Sharpe lieh sich Hogans Fernrohr und starrte auf die Brücke. Sie hatte zwei gewaltige Pfeiler auf jedem Ufer, und der Fluss war von zwei großen Balken überspannt, auf der die hölzerne Fahrbahn ruhte. Die Männer der ordenança , die vermutlich nicht die ganze Brücke neu bauen wollten, wenn die Franzosen besiegt waren, hatten die Holzplanken der Fahrbahn entfernt, die beiden enormen Balken jedoch an Ort und Stelle gelassen. Dann hatten sie am Ende des Dorfes auf der Ostseite der Brücke Gräben ausgehoben, aus denen sie die halb entkleidete Brücke mit Musketen beschießen konnten.
»Es könnte klappen«, murmelte Sharpe.
»Und was würden Sie tun, wenn Sie die Franzosen wären?«, fragte Hogan.
Sharpe starrte in den Engpass hinab und blickte nach Westen. Er konnte die dunkle Schlange der Franzosen auf der Straße kommen sehen, doch weiter zurück gab es keinerlei Anzeichen auf britische Verfolgung. »Warten bis zum Einbruch der Dunkelheit, dann über die Balken angreifen.«
Die ordenança war willig, aber es war wenig mehr als ein Pöbelhaufen, und solche Männer konnten leicht in Panik geraten. Schlimmer, dort waren nicht genug Männer bei der Ponte Nova. Es wären mehr als genug gewesen, wenn die Brücke völlig eingestürzt wäre, doch die beiden Balken waren wie eine Einladung für die Franzosen.
Sharpe richtete das Fernrohr wieder auf die Brücke. »Die Balken sind breit genug, um darauf zu gehen«, sagte er. »Sie werden in der Nacht angreifen. Hoffen wir, dass sie die Verteidiger nicht im Schlaf überraschen.«
»Hoffen wir, dass die ordenança wach bleibt«, sagte Hogan und glitt von dem Maultier. »Und wir werden warten.«
»Warten?«
»Wenn sie hier gestoppt werden«, erklärte Hogan, »dann ist dieser Platz so gut wie jeder andere, um nach Mister Christopher Ausschau zu halten. Und wenn die Franzosen über die Brücke gelangen ...« Er verstummte und zuckte mit den Schultern.
»Ich sollte zur ordenança runtergehen«, sagte Sharpe, »und ihnen sagen, dass sie die Balken entfernen müssen.«
»Und wie sollen sie das schaffen, wenn Dragoner vom anderen Ufer aus auf sie feuern?«, fragte Hogan. Die Dragoner waren abgesessen und hatten sich auf dem Westufer verteilt, und Hogan konnte die weißen Pulverrauchwölkchen ihrer Karabiner sehen. »Es ist zu spät, um zu helfen, Richard«, sagte Hogan. »Sie bleiben hier.«
Sie schlugen ein Lager zwischen den Felsbrocken auf. Die Dunkelheit brach schnell herein, denn es hatte wieder zu regnen begonnen und die Wolken verdeckten die untergehende Sonne. Sharpe ließ seine Männer Feuer anzünden, damit sie sich Tee zubereiten konnten. Die Franzosen würden die Feuer sehen, aber das machte nichts, denn die Dunkelheit hüllte das Hügelland ein und unzählige Lichtpunkte waren in den Hügeln zu sehen. Die Partisanen versammelten sich. Sie kamen aus dem gesamten nördlichen Portugal, um zu helfen, die französische Armee zu zerstören.
Eine Armee, die durchfroren, durchnässt, hungrig und völlig erschöpft war - und in der Falle saß.
Major Dulong litt immer noch an seiner Niederlage bei Vila Real de Zedes. Die Schwellung in seinem Gesicht war zurückgegangen, doch die Erinnerung an die Niederlage schmerzte noch. Manchmal dachte er an den Schützen, der ihn besiegt hatte, und wünschte sich den Mann in der 31. Leger. Er wünschte sich ebenfalls, dass die 31. Leger mit Gewehren bewaffnet werden konnte, doch das war illusorisch, denn der Kaiser wollte nichts von Gewehren hören. Zu kompliziert, zu langsam, eine Weiber-Waffe, sagte er. Vive le fusil.
