Hogan hatte das Fenster geöffnet, um den Regen zu riechen, doch jetzt wandte er sich zu Sharpe um. »Wir müssen gehen, Richard. Wir haben einiges zu planen.«
»Jawohl, Sir.« Sharpe nahm seinen zerschrammten Tschako, doch dann wollte er noch eine Frage stellen. »Mylord?«
»Richard?«, erwiderte Lord Pumphrey ernst. »Erinnern Sie sich an Astrid?«, fragte Sharpe verlegen.
»Natürlich erinnere ich mich an die schöne Astrid«, antwortete Pumphrey glatt. »Ole Skovgaards nette Tochter.«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie Neuigkeiten von ihr haben, Mylord«, sagte Sharpe, und das Blut schoss ihm in die Wangen.
Lord Pumphrey hatte Neuigkeiten von ihr, aber keine, die er Sharpe sagen wollte, denn die Wahrheit war, dass Astrid und ihr Vater in ihren Gräbern lagen, die Kehlen durchgeschnitten auf Pumphreys Befehl hin. »Ich hörte«, sagte Seine Lordschaft freundlich, »dass es in Kopenhagen eine ansteckende Krankheit gab. Malaria, vielleicht. Oder war es Cholera? Leider, Richard.« Er breitete die Hände aus. »Ist sie tot?«
»Das befürchte ich.«
»Oh.« Sharpe blinzelte. Bis vor Kurzem hatte er noch gedacht, die Armee zu verlassen und ein neues Leben mit Astrid im sauberen, anständigen Dänemark anzufangen. »Das tut mir leid«, entfuhr es ihm.
»Mir ebenso«, sagte Lord Pumphrey leichthin. »So sehr leid. Aber sagen Sie mir, Richard, kann man Miss Savage auch als schön bezeichnen?«
»Ja«, sagte Sharpe, »das ist sie.«
»Das dachte ich mir«, sagte Lord Pumphrey resigniert.
»Und sie wird sterben«, blaffte Hogan Sharpe an, »wenn wir uns nicht beeilen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Sharpe und beeilte sich.
Hogan und Sharpe gingen bergauf durch den nächtlichen Regen zu einem Schulgebäude, das Sharpe als Quartier für seine Männer beschlagnahmt hatte. »Wissen Sie, dass Lord Pumphrey ein Bandit ist?«, fragte Hogan ärgerlich.
»Natürlich weiß ich das.«
»Dafür kann er aufgehängt werden«, meinte Hogan ärgerlich. »Ich mag ihn trotzdem«, sagte Sharpe.
»Er ist eine Schlange. Wie fast alle Diplomaten. Schlimmer als Anwälte.«
»Er ist immerhin nicht hochnäsig«, wandte Sharpe ein.
»Es gibt nichts, das Lord Pumphrey mehr sein möchte als hochnäsig zu Ihnen, Richard.« Er lachte. Seine Stimmung hatte sich offenbar gebessert. »Und wie, zur Hölle, sollen wir dieses arme Mädchen, diese zickige Kate, und ihren verkommenen Ehemann finden?«
»Wir?«, fragte Sharpe. »Sie kommen mit?«
»Dies ist viel zu wichtig, als es einem popeligen englischen Lieutenant zu überlassen«, sagte Hogan. »Dies ist eine Sache, die von der Klugheit eines Iren erledigt werden muss.«
Einmal im Schulhaus, ließen sich Sharpe und Hogan in der Küche nieder, wo die französischen Besatzer der Stadt einen unbeschädigten Tisch zurückgelassen hatten, und weil Hogan seine gute Landkarte im Generalhauptquartier zurückgelassen hatte, benutzte er ein Stück Kreide, um eine gröbere Version der Karte auf die geschrubbte Tischplatte zu zeichnen.
Aus dem Hauptraum der Schule, dort wo Sharpes Männer ihre Decken ausgebreitet hatten, ertönte Frauengelächter. Meine Männer, dachte Sharpe, sind kaum einen Tag in der Stadt, doch sie haben bereits ein Dutzend Mädchen gefunden.
