielen goldenen Tressen geschmückt war, jedoch keine Regimentsaufschläge hatte.
»Ich bin einer von Sir Arthurs Erkundungsoffizieren«, sagte Waters heiter. »Wir reiten voraus, um das Terrain zu erkunden, wie diese Typen in der Bibel, die Josua vorausgeschickt hat, um Jericho auszuspionieren, erinnern Sie sich an diese Geschichte? Und eine Frau namens Rahab gab ihnen Unterschlupf. Das war das Glück der Juden. Das erwählte Volk wurde von einer Prostituierten willkommen geheißen und ich von einem Schützen. Ich nehme an, das ist besser als ein feuchter Kuss von einem verdammten französischen Dragoner.«
Sharpe lächelte. »Kennen Sie Captain Hogan, Sir?«
»Den Kartografie-Typen? Natürlich kenne ich Hogan. Ein famoser Kerl, wirklich ein großartiger Typ.« Waters schwieg plötzlich und sah Sharpe nachdenklich an. »Mein Gott, natürlich! Sie sind sein verlorener Schütze, nicht wahr? Ah, jetzt weiß ich Bescheid. Er sagte, Sie würden überleben. Gut gemacht, Sharpe. Ah, hier kommen die Ersten der tapferen ›Ochsen‹.«
Vicente und seine Männer hatten dreißig Rotröcke den Hügel hinaufeskortiert, aber anstatt die unverschlossene Tür, die Sharpe für den Fluchtweg vorgesehen hatte, zu öffnen, waren sie um die Frontseite marschiert und schauten nun zu Waters und Sharpe hoch, die vom Fenster auf sie hinabblickten. Die Neuankömmlinge trugen die Aufschläge des Dritten Infanterie-Regiments aus Kent, und sie schwitzten nach ihrem Aufstieg unter der heißen Sonne. Ein dünner Lieutenant führte sie, der Colonel Waters versicherte, dass zwei weitere Bootsladungen Männer bereits an Land gingen. Dann blickte er neugierig auf Sharpe. »Was, um alles in der Welt, machen die Schützen hier?«
»Als Erster auf dem Feld, als Letzter wieder daheim«, zitierte Sharpe einen der Sprüche seiner Männer.
»Als Erster? Sie müssen über den verdammten Fluss geflogen sein.« Der Lieutenant wischte sich Schweiß von der Stirn. »Habt ihr hier Wasser?«
»Ein Fass voll hinter der Haupttür«, sagte Sharpe. »Mit freundlicher Genehmigung der 95th Rifles.«
Weitere Männer trafen ein. Die Boote fuhren hin und her auf dem Fluss, und alle zwanzig Minuten mühten sich weitere achtzig oder neunzig Männer den Hügel herauf. Eine Gruppe traf mit einem General ein, Sir Edward Paget, der das Kommando über die wachsende Garnison von Waters übernahm. Paget war Ende dreißig, energiegeladen und ehrgeizig, der seinen hohen Rang dem Reichtum seiner adligen Familie verdankte, jedoch sehr beliebt bei seinen Soldaten war. Er stieg auf das Dach des Seminars, auf dem Sharpes Männer positioniert waren, und als er sah, dass Sharpe das kleine Fernrohr benutzte, bat er ihn, es ihm zu leihen. »Hab mein eigenes verloren«, erklärte er, »es ist irgendwo in Lissabon beim Gepäck.«
»Sie sind mit Sir Arthur hergekommen, Sir?«, fragte Sharpe.
»Vor drei Wochen«, sagte Paget und starrte auf die Stadt.
»Sir Edward ist Stellvertreter von Sir Arthur«, erklärte Waters.
»Was nicht viel heißt«, sagte Sir Edward, »weil er mir nie irgendwas erzählt. Was ist mit diesem verdammten Fernrohr los?«
»Die Linse verrutscht, wenn man die Fassung nicht festhält, Sir«, sagte Sharpe.
»Nehmen Sie meines.« Waters hielt Paget das bessere Instrument hin.
Sir Edward betrachtete die Stadt, dann runzelte er die Stirn. »Was tun die verdammten Franzosen?«, fragte er verwirrt.
»Sie schlafen«, antwortete Waters.
