»Guter Gott«, sagte Wellesley säuerlich.
»Ich glaube, Sie kennen Lieutenant ...«, begann Hogan.
»Selbstverständlich kenne ich Lieutenant Sharpe«, blaffte Wellesley, »aber ich möchte wissen, was, zum Teufel, er hier treibt. Die 95th Rifles sind nicht bei uns.«
Hogan entfernte den Kerzenständer von der Ecke der Landkarte und ließ sie sich aufrollen. »Das ist meine Schuld, Sir Arthur«, sagte er ruhig. »Ich fand Lieutenant Sharpe und seine Männer herumirren wie verlorene Schafe und nahm sie in meine Obhut, und seither hat er mich bei meinen Ausflügen zur Grenze begleitet. Ich wäre nicht allein mit den französischen Patrouillen zurechtgekommen, Sir Arthur. Mister Sharpe war mir eine große Hilfe.«
Während Hogans Worten starrte Wellesley Sharpe an. »Sie hatten sich verirrt?«, fragte er kalt.
»Ich war abgeschnitten«, sagte Sharpe.
»Während des Rückzugs aus La Coruña?« »Jawohl, Sir«, sagte Sharpe. In Wirklichkeit hatte sich seine Einheit nach Vigo zurückgezogen, doch der Unterschied war nicht wichtig, und Sharpe hatte längst gelernt, ranghöheren Offizieren so kurz wie möglich zu antworten.
»Und wo, zum Teufel, sind Sie in diesen letzten paar Wochen gewesen?«, fragte Wellesley scharf. »Haben Sie sich verdrückt?«
»Jawohl, Sir«, sagte Sharpe, und die Stabsoffiziere versteiften sich bei dem Hauch von Frechheit bei dieser Antwort.
»Ich habe dem Lieutenant befohlen, eine junge englische Frau zu suchen, die vermisst wurde, Sir«, beeilte sich Hogan zu erklären. »Genauer gesagt, ich befahl ihm, Colonel Christopher zu begleiten.«
Die Erwähnung dieses Namens war wie ein Peitschenknall. Alle schwiegen, und der junge Zivilist, der so gewirkt hatte, als schliefe er in dem Lehnstuhl fast ein und überrascht die Augen aufgerissen hatte, als der Name »Sharpe« zum ersten Mal gefallen war, lauschte jetzt mit großer Aufmerksamkeit. Er war ein zu dünner junger Mann mit blassem Teint, der die Sonne fürchtete, und da war etwas Katzenhaftes, fast Feminines an seiner zerbrechlichen Erscheinung. Seine Kleidung war so elegant, dass sie gut in ein Londoner Modehaus oder einen Pariser Salon gepasst hätte, doch hier, mitten unter den ungewaschenen Uniformen der sonnengebräunten Offiziere wirkte er wie ein verwöhnter Schoßhund unter Straßenkötern. Er saß jetzt gerade aufgerichtet da und starrte Sharpe aufmerksam an.
»Colonel Christopher.« Wellesley brach das Schweigen. »Sie waren also mit ihm zusammen?«, fragte er Sharpe.
»General Cradock befahl mir, bei ihm zu bleiben, Sir«, sagte Sharpe und nahm den Befehl des Generals aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.
Wellesley warf nicht mal einen Blick darauf. »Was, zum Teufel, hat Cradock gemacht?«, blaffte er. »Christopher ist nicht mal ein durch Patent bestallter Offizier, er ist ein verdammter Speichellecker vom Auswärtigen Amt!« Diese letzten Worte galten dem blassen jungen Mann, der nichts sagte, sondern eine leicht wegwerfende Geste mit den feingliedrigen Fingern seiner rechten Hand machte. Er fing Sharpes Blick auf und änderte die Geste mit einem kleinen Winken, als heiße er ihn willkommen, und Sharpe erkannte jetzt überrascht, dass es Lord Pumphrey war, den er in Kopenhagen kennengelernt hatte. Seine Lordschaft, die geheimnisvoll prominent im Auswärtigen Amt war, wie Sharpe wusste, gab keine Erklärung für seine Anwesenheit in Oporto, als Wellesley General Cradocks schriftlichen Befehl nahm, ihn las und dann auf den Tisch zurücklegte. »Und was hat Ihnen Christopher befohlen?«, fragte er Sharpe.
»In einem Dorf namens Vila Real de Zedes zu bleiben, Sir.«
»Und was dort zu tun, bitte?«
»Getötet zu werden, Sir.«
»Getötet zu werden?«, fragte Sir Arthur in gefährlichem Tonfall. Er wusste, dass Sharpe unbesonnen war, und obwohl der Schütze ihm einst das Leben gerettet hatte, war Sir Arthur bereit, ihn zur Sau zu machen.
»Er brachte eine französische Streitmacht zum Dorf, Sir. Sie griff uns an.«
»Anscheinend nicht sehr wirkungsvoll«, sagte Wellesley sarkastisch.
