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Ein digitaler Tusch, ein Lichtwechsel, und die eigens engagierte Moderatorin, die kleinbusige Wetterfee eines drittrangigen Privatsenders, stieß zu ihm, las säuselnd diktierte Fragen von ihren transparenten Notizpappen ab und lächelte die vorgestanzten Antworten herbei, um sie interessiert abzunicken. Beiläufig verpfuschte der Plastikcharme ihrer Nachfragen die eh schon dürftigen Pointen.

Thorstens Blick wanderte über die Landschaft aus Hunderten von Pächterköpfen. Eine gewisse Bräsigkeit, ein Unmut wie von Schülern aus der letzten Reihe schien langsam um sich zu greifen: Schlecht frisierte Häupter steckten sich unter missmutigem Tuscheln zusammen, Füße wippten ungeduldig, schlichte Gesichter glotzten unverständig auf die wechselnden Prozentkuchenstücke an der Wand, und in der Erstarrung der konzentrierten Mienen flackerte ein stiller, stolzer Trotz auf.

Er blickte wieder auf die Bühne. Zur Veranschaulichung der «gesamteuropäischen Servicetradition» des Unternehmens wurden nun vier Werbefilmchen aus England, Frankreich, Spanien und Belgien gezeigt, bunt, kaleidoskopisch, simpel. Thorstens Chef, Harm van Dijk, rauschte heran, an seiner Seite ein Praktikantenbunny, das Thorsten ausdruckslos und unter strichgezupften Augenbrauen anblickte. Kurz stellte er sich das Bunny nackt vor, runde Apfelbrüste, gespreizte Beine, spritz ab, während sein Chef ihm mit Odol-Atem etwas von «Planogrammwechsel» und «Ready-to-Drink-Markt» zuflüsterte und alles Gute wünschte. Die Praktikantin lächelte und rückte einen Schulterträger zurecht.

Thorsten lächelte zurück und sah eine Spermaspur über ihrem Auge. Der nächste Programmpunkt wurde von einem hektischen, bassunterlegten Trailer angekündigt: das Kundenbindungsprogramm BUY&GET. Peter Stein, der grantige Leiter des Customer’s Consulting, betrat die Bühne, ordnete seine Gesichtszüge, zog die Krawatte zurecht und begann zu reden.

Thorstens Herz hüpfte wild. Als Nächster war er dran. Schweiß sickerte ihm in den Kragen. Er memorierte die Struktur seines Vortrags, starrte auf den PDF-Ausdruck der verschiedenen Folien, der Planogramme, der Nielsen-Daten. Vier Praktikantinnen schlichen an ihm vorüber. Sein Blick verhakte sich in eine Löwenmähne voll blondierter Strähnchen und strohigem Spliss. Die Luft war seltsam trocken. Ihm stockte der Atem. Die Statistiken flirrten auf dem Papier, das Logo darüber schillerte wie ein Hologramm. Er hatte Durst auf etwas Dickflüssiges, eine Bloody Mary oder einen Whiskey. Er versuchte, sich auf den Vortrag zu konzentrieren. Stein war bereits beim Vergleich mit SMARTSHOP, dem Kundenbindungsprogramm der Konkurrenz: Werbepartner, Sonderaktionen, Punktesystem. So weit schon? Das hieß, es blieb kaum mehr Zeit. Er schluckte. Schon war sie vorbei.

Die Wetterfee (Thorsten stellte sie sich kurz im Wald vor, an einem Baum, im Stehen, weißes Schlüsselbein, beglückter Mund, Dreck) enterte die Bühne, lächelte professionell, schüttelte Stein die Hände, es regnete Blumen und Logos. Dann hörte Thorsten seinen Namen, erschrak und trat hervor. Das Licht fuchtelte in seinem Gesicht herum. Alles verschwamm. Er lächelte. Ich bin der Space Manager, der Spaceman, dachte er, ein Superheld, ein Außerirdischer. Ich kenne keine Angst. Er nahm die drei Stufen zum Podest, dabei ging ihm die Melodie des One-Hit-Wonders «Spaceman» von Babylon Zoo aus dem Jahre 1996 durch den Kopf. Seine Haut spannte wie Latex. Ich bin nicht von dieser Welt, dachte er.

«Vielen Dank, Deborah.» Er blickte in das vielköpfige Dunkel, das seine Stimme aufsog. «Mein Name ist, wie Sie gehört haben, Thorsten Kühnemund», sagte er, ohne sich zu hören. «Ich möchte Ihnen nun kurz den Bereich Space Management vorstellen.»

Nach dem Vortrag nickte er verbindlich, durchschritt den freundlichen Applaus, ließ sich kurz gratulieren von Chef und Praktikantin, lächelte, schnappte sich ein Gatorade, stürzte es, so wenig gierig wie möglich, hinunter und entschuldigte sich, in einer Stunde sei er wieder da. Er ging am Buffet entlang, möglichst unauffällig, an verwaschenen Figuren vorbei, Marmortreppen hinab auf die Toilette, dort in eine Zelle, stützte sich über die Kloschüssel und ließ das Gatorade lautlos ins Klo laufen. Es war orange und flockte. Dann spülte er sich den Mund aus, checkte fletschend seine Zähne, trank einen Jägermeister, warf ein Fisherman’s Friend ein und verließ das Klo.