»Na, das wird ihnen nicht gefallen, wenn sie aufwachen, oder?«, bemerkte Paget. Er gab Waters des Fernrohr zurück und nickte Sharpe zu. »Es freut mich verdammt, einige Schützen hier zu haben, Lieutenant. Ich wage zu sagen, dass wir eine Schießübung haben werden, bevor der Tag zu Ende ist.«
Eine weitere Gruppe von Männern kam den Hügel herauf. Jedes Fenster an der kurzen westlichen Fassade des Seminars war inzwischen mit einer Gruppe Rotröcke besetzt, und ein Viertel der Fenster an der langen nördlichen Wand war ebenfalls bemannt. Die Mauer zum Garten hatte Schießscharten bekommen. Dort waren Vicentes Portugiesen und Waters' Grenadier-Kompanie auf Posten. Die Franzosen, die sich in Oporto sicher wähnten, beobachteten den Fluss zwischen der Stadt und dem Meer, während sich hinter ihrem Rücken, auf dem hohen östlichen Hügel, die Rotröcke versammelten.
Was bedeutete, dass die Götter des Krieges die Spannung zum Höhepunkt trieben.
Zwei Offiziere waren in der Eingangshalle des Palacio das Carrancas postiert, um sicherzustellen, dass alle Besucher ihre Stiefel auszogen. »Seine Majestät schläft«, erklärten sie und bezogen sich auf Marschall Nicolas Soult, Herzog von Dalmatien, dessen Spitzname jetzt König Nicolas war.
Die Halle war höhlenartig, hoch und gewölbt, und Stiefeltritte hallten die Treppe hinauf bis ins Schlafgemach von König Nicolas. Früh an diesem Morgen war ein Husar eilig in den Palast gekommen, seine Sporen hatten sich in dem Läufer am Fuß der Treppe verfangen, er war gestürzt, und das Poltern und Klirren von Säbel und Scheide hatte den Marschall geweckt. Daraufhin hatte er den Posten befohlen, dafür zu sorgen, dass niemand seine Ruhe störte. Die beiden Wachtposten konnten nicht verhindern, dass die britische Artillerie über den Fluss hinwegfeuerte, aber vielleicht war der Marschall nicht so empfindlich gegenüber Geschützfeuer wie gegen das laute Widerhallen von Schritten.
Der Marschall hatte ein Dutzend Gäste zum Frühstück eingeladen, und alle waren vor neun an diesem Morgen eingetroffen. Alle hatten in einem der großen Empfangssalons auf der Westseite des Palastes warten müssen, wo hohe Glastüren zu einer Terrasse führten, die mit Topfblumen und Lorbeerbüschen geschmückt war. Die Gäste, bis auf einen männlich, und alle bis auf zwei französisch, schlenderten ständig auf die Terrasse, die von der südlichen Balustrade einen Blick über den Fluss und auf die Geschütze bot, die über den Douro hinwegfeuerten.
In Wirklichkeit war nicht viel zu sehen, weil die britischen Kanonen in Vila Nova de Gaias Straßen in Stellung gebracht worden waren, und so konnten die Gäste selbst durch Fernrohre nur schmutziggraue Rauchwolken beim Abschuss sehen und das Krachen der Kanonenkugeln hören, die in den Gebäuden gegenüber von Oportos Kais einschlugen. Der einzige andere sehenswerte Anblick waren die Überreste der Pontonbrücke, die von den Franzosen Anfang April repariert, jetzt jedoch bei Sir Arthur Wellesleys Nahen gesprengt worden war. Drei ausgebrannte Pontons waren noch verankert, doch der Rest, zusammen mit der Fahrbahn, war in tausend Stücke gesprengt und von der Strömung ins nahe Meer gespült worden.
Kate war die einzige Frau, die zum Frühstück des Marschalls eingeladen war, und ihr Mann hatte eisern darauf bestanden, dass sie die Husarenuniform trug. Seine Unnachgiebigkeit wurde belohnt durch die bewundernden Blicke, welche die anderen Gäste auf die langen Beine seiner Frau warfen. Christopher selbst trug Zivilkleidung, während die anderen zehn Männer, allesamt Offiziere, Uniform trugen und - weil eine Frau anwesend war - ihr Bestes taten, um sich unbekümmert wegen der britischen Kanonade zu zeigen.
»Was sie tun, ist lachhaft«, sagte ein Dragoner-Major mit Achselschnüren und goldenen Tressen. »Sie schießen Sechspfünder auf unsere Posten. Sie könnten genauso gut mit Knüppeln auf Fliegen schlagen.« Er zündete sich eine Zigarre an, inhalierte tief und bedachte Kate mit einem langen, anerkennenden Blick. »Mit einem solchen Hintern«, sagte er leise zu seinem Freund, »sollte sie eine Französin sein.«
»Sie sollte auf dem Rücken liegen.«
»So geht es natürlich auch.«
Kate hielt sich von den französischen Offizieren weiterhin abgewandt. Sie schämte sich der Husarenuniform, die sie für unanständig hielt und - schlimmer noch - aus der man schließen musste, dass sie mit den Franzosen sympathisierte.