»Nicht sehr, nein, Sir«, stimmte Sharpe zu, »aber es waren zwölfhundert Mann, und wir waren nur sechzig.« Er schwieg, und es herrschte Stille in dem großen Raum, als einige der Offiziere das Verhältnis ausrechneten. Zwanzig zu eins. Ein weiterer Donner grollte, und ein Blitzstrahl erhellte den Himmel im Westen.
»Zwölfhundert, Richard?«, fragte Hogan, und seine Stimme verriet, dass Sharpe die Zahl nicht übertreiben sollte.
»Es waren vermutlich mehr, Sir«, sagte Sharpe stoisch. »Das 31. Leger griff uns an, aber es wurde von mindestens einem Regiment Dragoner und einer Haubitze unterstützt. Jedoch nur einer, Sir, und wir sahen sie früh genug.« Er legte wieder eine Pause ein, und von Neuem herrschte Stille. Sharpe fiel ein, dass er seinen Verbündeten vergessen hatte, und er wandte sich wieder Wellesley zu. »Ich hatte Lieutenant Vicente bei mir, vom 18. portugiesischen Regiment, und er und seine ungefähr dreißig Jungs halfen uns sehr, aber ich muss leider sagen, dass er ein paar Mann verlor, und ich ebenfalls. Und einer meiner Männer ist desertiert, Sir. Das tut mir leid.«
Wieder herrschte Stille, diesmal viel länger. Die Offiziere starrten ihn an, und er versuchte die Kerzen auf dem großen Tisch zu zählen. Dann brach Lord Pumphrey das Schweigen. »Sie sagen uns, Lieutenant, dass Mister Christopher diese Soldaten brachte, um Sie anzugreifen?«
»Jawohl, Sir.«
Pumphrey lächelte. »Hat er sie gebracht? Oder wurde er von ihnen gebracht?«
»Er brachte sie«, sagte Sharpe, »und dann hatte er den Nerv, auf den Hügel zu kommen und mir zu sagen, dass der Krieg vorüber sei und wir ins Dorf in die Obhut der Franzosen spazieren sollten.«
»Danke, Lieutenant«, sagte Pumphrey mit übertriebener Höflichkeit.
Es folgte weiteres Schweigen, dann räusperte sich Colonel Waters. »Sie werden sich erinnern, Sir«, sagte er leise, »dass es Lieutenant Sharpe war, der uns heute Morgen die Boote besorgte.« Mit anderen Worten sagte er Sir Arthur Wellesley, dass er ein wenig dankbar sein konnte. Doch Sir Arthur war nicht in der Stimmung, Dankbarkeit zu zeigen. Er starrte Sharpe nur an.
Dann erinnerte sich Hogan an den Brief, den er aus dem Haus Beautiful gerettet hatte, und er zog ihn aus der Tasche. »Der ist für Sie, Lieutenant«, sagte er und hielt Sharpe den Brief hin. »Er war nicht versiegelt, und so nahm ich mir die Freiheit, ihn zu lesen.«
Sharpe entfaltete das Papier. »Er geht mit den Franzosen«, las er, »und zwingt mich, ihn zu begleiten, aber ich will das nicht.« Es war mit »Kate« unterzeichnet und offensichtlich in größter Eile geschrieben.
»Ich nehme an, mit ›er‹ ist Christopher gemeint?« Hogan blickte Sharpe fragend an.
»Jawohl, Sir.«
»Der Grund, weshalb die junge Dame im März von zu Hause fortlief, war also Colonel Christopher?«
»Jawohl, Sir.«
»Ist sie verliebt in ihn?«
»Sie ist mit ihm verheiratet«, sagte Sharpe und wusste nicht, warum Lord Pumphrey ihn überrascht ansah.
»Vor ein paar Wochen ...«, Hogan sprach jetzt zu Wellesley, »... hat Colonel Christopher Miss Savages Mutter den Hof gemacht.«
»Hilft uns irgendetwas von diesem albernen Gerede zu erkennen, was Christopher macht?«, fragte Sir Arthur schroff.
»Es ist zumindest amüsant«, sagte Pumphrey. Er stand auf, schnippte ein Staubkorn von seiner Manschette und lächelte Sharpe an. »Haben Sie wirklich gesagt, dass Christopher dieses Mädchen geheiratet hat?«
»Ja, das hat er.«
»Dann ist er ein böser Bube«, sagte Lord Pumphrey heiter, »denn er ist bereits verheiratet.« Seine Lordschaft genoss sichtlich seine Enthüllung. »Er heiratete vor zehn Jahren Pearce Courtnells Tochter in dem Glauben, dass sie achttausend Pfund pro Jahr wert sei, und dann stellte sich heraus, dass sie kaum einen Sixpence wert ist. Es ist, wie ich hörte, keine glückliche Ehe, und kann ich davon ausgehen, Sir Arthur, dass Lieutenant Sharpes Neuigkeiten unsere Fragen über Colonel Christophers wahre Loyalität beantworten?«