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«Die Drei ist die Zahl der Eifersucht», sagte Magnus. «Überall, wo drei sind, gibt es Eifersucht. Das ist bei der Vier nicht so. Oder?»

Rieke sah ihn verständnislos an; sie gehörte zu denen, die sich in Magnussens Gegenwart angegangen fühlten, egal, was er machte oder nicht machte; eine Haltung, die seine Angriffslust oft erst weckte. Es gab viele solcher Menschen. Sie sahen Magnus nur an, sahen sein Gesicht, dieses Lächeln, das ständig über dem Gesicht lag, ohne wirklich sichtbar zu sein, und wurden sofort defensiv.

Magnus mochte sie nicht, diese Verbindung von Kiffen und Paranoia. Nichts gegen eine Tüte, nichts dagegen, high zu werden. Aber wenn die Kiffer anfingen, zu sehr dem Kiffer-Ideologie-Klischee zu gehorchen und Verschwörungstheorien von sich zu geben, dabei von den Illuminaten, dem geheimen Wissen der noch lebenden Maya oder auch den wahren Hintergründen des elften Septembers schwärmten, dazu das I-Ging befragten, das Internet durchforsteten und, wo sie nicht mehr weiterspinnen konnten, weil ihnen die Phantasie versiegte, da ihr Horizont schon für die sichtbare Welt zu eng war, auf irgendeine Feinstofflichkeit verwiesen, Geister zitierten, Zahlenmystik betrieben — in den Augen immer denselben feuchten Schleier über diesem kaum wahrnehmbaren Schielen, diesem Froschaugenschielen falscher Unendlichkeiten, das Rieke jetzt wieder feilbot —, dann wurde es Magnus zu viel, und er wurde zum Apologeten der Aufklärung, zum Priester menschlicher Ratio, zum feurigen Verteidiger des common sense.

«Aha, und das glaubst du also wirklich», sagte Magnus. Seine feinen, kurzen Haare standen wie elektrisiert vom Kopf ab. «Kommst du vielleicht aus dem Osten?»

«Also, was soll das denn, Magnus», sagte Erik.

«Nur eine Frage», sagte Magnus.

«Und? Und wenn ich aus dem Osten komme? Was hat das dann zu sagen?» Rieke sah zu ihm herüber, käute irgendwas wieder, rümpfte die Nase. Eine winzige Erschütterung huschte von innen über ihr Gesicht.

«Nichts», sagte Magnus. «Gar nichts. Schon gut.» Er stieß sich vom Beckenrand ab. «Ich muss jetzt los. Jonna, nimmst du mich mit?»

«Klar», sagte Jonna. «Gleich.»

Er tauchte unter. Tausend wilde Bläschen schossen weg vom Körper. Er schwamm zwei, drei Züge. Wasser in der Nase, Wasser in den Ohren. Ihm war leicht übel, seine Zunge schmeckte nach totem Delphin. Er ließ Luft ab, hockte sich auf die Kacheln, die Arme um die Beine geschlossen, und öffnete die Augen.

Druckausgleich.

Die Nacht draußen lag ausgebreitet auf den Hügeln, ohne sich zu rühren, und es roch nach Plastikfolie. Das Sofa, auf dem sie saßen, roch nach Plastikfolie. Jonna hatte noch einen Wein aufgemacht. Magnus trank die letzten Whiskeyreste, die er aus Eriks Haus hatte mitgehen lassen. Sie waren in Jonnas altem Käfer herübergekommen, hatten alte Ärzte-Kassetten gehört und alte Schleichwege benutzt, um der Polizei auszuweichen.

Sich mit Jonna zu betrinken machte immer Spaß. Sie lachte dann noch lauter und kehliger über jeden von Magnussens Witzen, und man sah sich lachend in die Augen, Blau von Braun aufgesogen. Magnus verliebte sich jedes Mal auf die leichteste Art, ganz unverbindlich, sprachlos, folgenlos: Liebe auf Kur, wie im Arztroman. Meistens rückte er dabei, um die Momente des Schweigens und ihre Konsequenzen zu vermeiden, mit einer etwas entlegenen, skurrilen Geschichte aus seinem Leben in Berlin heraus. Denn Jonna hielt Berlin für einen schrägen Großstadtdschungel und Magnus für einen ziemlich abgefahrenen Charakter, ziemlich anders, wie sie immer sagte, anders abgefahren, und Magnus gab ihr gerne neuen Stoff für diese Sicht, weil er sie damit gleichzeitig interessieren und auf Abstand halten konnte — im Schwebezustand.

Denn Abstand musste sein. Die Sache zwischen ihnen war immer etwas Besonderes gewesen. Vielleicht nur für ihn, vielleicht nur, weil sie wie ein Versprechen war. Vielleicht ein Versprechen, das nie eingelöst werden würde, damit es nicht vollends verschwand.

Doch jetzt war etwas anders: war leicht verschoben, unscharf. Die Schweigepausen dehnten sich, fast unbemerkt. Die Blicke ruhten einen Moment zu lang ineinander, und jedes Mal einen Moment länger.

