In der Ferne - es musste am Südufer des Flusses sein - spielte eine Kapelle »Der Trommel-Major«, und Sharpe schlug im Takt mit dem Lied gegen den Kolben seines Gewehrs. Ein französischer Ladestock wirbelte durch die Luft und knallte gegen die Seminarwand, offenbar hatte ein Wehrpflichtiger in Panik seinen Abzug betätigt, bevor er den Ladestock aus dem Lauf entfernt hatte. Eine Musketenkugel peitschte dicht an seinem Kopf vorbei, eine andere traf die Brüstung und zerschmetterte einen Ziegel. Unten im Garten zielten Vicentes Männer und die Rotröcke nicht mit ihren Musketen, sondern schoben die Mündungen nur in die Schießscharten, drückten ab und machten für die Ablösung Platz. Es waren jetzt auch einige Grünröcke im Garten. Sharpe nahm an, dass sie zu einer Kompanie der 60th Royal American Rifles gehören mussten, die Hills Brigade angeschlossen war, und jetzt in den Kampf eingriffen.
Es wäre besser, wenn sie aufs Dach kletterten, als ihre Baker durch die Schießscharten abzufeuern, dachte Sharpe. Der einzige Baum auf dem nördlichen Hügel schwankte wie in einem Orkan, und es war kaum noch ein Blatt an seinen zersplitterten Zweigen übrig geblieben. Rauch trieb zwischen den kahlen Zweigen, die ständig unter Kugeleinschlägen erbebten.
Sharpe legte sein Gewehr an, hielt nach einem Ziel Ausschau, sah eine Ansammlung blauer Uniformen nahe bei der Gartenmauer und feuerte. Verdammt, dachte er, warum ziehen sich die Bastarde nicht zurück? Von Kugeln umschwirrt sind sie entweder tapfer oder lebensmüde.
Eine verwegene Gruppe Franzosen versuchte an der westlichen Mauer des Seminars entlangzurennen, um das große Eingangstor zu erreichen, doch die britischen Kanoniere beim Kloster sahen sie und feuerten. In all diesem Inferno von Krachen, Rauch, Schreien und Blutvergießen sah Sharpe eine Horde französischer Infanterie aus der Stadt heranströmen.
Zwei Männer in Hemdsärmeln trugen Kisten mit Munition auf dem Dach herum. »Wer kann frisches Blei gebrauchen? Frisches Blei! Neues Pulver!« Einer von General Hills Adjutanten trug Feldflaschen mit Wasser zur Brüstung, während Hill, rotgesichtig und besorgt, nahe bei den Rotröcken stand, um zu zeigen, dass er die Gefahr mit ihnen teilte. Er fing Sharpes Blick auf und schnitt eine Grimasse, wie um zu sagen, dass dies härtere Arbeit war, als er erwartet hatte.
Weitere Soldaten kamen aufs Dach, Männer mit frischen Musketen und vollen Munitionsschachteln, und bei ihnen waren die Schützen der 60th Rifles, deren Offizier erkannt haben musste, dass er am falschen Platz gewesen war. Er sah Sharpe freundlich an, dann befahl er seine Männer zur Brüstung.
Immer noch versuchten die Franzosen, das Seminar zu erstürmen, die Mauern zu überwinden und sich den Weg freizuschießen. Zwei Soldaten schafften es, die Gartenmauer über eine Leiter zu ersteigen, doch oben zögerten sie, wurden gepackt, über die Mauerkrone gezerrt und mit Schlägen der Musketenkolben in den Garten hinabgezogen, wo sie totgeschlagen wurden. Sieben tote Rotröcke wurden im Garten auf einen Kiesweg gelegt, doch die meisten der britischen Gefallenen lagen auf den Korridoren des Seminars, weggezogen von den großen Fenstern, wo sie die besten Ziele für die frustrierten Franzosen gewesen waren.
Eine ganze neue Kolonne erkletterte jetzt den Hang, um die dezimierten Reihen der ersten aufzufüllen, doch obwohl die belagerten Männer im Seminar es noch nicht wissen konnten, waren diese Neuankömmlinge das Symbol der französischen Niederlage.
Marschall Soult, verzweifelt bemüht, mit frischen Soldaten das Seminar anzugreifen, hatte alle Infanterie aus der Stadt abgezogen, und die Bürger von Oporto, zum ersten Mal unbewacht seit Ende März, strömten zum Fluss hinab und zogen ihre Boote aus Lagerhäusern, Läden und Hinterhöfen, wo sie von den Besetzern bewacht worden waren. Eine Schar dieser kleinen Streitmacht ruderte jetzt an den Trümmern der Pontonbrücke vorbei über den Fluss zu den Kais von Vila Nova de Gaia, wo die Engländer warteten. Ein Offizier spähte nervös über den Douro, um sich zu vergewissern, dass die Franzosen nicht im Hinterhalt am gegenüberliegenden Kai lauerten, dann rief er seinen Männern zu, an Bord zu gehen. Die Boote wurden zurück zur Stadt gerudert, und immer mehr Boote tauchten auf, und mehr und mehr Rotröcke setzten über. Soult wusste es nicht, doch seine Stadt füllte sich mit dem Feind.
