Выбрать главу
Ich habe ein paar andere Briefe geschrieben, an Lisa in Venedig, an Marc in München, an Esther in Cleveland, Ohio. Dann habe ich versucht, Isa einen Brief zu schreiben, zum siebten Mal in diesem Monat. Liebe Isa, liebe Isa. Wie ich Dir schon am Telefon, ich hoffe, ich hoffe, alles ist so wie Du es, alles, bei mir ist alles noch immer, immer, oder es ist vielmehr noch viel, viel, viel, aber ich kann Dir das viel besser, viel viel besser, wir sehen uns ja am, am wann, am am. Herrje. Vielleicht sollte ich sie doch nur anrufen. Hoffentlich sehen wir uns wirklich bald wieder. Deine Laura. Dann blase ich einen groszen Rauchtrichter in die Luft und beobachte all die blaugrauen Kringel, Verästelungen, Wirbel am Rand und die inneren chaotischen Implosionen, ohne auch nur irgendetwas zu fühlen. Donnerstag, 18.54 Uhr Ich habe Briefe geschrieben? Nein, ich habe niemals Briefe geschrieben. Ich bin unfähig, Briefe zu schreiben. Wo andere gehaltvolle Botschaften einwandfrei und unmiszverständlich übermitteln, stehen bei mir überhitzte Selbstgespräche, zwanzig Seiten lang, und die Worte stechen sich gegenseitig aus und vernichten alles, was sie sein wollen. Perfekte und auszergewöhnliche Metaphern sind das, ja, jaja, kleine Etüden mit aufgeschnittener Hand, der Deutschlehrer war immer so was von zufrieden mit mir, Laura, ich konnte mal wieder nicht umhin, Ihnen die fünfzehn Punkte zu geben. Ich will das aber nicht. Ich will nicht die Figur sein, die den Gedanken verkrüppelt. Ich möchte einfache, klare Sätze in die Welt sprechen, scharf konturierte, die jeder vernünftige Mensch verstehen kann. Ich kann keine Briefe schreiben. Sobald ich beginne, einen Brief zu schreiben, flieszen die Buchstaben weg und in irgendeine verheimlichte Geschichte hinein, immer in Richtung Tagebuch, dort wie Quecksilber auseinander. Gerade, im Bett, stand mir klar und deutlich vor Augen, was ich Dir schreiben wollte, sagen will. Jetzt ist das geschriebene Wort, als ich es sehr gewrungen habe, um es zu erpressen, irgendwohin wegversickert. Das Papier hat meine Gedanken absorbiert, das weisze unschuldige Papier, aber ich beflecke es doch. Donnerstag, 1.45 Uhr Ich brauche Dich warum rufst du nicht an? ruf an ruf an du Sau geh ran los Donnerstag, 2.03 Uhr Ich hab mir in die Haut geschnitten aus Versehen Haha Freitag, 10.16 Uhr Freitagmorgen, grau verhangen, drauszen überall ein fast unsichtbarer Nebel, der die Dinge weichzeichnet, oder eher den Blick aufweicht, den Blick auf die Dinge, als sei alles nur ein einziges, unerreichbares, nicht scharfzukriegendes Ding. Hast Du Angst? Freitag, 13.23 Uhr Maja ist da. Die Härte: Dad ist auch da. Und Anton, der «die Stadt kennenlernen möchte», die Heimatstadt seiner künftigen Frau Gemahlin. Sie ziehen da irgendein Familiending durch. We, are, family. Gleich sind sie weg, «sightseeing», und Mom geht auch mit, die Arme. Maja tut total freundlich, flötet mich dauernd an, ist so was von glücklich. Gerade war so eine Art mittägliche Stehparty in der Küche, mit Sekt und Selters, alle beisammen. Anton gab mir ein Lächeln von genau derselben neutralen, klebrig freundlichen Offenheit wie das, das er immer meiner Mutter gibt. Dabei das beiläufige Angebot eines Handschlags, das ich jedoch ausschlug, auf meinen Verband deutend. Er tat erstaunt.
