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Auf Lauras Gesicht und ihren ruhenden Händen lag der Widerschein des letzten Graus von draußen. Sie wünschte sich den schon seit Stunden angekündigten Schnee herbei: dass der schwere Himmel sich endlich entladen würde auf diese Stadt, sie unter sich bedeckte, poröser machte. Aber alles blieb nur grau und dräute nach unten und warf weiter seinen scheinheiligen Silberglanz auf ihre Haut. Nur die Wunde in der Innenfläche ihrer rechten Hand blieb davon unbehelligt. Auf sie wagte der dämliche Glanz sich nicht zu legen. Laura stand in der Toilette, Flakons und Cremedöschen standen vor ihr auf der Ablage unter dem Spiegel. Sie musste sich stylen und die Wunde versorgen.

Die Wunde in ihrer Hand war sehr bunt, innen gab es lila Punkte inmitten der trüben, weißorangen Eiterkuppel, die ins Rote nach außen an den Wundrand auslief, wo gelbe Kristalle sich gebildet hatten. Um die Wunde hatte sich ein bläulicher Hof unter die Haut geschoben. Sie schmerzte nicht sehr, nur in den Momenten, wo Laura sie erneut aufkratzte. Aber es war mehr ein visueller denn ein wirklich physischer Schmerz. Es schmerzte mehr in den Augen, die Kruste wirklich wieder aufzubrechen und den Eiter herauslaufen sehen zu müssen, als in der Wunde selbst.

Aber es war notwendig. Eine Narbe an dieser Stelle hieße bloß Küchenunfall oder Partyscherbe oder Sturz von der Rutsche in der Kindheit, also Lüge. Die Lüge aber war schon so übermächtig vorhanden in Laura, in ihrem Körper, dass sie diese kleine Stelle Wahrheit offenhalten wollte, so lange es ging, diese Wunde.

Sie stand im Bad und hörte Thorsten und seine Kollegen, sie redeten leichte Worte, noch immer. Je schwerer die Zunge, desto leichter die Worte, bei solchen Leuten, dachte sie und stellte den Föhn an und legte ihn auf den Waschbeckenrand. Mittwoch war das letzte Mal gewesen. Donnerstag hatte sie die Wunde sein lassen können. Heute war sie wieder fällig. Sie saß auf dem Klodeckel, das Handtuch lag auf ihrem Schoß. Draußen derselbe Himmel wie immer.