»Die beste Möglichkeit, die Sprache zu lernen, Sir«, hatte Harper ihm versichert, »und es mangelt uns allen an Bildung, Sir, wie Sie zweifellos wissen.«
»In Ordnung!« Hogan trat die Küchentür zu. »Sehen Sie sich die Karte an, Richard.« Er zeigte, wie die Briten von der Küste Portugals heraufgekommen waren und die Franzosen aus Oporto vertrieben hatten und wie gleichzeitig die portugiesische Armee im Osten angegriffen hatte. »Sie haben Amarante wieder eingenommen, was gut ist, denn es bedeutet, dass Soult die Brücke nicht überqueren kann. Er kann nicht mehr weiter, und so bleibt ihm keine Wahl. Er muss durch die Hügel im Norden, um ein Sträßchen hier hinauf zu finden ...«, die Kreide kratzte, als er eine gewundene Linie auf die Tischplatte zeichnete, »... und es ist eine höllisch miese Straße. Wenn die Portugiesen in diesem gottverdammten Wetter gut marschieren, können sie die Straße hier ...«, er markierte mit der Kreide ein Kreuz, »... abschneiden. Dort ist eine Brücke namens Ponte Nova. Erinnern Sie sich daran?«
Sharpe schüttelte den Kopf. Er hatte mit Hogan so viele Brücken gesehen, dass er sich nicht mehr an jede einzelne erinnern konnte.
»Die Ponte Nova«, sagte Hogan, »das heißt die Neue Brücke, und natürlich ist sie fast so alt wie die Hügel, und nur ein Fass Pulver wird sie zusammenkrachen und in die Schlucht stürzen lassen, und dann, Richard, ist Soult erledigt. Aber das ist er nur, wenn die Portugiesen früh dorthin gelangen können.« Er blickte finster drein, denn das Wetter war alles andere als günstig für einen schnellen Marsch durch die Berge. »Und wenn sie Soult nicht an der Ponte Nova stoppen können, dann besteht noch eine halbe Chance, dass sie ihn an der Saltador erwischen. An diese Brücke erinnern Sie sich doch bestimmt?«
»Ja, ich erinnere mich«, bestätigte Sharpe.
Die Saltador war hoch oben in den Bergen eine Steinbrücke, die eine tiefe und schmale Schlucht überspannte, und dieser spektakuläre Bogen hatte ihr den Spitznamen »Der Springer«, portugiesisch Saltador, gegeben. Sharpe erinnerte sich, dass Hogan sie kartografiert hatte, sah vor seinem geistigen Auge ein kleines Dorf aus niedrigen Steinhäusern, aber hauptsächlich war ihm der reißende Gebirgsfluss in Erinnerung geblieben, der unter der erhabenen Brücke hinabstürzte.
»Wenn sie es bis zur Saltador schaffen und sie überqueren«, sagte Hogan, »dann können wir ihnen zum Abschied nur noch nachwinken und sie verfluchen. Dann sind sie entkommen.« Er zuckte zusammen, als Gewitterdonner ihn an das Wetter erinnerte. Seufzend sagte er: »Wir können nicht mehr als unser Bestes tun.«
»Und was genau werden wir tun?«, wollte Sharpe wissen.
»Das, Richard, ist eine gute Frage«, sagte Hogan. Er bediente sich mit einer Prise Schnupftabak und nieste dann heftig. »Gott helfe mir, aber die Ärzte sagen, es klärt die Atemwege, welche Wege sie auch immer damit meinen. Nun, meiner Meinung nach kann zweierlei passieren.« Er markierte mit der Kreide die Ponte Nova. »Wenn die Franzosen bei dieser Brücke gestoppt werden, dann werden die meisten kapitulieren, denn sie haben keine Wahl. Einige werden in die Hügel entkommen, aber sie werden überall auf bewaffnete Bauern stoßen, die nach Kehlen oder sonstigen Körperteilen suchen, die sie durchschneiden können. So werden wir entweder Mister Christopher bei der Armee finden, wenn sie kapituliert, oder - wahrscheinlicher - er wird flüchten und behaupten, ein entkommener englischer Gefangener zu sein. In diesem Fall reiten wir in die Berge, finden ihn und stellen ihn gegen eine Wand.«
»Wirklich?«
»Macht Ihnen das Sorgen?«
»Ich würde ihn lieber aufhängen.«
»Wir können die Methode diskutieren, wenn es so weit ist. Aber lassen Sie uns jetzt über den zweiten Punkt reden, der passieren kann. Das ist die Möglichkeit, dass die Franzosen nicht vor der Ponte Nova gestoppt werden. In diesem Fall müssen wir die Saltador erreichen.«
»Warum?«
»Denken Sie daran, wie es war, Richard«, sagte Hogan. »Eine tiefe Schlucht, steile Hänge überall, die Art Ort, wo Schützen sehr wirkungsvoll sein können. Und wenn die Franzosen die Brücke überqueren, werden wir ihn sehen, und Ihre Baker-Gewehre werden erledigen, was nötig ist.«
»Können wir nahe genug herankommen?«, fragte Sharpe und versuchte sich an das Terrain um die Brücke zu erinnern.
»Es gibt steile Abhänge und hohe Felsvorsprünge. Ich schätze, dass Sie bis auf zweihundert Schritte an die Brücke herankommen können.«