Space Management auch dies: eine fast leere Plattenbauwohnung, ein leise summender Kühlschrank, ein hell lackierter Küchentisch, eine nackte Matratze auf dem Boden. Und zwei Körper, die sich aneinander rieben.

Seit Monaten unterhielt Thorsten jetzt die Affäre mit der Popjournalistin. Von außen war es offensichtlich: Anstatt sich der latenten und seltsam milden Panik, die ihn sofort nach dem Beziehen der gemeinsamen Wohnung beschlichen hatte, auf gesunde Weise zu stellen und sie gegenüber Laura offen zur Sprache zu bringen, hatte er sie verdrängt und mit Schichten von Liebesschwüren überdeckt. Hatte in einer vergessenen Nacht in einem vergessenen Club die erste Gelegenheit zur Affäre genutzt, erst mehr instinktiv als geplant die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit ausgebaut, dann geheime Treffen arrangiert, der Frau ebenso alberne wie geschmackvolle Geschenke gemacht, sie täglich mit intelligenten E-Mails umgarnt und auf diese Weise langsam für sich gewonnen, ohne selbst zu wissen, warum. Nach ersten Stunden des (wie sie es einmal nannte) kinskihaften Klischeefickens an dreckigen Orten und in verbotenen Betten (denn auch die Popjournalistin steckte inmitten einer Beziehung) trafen sie sich inzwischen dreibis viermal in der Woche in der angemieteten, kahlen und billigen Plattenbauwohnung in der Leipziger Straße. Dort lag die Matratze, summte der Kühlschrank, schwieg der Tisch, an den sie sich gewöhnlich nach dem Akt setzten und verlegen einige Dinge ihres bisherigen Tages besprachen. Dort hing die nackte Glühbirne und beleuchtete die säuberlich über die Stuhllehne gelegte Krawatte schwach.

Und dort war er auch jetzt, in der Mittagspause, und nahm seine Affäre von hinten, ein Kitzeln in der Nase, das sich in keinem Niesen entladen wollte. Sein Rücken brannte.

Perfekte Haut, geschrumpfte Zeit. Ein Swimmingpool strahlt blau von der Leinwand herab, spiegelt sich im Augenweiß der Leute. Zwei perlweiße Zahnreihen knacken einen glänzend harten, schwarzbraunen Schokoladensplitter entzwei. Ausgeflippt tuende Kerle mit roten oder gelben Frisuren springen zackig auf und ab und freuen sich ganz wahnsinnig. Cowboys führen der Kamera ihre Lassokunststücke vor, reinste Artisten in einer Scheune unter der glühenden Sonne Nevadas.

Kaskaden von Leere stürzten durch Lauras Brust, im Hals spürte sie ein Hämmern, in den Adern Überdruck. Wort um Wort zählte sie die Sätze ab im Takt der Musik, wollte verstehen und nachdenken, verstehen und nachdenken, Assoziationsketten bilden, dann würde es besser werden. Die Werbespots schienen jedoch nicht von der Stelle zu kommen, sie liefen zäh wie alter Honig.

Die Lippen des Politikers im nächsten Spot waren verhärmt und verkniffen. Lauras Augen verguckten sich in den nach unten wegfallenden Mundwinkel. Zwar lachte der Politiker triumphal, doch sein Mund sprach eine andere Sprache. Laura wollte sich zwingen, die politische Lage zu rekapitulieren, die Biographie des Mannes abzurufen, um nicht an sich selbst denken zu müssen, wie sie da im Kino saß, neben ihr Thorsten, und zu nahe um sie herum andere dunkle Menschen.

Eine Frau gleitet durch einen Swimmingpool, auf die Zuschauer zu, taucht auf, es spritzt und sprüht. Sie blickt offen und offensiv in die Kamera, hat schwarzes Haar und gleichmäßige Züge, ihre Augen haben die Farbe des Pools: ein strahlendes, fast schmerzhaftes Türkis, sie lächelt. Sie hat sich elegant hochgestemmt und auf den Beckenrand gesetzt, während die Kamera sich mit einem Schwenk ein Stück über den Pool auf sie zubewegt hat. Jetzt scheint die Kamera über dem Wasser zu schweben, dort, wo gerade noch die Frau war. Dolly und Kran, einfacher Trick, dachte Laura und verkrampfte. Sie schaute sich um, die anderen Leute beobachteten sie nicht, und griff nach Thorsten, sie fand seinen Ärmel, dann seine Hand, und ihre Finger verschränkten sich. Laura musste ihr Gelenk leicht umknicken dafür. Sie atmete durch.