Выбрать главу

Rieke küsste Erik, und Erik küsste Rieke, und Magnus musste sich eingestehen, dass es sexy aussah. Sie saugten, so viel konnte man blitzweise erkennen in diesen Momentaufnahmen, sie saugten einander zart an der Unterlippe, ließen die Zungenspitzen spielerisch miteinander tänzeln, außerhalb der Münder, in Zeitlupe, wie Schnecken beim Begattungstanz, sich gegenseitig stützend.

«Alles in allem mehr Spiel als Vorspiel», sagte Jonna. «Oder? Ich erkenne nichts.»

«Das ist doch DSL hier, oder?», fragte Magnus.

«Glaube schon.»

«Fandst du die gut, oder was? Die ist doch eh nur —»

«Nee, natürlich nicht. Es geht um was anderes. Jetzt sei mal kurz still.» Magnus nahm einen Schluck Ouzo aus der Flasche, die er neben dem Fernseher gefunden hatte. «Was machen die denn da? Man sieht nichts!»

«Die knutschen, Magnus. Und gleich werden sie vielleicht — du weißt schon. Ganz natürlich.»

«Vielleicht nicht.»

«Nicht natürlich?»

«Vielleicht werden sie es nicht tun.»

«Würde dich das freuen? Seid ihr jetzt eigentlich alle pervers geworden?»

Ihre Münder waren jetzt eins. Sie hatten mit ihren Lippen einen Raum nur für sich geschaffen, ihn fest versiegelt, und es sah aus, als würden sie darin einen Schmetterling nähren. Gerade geboren, noch speichelbenetzt und besetzt von den letzten Puppenkrusten.

«Natürlich werden sie es tun», sagte Jonna. «Rieke ist läufig.» Sie lispelte. «Und Erik hat’s doch den ganzen Abend darauf angelegt, da unten eine zu knallen. Weiß doch jeder.»

«Quatsch. Du weißt es nur, weil ich’s dir gesagt habe.»

«Stimmt nicht. Ich wusste es schon lange vorher.»

«Ach ja? Und wer war gerade so überrascht, als sie angefangen haben?»

«Jeder weiß, dass Erik seine Pool-Aktionen früher mitgeschnitten hat. Jeder. Warum sollte er es heute nicht mehr tun? Mit seinem Revival-Scheiß. Glaubst du vielleicht, ein Alki, der im Bonner Loch feiern gehen will, tut das ohne seinen Korn?»

Die Internetbilder sprangen in Zeitlupe weiter, verwaschen, verweht, langsam und gestückelt wie ein behindertes Daumenkino. Dennoch war die sich abzeichnende Entwicklung hochinteressant: Rieke hatte inzwischen ihren schwarzen Spitzen-BH abgelegt, und Erik schraubte sachlich an ihren Nippeln herum. Das war das gegenwärtige Bild. Dann Stillstand, für Sekunden. Für weitere Sekunden. Für eine Minute fast. Jetzt konnte es ganz schnell gehen, jeden Moment konnte der entscheidende Schritt passieren — aber das Bild sprang nicht weiter. Magnus verfluchte die Langsamkeit der Verbindung. Vielleicht würden sie beim nächsten Bild schon … vielleicht war er bereits jetzt –

«Daten- oder Samenstau, alles einerlei. Magnus, bist du jetzt eigentlich ein Spanner, oder musst du hier was abarbeiten? Ich will das nicht mehr sehen. Sollen wir den Computer nicht einfach …?»

«Da!»

Das nächste Bild war aufgetaucht, noch verwaschener und unschärfer als sein Vorgänger. Erik lag halb auf Rieke, die die Augen geschlossen oder fast geschlossen hatte. Er küsste ihren Busen, hatte seine Shorts noch an.

«Das hast du gewusst?» Magnus zeigte auf den Monitor und schüttelte den Kopf. «Das da? Quatsch.»

«Ich wusste nicht, dass Rieke es machen würde, aber …»

«Die wissen alle, dass Erik das mitfilmt?»

«Alle. Ich ja auch. Und wenn ich schon was mitbekomme …»

«Und Rieke? Weiß sie es auch?»

«Ja.»

«Und wieso macht sie es dann?», fragte Magnus und wischte abfällig in Richtung Bildschirm. Ein weiteres Bild sprang auf. Erik war höher gerutscht. Riekes Hände lagen auf seinem Po, massierten diesen durch die Shorts.

«Was weiß ich. Vielleicht macht es sie an. Guck mal, sie guckt in die Kamera.»

«Egal. Sollen sie doch. Mir egal. Aber weißt du, was mich daran aufregt?»

«Nein, aber du wirst es mir sicherlich sofort sagen.»

