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Harris brachte Sharpe einen Becher Tee, dann blickte er nach links und rechts, bevor er einen kalten Hähnchenschenkel aus seiner Patronentasche hervorholte. »Ich dachte mir, das könnte Ihnen schmecken, Sir.«

»Woher haben Sie das?«

»Gefunden, Sir«, sagte Harris vage, »und ich habe auch für Sie einen, Sarge.« Harris gab Harper einen Schenkel, holte für sich ein Stück Brust hervor, rieb etwas Pulver davon ab und biss hungrig hinein.

Sharpe stellte fest, wie hungrig er war, und der Hähnchenschenkel schmeckte köstlich. »Wo kommt er her?«, fragte er noch einmal.

»Ich glaube, der war für General Pagets Abendessen, Sir«, bekannte Harris, »aber der hat vermutlich den Appetit verloren.«

»Ja, das könnte sein, und es wäre ein Jammer, diese Köstlichkeit verkommen zu lassen, wie?« Er drehte sich um, als eine Trommel schlug, und sah, dass sich die Franzosen wieder formierten, doch diesmal auf der nördlichen Seite des Seminars. »Auf eure Plätze!«, rief er und schleuderte den Hähnchenknochen weit in den Garten.

Ein paar der Franzosen trugen jetzt Leitern, vermutlich erbeutet aus den Häusern, aus denen sie durch den Beschuss der Geschütze vertrieben worden waren.

»Wenn sie kommen, dann zielt auf die Männer mit den Leitern!« Sharpe bezweifelte, dass die Franzosen selbst ohne Gewehrfeuer nahe genug an die Gartenmauer herankamen, um die Leitern anzusetzen, doch es konnte nicht schaden, sicherzugehen.

Die meisten seiner Schützen hatten die Feuerpause genutzt, um ihre frisch gereinigten Gewehre mit lederumhüllten Kugeln zu laden, was bedeutete, dass ihre ersten Schüsse tödlich genau sein würden. Später, wenn die Franzosen näher herankamen, ging Schnelligkeit vor Genauigkeit, und sie würden darauf verzichten, die Kugeln in Leder zu hüllen und zündfertig zu machen. Sharpe lud jetzt sein Gewehr in der umständlichen Prozedur, und als er den Ladestock wieder befestigt hatte, trat General Hill neben ihn.

»Ich habe nie ein Gewehr abgefeuert«, sagte Hill.

»Das ist dem Feuern einer Muskete sehr ähnlich, Sir«, sagte Sharpe, verlegen, weil ihn ein General ansprach.

»Darf ich?« Hill griff nach der Waffe, und Sharpe überließ sie ihm. »Sehr schön«, sagte Hill und strich über das Baker-Gewehr. »Nicht annähernd so klobig wie eine Muskete.«

Hill tat, als ziele er den Hügel hinab, wollte anscheinend spannen und feuern, doch dann reichte er das Gewehr plötzlich Sharpe zurück. »Ich würde des liebend gern versuchen«, sagte er, »aber wenn ich mein Ziel verfehle, würde die gesamte Armee davon erfahren, wie? Und das könnte ich nicht ertragen.« Er sprach laut, und Sharpe erkannte, dass er unfreiwilliger Komparse bei einem Theaterstück geworden war. Hill war nicht wirklich an dem Gewehr interessiert, sondern hatte die Männer von der Bedrohung unterhalb von ihnen ablenken wollen. Zuvor hatte er ihnen indirekt geschmeichelt, indem er gesagt hatte, sie könnten etwas, von dem er keine Ahnung hatte, nämlich mit einem Gewehr schießen. Und die Männer hatten gegrinst.

Sharpe dachte über Hills Schau nach. Er bewunderte Hill deswegen, aber er bewunderte auch Sir Arthur Wellesley, der nie zu einer solchen Maßnahme gegriffen hätte. Sir Arthur ignorierte die Männer, und die Männer ihrerseits kämpften wie Dämonen, um seine widerwillige Anerkennung zu erlangen.

Sharpe hatte nie Zeit damit verschwendet, sich zu fragen, warum manche Männer geborene Offiziere waren und andere nicht. Er war aus den Mannschaften zum Offizier ernannt worden und hatte die Chance ergriffen, aber das machte das System nicht weniger unfair. Doch die Unfairness der Welt zu beklagen war das Gleiche, wie zu grollen, dass die Sonne heiß ist oder dass der Wind manchmal die Richtung wechselt. Unfairness existierte, schon immer hatte es sie gegeben, und das würde immer so bleiben. Das Wunderbare daran war in Sharpes Augen, dass einige Männer wie Hill und Wellesley, obwohl sie durch unfaire Vorteile reich und privilegiert waren, trotzdem hervorragend in ihren Taten waren. Nicht alle Generäle waren gut, viele waren rundweg schlecht, aber Sharpe hatte ungewöhnliches Glück gehabt, dass er unter dem Kommando von fähigen Männern gestanden hatte. Es machte Sharpe nichts aus, dass Sir Arthur Wellesley ein Aristokratensohn war und sich seinen Weg auf der Beförderungsleiter erkauft hatte und so kalt war wie der Sinn eines Anwalts für Wohltätigkeit. Der langnasige Scheißer wusste, wie man ein Gewinner war, und das war es, was zählte.

