Vicente war immer noch verwirrt, und nachdem er keine Antwort von seinen Gefährten erhalten hatte, versuchte er es von Neuem. »Ich verstehe wirklich nicht«, sagte er sehr ernst, »warum die Iren für den englischen König kämpfen.«
Harris holte Luft, wie um zu antworten, doch dann fing er einen wilden Blick von Sharpe auf und besann sich anders. Harper begann »Over the Hills and Far Away« zu pfeifen, dann musste er über die angespannte Stille lachen, die schließlich von Hogan gebrochen wurde.
»Es ist der Hunger«, erklärte der Pionier Vicente. »Hunger und Armut und Arbeitslosigkeit. Weil es für einen guten Mann viel zu wenig Arbeit zu Hause gibt und wir immer ein Volk gewesen sind, das einen guten Kampf genießt.«
Vincent war fasziniert von der Antwort. »Und das trifft auf Sie zu, Captain?«, fragte er.
»Nicht für mich«, räumte Hogan ein. »Meine Familie hat immer etwas Geld gehabt. Nicht viel, aber wir brauchten nur das dünne Erdreich aufzukratzen, um unser tägliches Brot zu verdienen. Nein, ich ging zur Armee, weil ich gern ein Pionier bin. Ich liebe praktische Dinge, und dies war die beste Möglichkeit, zu tun, was ich gern tue. Aber jemand wie Sergeant Harper?« Er musterte Harper. »Ich wage zu sagen, dass er hier ist, weil er sonst verhungern würde.«
»Stimmt«, sagte Harper.
»Und Sie hassen die Engländer?« Vicente blickte Harper fragend an.
»Passen Sie auf, was Sie sagen«, mahnte Sharpe.
»Ich hasse den verdammten Boden, auf dem die Bastarde gehen, Sir«, sagte Harper heiter, dann sah er, dass Vicente einen bestürzten Blick zu Sharpe warf. »Ich sage nicht, dass ich alle hasse«, fügte er hinzu.
»Das Leben ist kompliziert«, sagte Hogan. »Ich meine, es gibt eine portugiesische Legion in der französischen Armee, habe ich gehört.«
Vicente blickte verlegen drein. »Sie glaubt an französische Ideen, Sir.«
»Ah! Ideen«, sagte Hogan. »Sie sind viel gefährlicher als große oder kleine Nachbarn. Ich glaube nicht an den Kampf für Ideen ...«, er schüttelte den Kopf, »... und Sergeant Harper ebenfalls nicht.«
»Ich nicht?«, fragte Harper.
»Nein, verdammt nicht«, schnarrte Sharpe.
»Woran glauben Sie dann?«, wollte Vicente wissen.
»An die Dreifaltigkeit, Sir«, sagte Harper salbungsvoll.
»An die Dreifaltigkeit?« Vicente war überrascht.
»An das Baker-Gewehr«, sagte Sharpe, »das Bajonett und mich.«
»An die glaube ich auch«, gab Harper zu und lachte.
Hogan versuchte Vicente zu helfen. »Es ist so wie in einem Haus, wo es eine unglückliche Ehe gibt, und Sie stellen eine Frage über Treue. Damit verursachen Sie Peinlichkeit. Niemand will darüber reden.«
»Harris!«, sagte Sharpe, als er sah, dass der rothaarige Schütze etwas sagen wollte.
»Ich wollte nur melden, dass auf dem Hügel dort drüben ein Dutzend Reiter ist.«
Sharpe drehte sich gerade noch rechtzeitig um und sah die Reiter über die Hügelkuppe verschwinden. Der Regen war so dicht, und die Lichtverhältnisse waren zu schlecht, um zu erkennen, ob sie Uniform getragen hatten, aber Hogan meinte, dass die Franzosen Kavallerie-Patrouillen vorausgeschickt haben konnten, die ihren Rückzug sicherten. »Sie wollen wissen, ob wir über Braga gekommen sind«, erklärte er, »und wenn nicht, dann würden sie auf diesen Weg abbiegen und versuchen, nach Pontevedra zu entkommen.«
Sharpe spähte zum fernen Hügel. »Wenn Kavallerie in dieser Gegend ist, dann will ich nicht auf der Straße erwischt werden.« Es war der einzige Platz in einer albtraumhaften Landschaft, wo Reiter einen Vorteil haben würden.