Mein Gott! Fragte jedoch nicht einmal, wo ich mir die Wunde denn zugezogen hätte, sondern schnappte sich meine linke Hand, drückte die kurz, hauchte linksrechts einen doppelten Gesellschaftskusz auf meine Wangen und wandte sich sofort wieder Maja und den parents zu. Maja quiekte in sein Ohr und küszte immer wieder seine Wange. Ihre Nase war selten weniger als zehn Zentimeter von seiner Wange entfernt, und sie schaute sich dort in ihn hinein, als wartete sie sehnsüchtig darauf, von seinen Poren aufgesogen zu werden, oder so. Diese glänzenden, mädchenhaften Augen der älteren Schwester, des perfekten Geschwists. So von der Seite geliebkost und zugeflüstert, bekam Anton nur einen eher gelähmten small talk mit meinen parents hin. Die fanden die Szene wohl ganz bezaubernd, sie lächelten und nickten, so unverständig verständnisvoll und auf gönnerhafte Weise neidisch, wie sie nun mal sind. Dad stand an die Küchenzeile gelehnt, die Hände in den Taschen, und tat sehr amüsiert; wenn er lachte, hob er immer ein wenig das Kinn und grinste und schnaufte. Ich sah, dasz er mich auch öfters ansah, ernster. Trafen sich unsere Blicke, hielt er dem für ein, zwei Sekunden hochbedeutsam stand, dann sah er weg und hob wieder das Kinn, grinste, schnaufte. Ich soll auch mitgehen, zum «Sightseeing». Nix da. Meine Sister ist ja so verliebt. Wenn ich die beiden nur zusammen sehe, spüre ich den puren Ekel in mir anschwellen. Sie sind feuchte, wabbelige Monster, die sich zuschleimen, mehr nicht. Diesmal besonders. Sie verhalten sich so gesetzt neuerdings, oder gediegen, wie auch immer man das nennen will. Museumsbesuch, Candle-Light-Dinner, früh ins Bett, um morgens den Morgen und das Frühstück zu genieszen, wenn es noch dunkel ist drauszen. Und das meiste davon: mit den Eltern. Aber was soll ich sagen. Ja: was soll ich eigentlich sagen. Freitag, 13.55 Uhr Dad will mir dauernd in die Augen blicken, auch im Flur, total aufdringlich und forschend, als könnte er da etwas sehen. Freitag, 15.03 Uhr Als Thorsten die Kokainsexnummer mit mir geschoben hat, rückblickend einer der finstersten Augenblicke in meinem Leben (DANKE THORSTEN!), dachte ich, ich bin meinem Körper weitaus überlegen, er hat keine Ahnung, wie ihm geschieht, nur ich. Die Drüsen schmatzten, die Vagina wurde feucht und heisz, Endorphine waren auch auf dem Weg, er reagierte auf das alles so geil und tierisch wie immer — dummes Ding. Ich konnte die Endorphine irgendwohin leiten, wo sie mich nicht störten, das mag verrückt klingen, aber so war es. Ich habe sie einfach weiterdelegiert. Meinen Körper juckte nichts, weit offen klaffte die Lust in ihm, dasz meine Hände drin Platz gehabt hätten. Ich allein wuszte, was wirklich geschieht, was da passiert, was mir und ihm zugefügt wird, auch wenn ich es hier nicht genau beschreiben könnte. Das war dann der Bruch, der Bruch zwischen mir und meinem Körper. Damals, als wir koksten und geil wurden. Thorsten hatte gerade in London irgendeinen Sonderdeal mit der Abteilung Soundso abgeschlossen und dann firmenintern eine Menge Kokain beschaffen können. Das Kokain lag in rauen Mengen auf unserem Designer-Wohnzimmertisch herum, keine Ahnung, es musz unheimlich viel wert gewesen sein, Berge und Hügel, «Ski alpin», meinte Thorsten. Wir nahmen das und haben uns