Und jetzt zählte es, gegen die Franzosen zu gewinnen. Die Kolonne, viel größer als die erste, marschierte vorwärts, getrieben vom unablässigen Trommelspiel. Die Franzosen stießen Hochrufe aus, vielleicht um sich Mut zu machen, vielleicht auch weil sie ermuntert waren durch die Tatsache, dass die Kanoniere der britischen Geschütze auf der anderen Seite des Flusses sie nicht sehen konnten. Doch dann, begleitet von britischen Jubelschreien, explodierte ein Schrapnellgeschoss von einer Haubitze mitten in der Kolonne. Die britischen Kanoniere feuerten blindlings, zielten über das Seminar hinweg, doch ihr erster Schuss tötete Franzosen, die sich gerade noch mit ihren Hochrufen angespornt hatten.

»Schützen, bereitmachen zum Feuern!«, rief Sharpe. »Hagman? Zielen Sie auf den großen Mann mit dem Säbel!«

»Ich sehe ihn, Sir!«, rief Hagman, legte sein Gewehr an und zielte auf den Offizier, der vorausschritt, wohl um ein Vorbild zu sein. Er ging in den Tod, denn Hagman war ein Meisterschütze.

»Achtet auf die Leitern!«, erinnerte Sharpe die anderen Schützen. Er ging zur Brüstung und nahm das Gewehr an die Schulter. Er zielte auf einen Leiterträger, visierte den Kopf des Mannes an, in der Erwartung, dass er den Unterleib oder die Beine treffen würde. Der Wind blies in sein Gesicht und würde den Schuss nicht seitlich beeinflussen. Er drückte ab und war sofort in Rauch gehüllt. Hagman feuerte als Nächster, dann krachten die anderen Gewehre.

Sharpe ging etwas nach links, um an dem Pulverrauch vorbeizuspähen, und sah, dass der Offizier mit dem Säbel verschwunden war wie jeder andere Mann, der von einer Kugel getroffen worden war. Sie waren von der vorrückenden Kolonne aufgesogen worden, die über die Gefallenen hinweg und an ihnen vorbeimarschiert war.

Dann sah Sharpe eine Leiter wieder auftauchen, die ein Kamerad einem Gefallenen entriss. Er begann sein Gewehr aufzuladen. Dabei sah er nicht auf die Waffe. Er tat einfach fast automatisch, was er gelernt hatte, und in diesem Augenblick krachten die ersten Musketenschüsse von der Gartenmauer, gefolgt von den Musketen aus den Fenstern und vom Dach, und das Seminar war abermals von Rauch und Lärm erfüllt.

Gewehr- und Musketenkugeln fetzten in die französischen Reihen. Fast tausend Männer befanden sich jetzt im Seminar, und sie wurden von steinernen Wänden geschützt und hatten selbst ein großes, offenes Ziel. Sharpe feuerte einen weiteren Schuss den Hügel hinab, dann ging er hinter seinen Männern auf und ab und beobachtete sie.

Slattery brauchte einen neuen Feuerstein, und Sharpe gab ihm einen, dann brach Dodds Hauptfeder, und Sharpe ersetzte die Waffe durch Williamsons altes Gewehr, das Harper seit ihrem Verlassen von Vila Real de Zedes aufbewahrt hatte.

Die Trommeln des Feindes klangen jetzt näher. Sharpe lud sein eigenes Gewehr, als die ersten französischen Musketenkugeln gegen die Wände des Seminars schlugen.

»Sie feuern blindlings«, sagte Sharpe seinen Männern. »Vergeudet nicht eure Munition. Sucht nach Zielen.« Das war schwer wegen des Rauchs, der über dem Hang hing, doch Launen des Windes lichteten manchmal den Nebel, sodass blaue Uniformen zu erkennen waren, und die Franzosen waren nahe genug, sodass Sharpe ihre Gesichter sehen konnte. Er zielte auf einen Mann mit einem gewaltigen Schnurrbart, feuerte und verlor die Sicht auf den Mann, als Rauch vor der Gewehrmündung aufwallte.

Der Lärm war schrecklich. Musketen krachten unablässig, die dumpfen Trommelschläge hämmerten, Schrapnellgeschosse explodierten, und immer wieder waren die Schreie Verwundeter und Sterbender zu hören. Ein Rotrock brach neben Harper zusammen, und Blut bildete eine Pfütze neben seinem Kopf, bis ein Sergeant den Mann fortschleifte und eine rote Spur auf dem Dach hinterließ.