Ebenso wenig wussten das die Männer, die das Seminar angriffen, bis die Rotröcke am östlichen Rand der Stadt auftauchten. Inzwischen war die zweite gewaltige Kolonne in den Todeshagel aus Kugeln vom Dach und den Fenstern des Seminars marschiert. Der Geräuschpegel ähnelte dem bei der Schlacht von Trafalgar, wo Sharpe vom Donnern der großen Schiffskanonen wie betäubt gewesen war, doch dieses Geräusch klang höher durch das Musketenfeuer, das sich zum Stakkato gesteigert hatte. Der Hang vom Seminarhügel war mit Blut getränkt, und die überlebenden Franzosen benutzten die Leichen ihrer Kameraden als Schutzschild. Ein paar Trommler versuchten noch die aufgelösten Kolonnen anzutreiben, doch dann ertönte ein Alarmschrei von einem französischen Unteroffizier, und der Ruf breitete sich aus. Der Rauch löste sich auf, und der Hang leerte sich, als sie die Rotröcke sahen, die das Tal durchquerten.
Die Franzosen flüchteten. Sie hatten tapfer gekämpft, mit Musketen gegen Steinmauern, aber jetzt gerieten sie in Panik, und alle Disziplin war vergessen, als sie zur Straße rannten, die ostwärts nach Amarante verlief. Andere französische Einheiten, Kavallerie und Artillerie darunter, eilten vom höheren Teil der Stadt fort, flüchteten vor der Flut der Rotröcke, die über den Douro setzten, flüchteten vor der Rache der Bürger, die in den Gassen und Straßen nach verwundeten Franzosen suchten, die sie mit Fischmessern angriffen oder mit Knüppeln erschlugen.
Da war ein Schreien und Heulen auf Oportos Straßen, dagegen jedoch eine sonderbare Stille im von Kugeleinschlägen übersäten Seminar. Dann rief General Hilclass="underline" »Folgt ihnen! Ich will eine Verfolgung!«
»Schützen zu mir!«, befahl Sharpe. Er hielt seine Männer von der Verfolgung zurück. Sie hatten bereits genug durchlitten, nahm er an, und es war an der Zeit, dass er ihnen eine Ruhepause gönnte. »Reinigt eure Waffen«, befahl er, und so blieben sie, während sich die Rotröcke und Schützen der Ersten Brigade außerhalb des Seminars formierten und dann ostwärts davonmarschierten.
Ein Dutzend Gefallener wurde auf dem Dach zurückgelassen. Lange Streifen von Blut zeigten, wo sie von der Brüstung fortgezogen worden waren. Der Rauch im Gebäude lichtete sich und zog ab, bis die Luft wieder sauber war. Auf den Hängen unter dem Seminar lagen verstreut französische Tornister und Gefallene und Verwundete. Ein Verwundeter kroch zwischen blutbefleckten Ambrosiapflanzen davon. Ein Hund schnüffelte an einer Leiche. Frauen und Kinder kamen aus den Häusern im Tal, um zu plündern. Die kleinen Feuer, die von der brennenden Watte entstanden waren, rauchten zwischen den Leichen, wo der rundliche portugiesische Priester, die Donnerbüchse noch in einer Hand, das Kreuzzeichen über den Franzosen machte, bei deren Tod er geholfen hatte.
Die Stadt Oporto war zurückerobert.
Der Brief, adressiert an Richard Sharpe, wartete auf dem Kaminsims im Salon des Hauses Beautiful, und es war ein Wunder, dass er noch unversehrt war, denn an diesem Nachmittag hatte ein Dutzend Kanoniere der Royal Artillery das Haus zu ihrem Quartier gemacht, und als Erstes hatten sie die Möbel des Salons zu Brennholz zerschlagen, um ein Feuer zu machen. Der Brief wäre ein idealer Fidibus gewesen, doch dann traf Captain Hogan ein, bevor das Feuer angezündet werden konnte, und nahm den Brief an sich. Er war gekommen, um Sharpe zu suchen, und er hatte die Kanoniere gefragt, ob irgendwelche Botschaften im Haus zurückgelassen worden waren, denn er dachte, dass Sharpe vielleicht etwas für ihn hinterlassen hätte.