«Mir bringt das nichts. Ich kriege dabei immer nur Lachanfälle», sagte Magnus.

Jonna lachte.

«Und dann glauben die Leute, ich würde sie auslachen.»

Jonna lachte noch lauter.

«Echt?», fragte sie.

«Ja, dabei lache ich nur über irgendeine klitzekleine Scheiße, die nur ich merke, irgendein Wort oder so, und vielleicht habe ich es sogar falsch verstanden. Aber plötzlich sind alle beleidigt, und ich frage mich, was ich falsch gemacht habe, und schiebe Paranoia. Dabei ist gar keiner beleidigt, in echt, ich bilde es mir nur ein.»

«Das kenne ich», lachte Jonna und trank, «das kenne ich. Und man fühlt sich — als würde die Aufmerksamkeit der Welt sich auf einen Punkt zusammendrängen, und dieser Punkt ist man zufällig selbst. So ein Pech aber auch. Ich mache so was ja nur ganz selten, das Kiffen. Ich bin ja brav.»

Das ist sie, dachte Magnus: brav. Brav und lieb, im besten Sinne, eine gute Seele. Und dennoch, oder eben genau aus diesem Grund, war Jonna eine femme fatale. Aber eine, die sich ihrer fatalen Wirkung auf die Männerwelt angeblich nicht im Geringsten bewusst war. Ihr waren alle einmal verfallen gewesen, alle. Es war nicht allein die aparte Fassade, in der ihre gute Seele sich durchaus häuslich eingerichtet hatte. Das Besondere an Jonnas Anziehungskraft war, dass es niemals um Sex oder Abenteuer ging — nein, wenn sich jemand in Jonna verliebte, bekam er gleich den Familienflash. Das volle Programm rückte dann ins Blickfeld. Etwas war an ihr, das in wirklich jedem den Familiensinn, wie unterentwickelt oder verkümmert der auch war, zu voller Blüte aufschießen ließ und ihn eine Zukunft mit Haus, Hund und eigener Begonienzucht herbeiphantasieren ließ, mit properen Kindern, selbstgebastelten Adventskalendern, Vogelhäuschen auf dem Balkon und Schneemännern im winterlichen Garten. Jonna war LSD für den idyllischen Flügel im Hirn. Und einer war immer verliebt in Jonna. Einer war immer auf dem Jonnatrip.

Bekannterweise sind die Mädchen, mit denen man zur Grundschule ging, später die härtesten Nüsse. Mit denen kommt man besser nie zusammen, und wenn, dann nur kurz, um sich nach ein paar Tagen selbst zurück in die Ecke zu schicken und dort den törichten Fehler einzusehen, auf dem Kopf die Eselsmütze mit Fransen, die übers glühende Ohr fallen. Denn wenn man mit Mädchen aus seiner Grundschulklasse zusammenkommt, ist es irgendwie so, als würde man versuchen, der Zeit Streiche zu spielen. Als wollte man sie verbiegen oder austricksen. Als wollte man den kleinen Jungen im Nickipullover in eine Zeitmaschine quetschen und ihn im Schleudergang zu etwas zwingen, für das unsere Dimensionen nicht ausreichen. Als sei er nicht verwachsen inzwischen, jenseits der Pubertät, von zu vielen Lügen verklebt, wie es das fortschreitende Leben eben so mit sich bringt. Es hat etwas Gewaltsames. Manche Geheimnisse dürfen nicht gelüftet werden, selbst wenn sie längst durchschaut sind.

Dabei war Jonna jetzt so geheimnislos, dass Magnus sich fast wünschte, sie möge schweigen. Irgendeine Grenze schien überschritten. «Brav», sagte sie und prustete los. «Siehste, jetzt häng ich mich allein an dem Wort auf: brav. Wie das klingt. Brav. Brav.»

Sie beugte sich vor Lachen nach vorn, ließ den Kopf fast in Magnussens Schoß fallen, er sah die kleinen Härchen, die im Lampenlicht aufleuchteten, und ein kleines Muttermal. Dann schnappte sie wieder hoch, wie ein Messer.

Sie lasen alte Briefe von Magnus, adressiert nach Paris und nach Passau, wo Jonna studiert hatte, handgeschriebene Etüden in Moll, «da sind Wände aus Glas überall um uns herum, und wenn wir versuchen, uns zu berühren, zerbricht das Glas und blutet»; Magnus las das, teils laut, teils genuschelt, und tat dabei so, als plagten ihn Magenkrämpfe; Jonna lachte und nippte am Wein. Dann kam er an eine Stelle, die er auf keinen Fall laut vorlesen konnte; er stutzte und erschrak leicht, und ein weiteres Schweigen entstand; sie sahen sich an. Ein Zucken ging durch Jonnas Gesicht. Ihre Blicke verknoteten sich kurz, flüchtig, genüsslich, eine verstörte Atempause lang, ineinander.