dann die Hirne halb rausgepoppt; Thorsten konnte immer wieder; wir wurden übermütig und kamen uns vor wie Sexkönig und Sexkönigin. Als Thorsten sich dann das Kokain unter die Vorhaut und auf die Eichel strich, die Kippe im Mundwinkel, lächelnd, ziemlich viel, und auch mir das Zeug hinschmierte, in die Schamlippen und um die Klitoris, wie selbstverständlich, wuszte ich, was abging, auch wenn ich ihn gewähren liesz, oder wie soll man das nennen. Ich lächelte und faszte ihn an und wir schliefen wieder miteinander, eine Ewigkeit lang, das Kokain weichte die Haut auf und ätzte so geil, fand mein Körper. Plötzlich musz mein ganzes Blut geronnen sein, für ein paar Sekunden, so fühlte es sich an. Ich hatte den gröszten und letzten Orgasmus meines Lebens. Seitdem weisz ich, woran ich bin. Ich habe den Spalt willentlich vergröszert, jetzt klafft da ein Abgrund, erhaben und unüberbrückbar, in Fleischfarbe. Ich habe versucht, meinen Körper zu bekämpfen, um ihn loszuwerden, aber er hat sich als eigenwilliger und zäher erwiesen, als ich dachte. Jetzt wissen wir beide nicht recht weiter und wiederholen alte Attacken, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite ziehen wollen. Uns ist langweilig. Die Simpsons kommen. Schade, die Folge habe ich schon gesehen. Freitag, 16.16 Uhr Natürlich bin ich nicht verrückt. Natürlich sind das alles nur Bilder. Oder? Freitag, 17.34 Uhr Herz: da wo die Enge sitzt. Schlaff, gedehnt, schlaff, Blutschub, Blutstau, Klappe auf, zu. Still my beating heart. Freitag, 17.36 Uhr Ich komme nicht klar. Und: Ich weisz nicht Bescheid. Alles das hier, meine «Aufzeichnungen», alle Sätze in diesem Tage- (oder Nacht-?) buch lassen sich auf diese zwei kümmerlichen Aussagen reduzieren: «Ich komme nicht klar», erstens, und zweitens: «Ich weisz nicht Bescheid.» Alles, was ich sage und tue, was ich denke, nicht denke, wieder denke, bleibt genau an diesem leeren Ort ohne Widerstand, ohne Sichtweite, ohne Sinn hängen, nur diese letzte Einsicht in dieser banalsten aller möglichen Welten, der meinen: Ich komme nicht klar, mit mir nicht, ich mit Dir nicht, ich nicht, mit mir nicht. Etwas liegt grundsätzlich quer in mir, etwas, das geht tief hinunter in die Chemie, ganz grundsätzliche Sachen stimmen einfach nicht, auf mikrobiologischer, unabänderlicher Ebene, passen nicht zueinander, irgendwie. Das kann doch nicht sein, dasz ich mit dreiundzwanzig das Leben immer noch so scheisze finde wie mit sechzehn. Noch beschissener! Das kann doch nicht sein! Freitag/Samstag, 6.17 Uhr Du suchst die Sünde und findest nur Sünder. Ich bin total zu, aber gar nicht müde. Fühle meinen Körper nicht mehr. Gut so. Mit wem habe ich da getanzt? Tzzzz …! So ein Schwachmat. Blondie im rosa Oberhemd. Letztendlich will ich nur, dasz alles entweder endlich wahr wird oder sich wenigstens zu seiner Künstlichkeit bekennt. Wenn jemand künstlich ist und sich dazu bekennt, wird er vielleicht auch wieder wahr. Ich weisz, dasz ich wahr werden kann. Ich musz nur genügend wollen. Klingt das wieder bepiszt. Es ist noch dunkel. Thorsten ist noch nicht wach, hat eine Fahne, die mir buchstäblich den Atem raubt. Ich werde jetzt frühstücken, Fruit Loops und Melatonin, schäumende Milch. Ich will schlafen. Guten Morgen, gute Nacht. P.S.: FAQ U. Fick Dich! Du. Ja, Du.