Jetzt, bei der alten Brücke, die Ponte Nova genannt wurde, hatte man Dulong zu Marschall Soult zitiert, weil dem Marschall zu Ohren gekommen war, dass Major Dulong der beste und tapferste Soldat in seiner ganzen Armee war. Man sieht es ihm mit zerlumpter Uniform und dem narbigen Gesicht gar nicht an, dachte der Marschall. Dulong hatte den leuchtenden Federbusch von seinem Helm abgenommen, in ein Wachstuch gewickelt und an seine Säbelscheide gebunden. Er hatte gehofft, diesen Federbusch zu tragen, wenn sein Regiment in Lissabon einmarschierte, doch es hatte den Anschein, dass es nicht sein sollte. Jedenfalls nicht in diesem Frühjahr.
Soult ging mit Dulong einen kleinen Hügel hinauf, von wo aus er die Brücke mit ihren beiden Balken und jenseits davon die höhnische ordenança sehen konnte. »Es sind nicht viele«, bemerkte Soult, »dreihundert?«
»Mehr«, sagte Dulong, und es klang wie ein unwilliges Grunzen.
»Wie wollen Sie sie loswerden?«
Dulong schaute sich durch ein Fernrohr die Brücke an. Die Balken waren ungefähr einen halben Yard breit, mehr als ausreichend, doch der Regen würde sie zweifellos glitschig machen. Er hob das Fernrohr etwas an und sah, dass die Portugiesen Gräben ausgehoben hatten, aus denen sie direkt an den Balken entlangfeuern konnten. Aber die Nacht wird finster sein, dachte Dulong, der Mond von Wolken verdeckt.
»Ich würde hundert Freiwillige brauchen«, sagte er, »fünfzig für jeden Balken, und um Mitternacht losgehen.« Der Regen wurde stärker, und die Abenddämmerung war kalt. Die portugiesischen Musketen würden kalt und durchnässt sein, und die Männer dahinter würden frieren. »Hundert Mann«, versprach Dulong dem Marschall, »und die Brücke ist Ihre.«
Soult nickte. »Wenn Sie Erfolg haben, Major, dann lassen Sie mich sofort informieren. Aber wenn Sie scheitern, will ich nichts davon hören.« Er wandte sich um und ging davon.
Dulong kehrte zum 31. Leger zurück und fragte nach Freiwilligen. Es überraschte ihn nicht, dass das gesamte Regiment vortrat, und so bestimmte er ein Dutzend gute Feldwebel und ließ sie den Rest auswählen, und er warnte die Männer, dass es bei dem Kampf schmutzig, kalt und nass sein würde.
»Wir werden das Bajonett benutzen«, sagte er, »weil die Musketen bei diesem Wetter nicht feuern werden. Außerdem würden wir, wenn wir einen Schuss abgegeben haben, keine Zeit zum Aufladen haben.« Er spielte mit dem Gedanken, sie daran zu erinnern, dass sie ihm nach ihrem Widerwillen, in das Gewehrfeuer vom Wachturm-Hügel bei Vila Real de Zedes vorzurücken, einen Beweis ihrer Tapferkeit schuldig waren, doch dann sagte er sich, dass sie alle das ohnehin wussten, und so hielt er den Mund.
Dulong verbot seinen Männern, Feuer anzuzünden. Sie murrten, doch Dulong ließ sich nicht erweichen. Die ordenança auf der anderen Seite des Flusses wähnte sich in Sicherheit, und so machten sie in einer der Hütten hoch oberhalb der Brücke Feuer im Kamin, damit sich ihre Offiziere warm halten konnten. Die Hütte hatte ein kleines Fenster, und gerade genug Feuerschein fiel hinaus, dass es sich auf der Nässe der Balken, die den Fluss überspannten, widerspiegelte. Der schwache Widerschein schimmerte im Regen, aber er diente Dulongs Freiwilligen als Wegweiser.
Sie zogen um Mitternacht los, zwei Kolonnen, jede aus fünfzig Mann, und Dulong befahl ihnen, über die Balken der Brücke zu rennen. Er führte die rechte Kolonne an, den Säbel gezogen, und die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Flusses unter ihnen, das Pfeifen des Windes zwischen den Felsen, das Hämmern ihrer Schritte und ein kurzer Aufschrei, als ein Mann ausrutschte und in den Cavado stürzte. Dann erkletterte Dulong den Hang. Er fand den ersten Graben leer vor und nahm an, die ordenança hätte Schutz in den kleinen Schuppen jenseits des zweiten Grabens gefunden und die Männer wären so blöde gewesen, nicht mal einen Posten bei der Brücke zu lassen. Selbst ein Hund hätte sie vor einem französischen Angriff warnen können, doch Männer und Hunde hatten Schutz vor dem Wetter gesucht.