«Es verletzt irgendwelche Grenzen. Es geht auch um Respekt.» Sein Blick scannte die Gegenstände in Eriks Zimmer. Elterndinge hatten es nach und nach infiltriert, fast konnte man die Schichten und Verwerfungen sehen. Herausgekommen war die typische Mischung aus Altem und Neuem, eine sichtbare Klitterung der Zeit, wie in so vielen verlassenen und umfunktionierten Jugendzimmern. Wobei das Neue noch älter schien als das Alte.

«Es geht darum, Respekt vor der anderen Zeit zu haben. Wie in dem Zimmer hier. Da haben die Eltern auch nicht alles mit Müll vollgestellt.»

Bestimmte Regale in Eriks Zimmer standen noch an genau derselben Stelle wie früher. Nur das Inventar war ersetzt worden — Bücher und Comics durch Urlaubssouvenirs und Atlanten. Andere Möbelstücke waren ganz verschwunden: Eriks Kleiderschrank etwa. Ein Sekretär nahm dessen Platz ein, vollgestellt mit Fotos aus dreißig Jahren Familiengeschichte. Das Plakat mit dem brennenden Wellensittich aber war noch immer da. Billig eingerahmt, ohne Passepartout.

«Sollen wir nicht aufhören? Ich glaube, jetzt geht’s richtig zur Sache. Willst du uns das nicht ersparen?»

«Warte. Jetzt geht’s schneller.»

Tatsächlich hatte der Datenstau sich aufgelöst. Im Sekundentakt wechselten die Bilder, entluden sich hektisch und ließen die Illusion von Bewegung entstehen, eine schunkelnde Verknotung zweier Körper, ein Auswuchs, der ständig durch seine drei, vier Entwicklungsstufen permutierte, zyklisch und banal, von einem Zustand in den nächsten fiel, dann wieder zurück, undramatisch, abgehoben, steril, zwei verklebte, verhakte Körper wie unter Wasser, die eher dem Rhythmus der Übertragungsrate zu gehorchen schienen als dem ihrer Geilheit, fielen sie doch immer wieder zurück zum Ausgangspunkt, fast ein Loop, zwischen Haarbüscheln, Zähnefletschen, zwischen Gesichts- und Lustkrämpfen, verschmiert, ohne Biographie, ohne Sinn, wer braucht schon eine Rahmenhandlung, und obwohl dem Geschehen jeder reale Zug abging, alles den virtuellen Hall eines Downloads hatte, der aus Hannover, Bogotá oder Tokio kommen mochte, von irgendeinem Server dieser Welt, dessen Standort niemals sicher war, so wie das Internet niemals sicher war, ließen die wiewohl verwischten, rauschenden, spastisch stockenden Bilder gegen alle torsohaften Einwände eindeutig und unmissverständlich nur einen einzigen Schluss zu.

Begleitet von beleidigtem Knacken wurde der Screen schwarz, als Jonna ihn ausschaltete. Das Knacken entfernte, verstreute sich. Die schwarze Stille dahinter blieb.

Vielleicht aber ist die Wärme ihrer Lippen auch einfach nur geliehen, dachte Magnus still bei sich und wusste nicht, was er damit meinte.

Jonna ging auf die Toilette.

Bilder knallten in ihm auf. Bilder von Körperknäueln, rhythmischen Spasmen und versenktem Fleisch, das sich aalt im Sud, der nach Groschen schmeckt: Jonna und der unbekannte Vater. Weg, weg, weg, weg, weg.

Okay! Okay, okay, das sind nur die Bilder, die knallen auf, die knallen da auf wie Wände, das kenne ich schon, sagte Magnus leise. Da legt ein anderer deinen Lebenswunsch flach und schwängert ihn en passant, und die Bilder stehen innen Schlange und hauen dir durch den Kopf wie böser Karneval. Flachgelegt, hochgeschnellt, eingeklinkt; versenktes Fleisch, wirkliche Banalität: Penis aalt sich in Vagina, es schlurpt und seufzt, Nahaufnahme, jede Falte, jedes Haar schreit Verrat, Penis stammelt hu-hu-hu, Scheide wimmert ha-ha-ha. Und du hoffst, sie hat die Augen geschlossen. Du hoffst, dein Herzenswunsch sieht nicht, was du siehst, was dir da durchknallt im Kopf und nicht zu verscheuchen ist.

Vielleicht ist aller Sex nur Schauspiel, dachte Magnus still, und der Satz hatte in seiner Bitterkeit etwas Beruhigendes.

Magnus tappte durch den Kottenforst, von Pech nach Godesberg, nahe der Landstraße. Er knirschte eine Melodie mit den Zähnen. Die Bierdose brannte kalt in seiner Hand, Gefrierbrand. Ein fernes, erstes Morgenblau kroch rechts über die Hügel von Wachtberg. Der Kiesweg war gesäumt von mächtigen Tannen. Es ging ein steiler Wind.