Um den feindlichen Reitern auszuweichen, marschierten sie nach Norden in die Wildnis. Das bedeutete, dass sie den Cavado durchqueren mussten, was sie in einer tiefen Furt schafften. Sie gelangten nun zu hohen Sommerweiden. Sharpe blickte ständig zurück, sah aber kein Anzeichen auf die Reiter. Der Pfad in die Wildnis stieg an. Die Hügel waren steil, die Täler tief und das hohe Terrain kahl bis auf Stechginster, Farne, dünnes Gras und gerundete Felsbrocken, wovon einige so gefährlich auf anderen balancierten, dass es aussah, als könne die Berührung eines Kindes sie die steil abfallenden Hänge hinunterstürzen lassen. Das Gras taugte nur für ein paar Schafe und wild lebende Ziegen, die von Bergwölfen und Luchsen gefressen wurden.
Das einzige Dorf, das sie passierten, war ärmlich mit ein paar kleinen Gemüsegärten und angepflockten Ziegen. Von den Bewohnern war nichts zu sehen, nur drei knochige Rinder glotzten die Soldaten an, als sie vorübergingen.
Sie kletterten noch höher, wandten sich wieder nach Osten und folgten einem felsigen Höhenrücken, wo große Felsblöcke es jeder Kavallerie schwer machten, sich zu formieren und anzugreifen, und Sharpe blickte südwärts und sah nichts, was auf eine Gefahr hinwies. Doch die Reiter waren da gewesen, und es konnten noch mehr sein, denn er verfolgte eine verzweifelte Armee, die nach anfänglichem Erfolg an einem einzigen Tag schmählich besiegt worden war.
Es war ein harter Weg durch die Hügel. Jede Stunde legten sie nach den Strapazen eine Rast ein, dann mühten sie sich weiter. Alle waren durchnässt, müde und verfroren. Der kalte Wind war jetzt nach Osten gedreht und schlug ihnen ins Gesicht. Die Gewehrriemen rieben ihnen die Schultern wund. Am Nachmittag ließ der Regen schließlich nach, doch der kühle Wind machte ihnen weiterhin zu schaffen. Bei Einbruch der Dunkelheit fühlten sie sich so erschöpft, wie sie es beim schrecklichen Rückzug nach Vigo gewesen waren. Sharpe führte sie vom dem Höhenrücken hinab zu einem verlassenen Dörfchen mit kleinen Steinhütten, deren Dächer mit Grassoden bedeckt waren.
»Genau wie zu Hause«, sagte Harper glücklich.
Die trockensten Schlafplätze waren zwei längliche Kornkammern, deren Inhalt man vor Ratten geschützt hatte, indem man die Speicher auf Pfählen errichtet hatte, und die Männer drängten sich in den engen Häuschen, während Sharpe, Hogan und Vicente die letzte verfallene Hütte teilten. Sharpe brachte aus feuchtem Brennholz ein Feuer in Gang und bereitete Tee zu.
»Die unentbehrlichste Fähigkeit eines Soldaten«, sagte Hogan, als Sharpe ihm den Tee brachte.
»Was ist das?«, fragte Vicente begierig, denn er wollte sein neues Handwerk perfekt lernen.
»Feuer aus nassem Holz machen«, sagte Hogan.
»Sollten Sie keinen Diener haben?«, fragte Sharpe.
»Ja, aber Sie ebenfalls, Richard.«
»Mir steht kein Diener zu«, sagte Sharpe.
»Mir auch nicht«, sagte Hogan, »aber Sie haben einen großartigen Job mit diesem Tee geleistet, und wenn Seine Majestät jemals entscheidet, dass er keinen Londoner Strolch mehr als einen seiner Offiziere haben will, dann werde ich Sie als Diener nehmen.«
Posten wurden aufgestellt, weiterer Tee zubereitet und feucht gewordener Tabak in Tonpfeifen angezündet. Hogan und Vicente begannen eine hitzige Diskussion über einen Mann namens Hume, über den Sharpe noch nie etwas gehört hatte. Es war ein toter schottischer Philosoph, der anscheinend gesagt hatte, »nichts ist sicher«, und Sharpe fragte sich, warum jemand sich die Mühe machen sollte, etwas von ihm zu lesen, geschweige denn über ihn zu diskutieren, doch die Debatte lenkte sie ab. Sharpe, gelangweilt von dem Gerede, ging die Posten inspizieren.
Der Regen hatte wieder eingesetzt, dann zuckte ein Blitz über den Himmel, gefolgt von rollendem Donner. Sharpe duckte sich mit Harris und Perkins in eine höhlenartige Nische, wo einige verwelkte Blumen vor einer traurig dreinblickenden Statue der Jungfrau Maria lagen.
»Jesus weint«, kündigte Harper sich an, als er durch den Regenguss platschte und sich zwischen die drei Männer quetschte. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind, Sir«, sagte er. »Ich habe den Jungs etwas Posten-Saft gebracht.« Er hielt eine hölzerne Feldflasche mit heißem Tee in der Hand. »Jesus«, fuhr er fort, »man kann in diesem verdammten Regen dort draußen praktisch nichts sehen.«