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Diese trüben Wasseraugen, überall, oh! Es kribbelte hinter seiner Netzhaut. Diese müden, nass verschleierten Augen, voller Arbeitslosigkeit und grauem Star. Magnus’ Augen schweiften chaotisch, stachen spitz mit ihrem Sperberblick (dem Sperber-Speer-Blick, dem heißen!) hinein, wie mit einem glühenden Ätze-Finger. Sollte das faule Tümpelwasser ihnen doch endlich aus den Hirnen spritzen, damit ihre Blicke nicht mehr so stanken, vor Feigheit und Buckeltum! Sollten sie das Spiel doch aufgeben und ihn wieder aufnehmen in ihrer Mitte, auch wenn er das strikt ablehnen würde. (Die Sehnsucht, abweisen zu können.)

Als er seinen Bizeps anspannte und die Reaktion der beiden Türken kontrollierte, wichen sie in vorauseilendem Gehorsam seinem Blick aus und gaben sich versteckte Zeichen mit den Augenbrauen. Nur der Schoko am anderen Ende des Wagens war wieder entspannt, ein Rastafari, wie immer locker drauf, von wegen Reggae-Spirit, und bleckte freundlich sein Riesengebiss in Bruder-Manier.

Gelb und alt fraß sich der Wurm weiter durch den Marksand und spuckte immer wieder Unverdautes aus: Menschen. Seine Organe rülpsten. Dieses System der Zeichen, Kleider und Gesten schmatzte und war vergiftet. Die Luft, die ich atme, ist giftig, dachte Magnus und wurde wieder unruhig. Beklommenheit saß in seiner Brust. Was war denn los hier? Gab es nichts Normales mehr? Die Stille redete. Der Dreck wisperte. Zu viel! Die Drecksidee spulte sich wieder ab in seinem Kopf. Diese Stadt ist voller Dreck, es ist der notwendige Dreck, die Spucke, der Rotz, die Bakterien überalclass="underline" die Basis. Er konnte sie förmlich kreuchen sehen da unten. Bitte den Dreck auflecken, die Spucke anderer, sich die Viren einverleiben, so ging es durch seinen Kopf. Das war die Drecksidee: die Welt reinlecken. Von vorne anfangen. Er könnte das, ohne zu sterben. Überleben war schließlich sein Metier.

Verwirrt setzte er sich auf den Boden und starrte die flachen Noppen an, sah ein helleres Licht glimmen, drei wachsende Lichter, der nahende Zug? Dann stand er blitzschnell wieder auf und klopfte sich die Hose ab. Jetzt starrten ihn ein paar Leute auch ganz offen an, er fragte: «Warum sagt denn keiner was? Ist das hier ein Witz?» Wie zur Antwort schmatzten die Türen auf, und drei Kontrolleure kamen herein. Magnus lächelte wissend. Was für ein Theater. Natürlich waren sie nicht in Zivil. Natürlich war es ein Witz.

«Die Fahrkarten, bitte.»

Magnus kramte mitspielend in seinem zerfetzten Portemonnaie und fingerte einen Stapel Fahrkarten hervor, fühlte Unbehagen und gleichzeitig Freude. Just another showdown. Schnell arbeitete sich der mittelgroße Kontrolleur vor, dessen Gesicht mit Alknase und Panzerglasbrille wie Tarnung aussah. Magnus gab ihm die erste Fahrkarte in die Hand. Letzte Ausfahrt.

«Habense auch ne gültige? Guckense nochma.» Ausfahrt verpasst.

«Die?»

«Auch nicht. Kommense mal mit.» Hinter dem Kontrolleur bauten sich seine beiden Kollegen auf, eine Plattenbauputze und ein Klassendepp mit Milchbart.

«Und den, und den, und den!», kloppte Magnus seine alten Fahrkarten in die ausgestreckte Pranke des Kontrolleurs, wie beim Skat.

«Und den. Und den auch noch. Und den, und den, und den!»

«Wennse so weitermachen, ham wa gleich das ganze Jahr durch», grinste es aus fettigen Poren.

«Kommense ma mit raus jetzt, ja, da reden wa weiter.» Einige Leute waren belustigt, und auch die Kontrolleure schienen den Kauz drollig zu finden.

«Nein.» Er wich zurück. Sein Blick brannte. «Nein, ich komme nicht mit dort hinaus.»

«Na, was. Jetzt kommste mit, sonst —», aber dem Kontrolleur blieb das Wort im Hals stecken. Er starrte auf das Butterfly-Messer, das Magnus gezückt hatte. Schnapp! war es auf. Jetzt waren es die Kontrolleure, die zurückwichen. Okay, einmal abrocken bitte, einmal Demo, oder was wollt ihr? Magnus fuchtelte mit dem Messer herum. Die Alknase hob beschwichtigend die Hände.

«Ho, ho! Ganz ruhig, junger Brauner! Immer ruhig mit …»

«Nix da. Nichts», zischte Magnus. «Ich komme nicht raus. Ich bin erstmals drin. Da geht nichts mehr raus. Ihr kennt das doch. Ihr —»

Ein dumpfer Schlag gegen seinen Kopf, das Messer entglitt ihm, etwas Schweres warf ihn zu Boden und begrub ihn unter sich. Es war einer der Türken, oder beide. Sie hielten seine Arme fest, und die Kontrolleure stürzten sich auf ihn. Er lächelte. Die Welt muss geschützt werden.

Minuten später traf die Polizei ein und übernahm mit festerem Griff, noch brutaler. Magnus lag wimmernd auf dem Bahnsteig und spürte, wie sein Knochen im spröden Gelenk schabte und herausspringen wollte. Das Raunen war verschwunden. War einem Quieken und Schreien gewichen, Knochengeknirsche, U-Bahnen, die in ihm ächzten. Rufe, die durch den Kopf hallten, ein Wind blies, woher, von der Hölle her, den Lärm der Geschichte wach, von marschierenden Stiefeln Aufgeworfenes. Sein Blick wollte sich in den glänzenden Wandkacheln festkrallen, rutschte jedoch ab. Der Schmerz pochte in seiner Schulter und fuhr durch alle Nerven.

«Ich zahle nicht! Ihr wisst, dass ich genügend zahle. Die ganze Zeit! Die ganze Zeit!»

Eine alte Frau schlurfte vorbei, in Schwarz, mit lächerlichem Hütchen voller Kunstobst und Kunstblumen, und starrte ihn verächtlich an. Schatten sammelten sich in ihrem Gesicht aus Baumrinde und liefen in ihrem Blick zusammen, schnell und unwirklich wie Quecksilber. Ihre Pupillen waren kleine schwarze Löcher. Magnus bebte, Bilder schimmerten in seinem Kopf auf. Er sah sie, diese Frau, wie sie früher gewesen war. Im Wind der Geschichte. Erst unscharf, dann immer genauer. Im weißen Kostüm sah er sie, mit Jungfernzöpfchen, blond und pflückbereit, nähend, trällernd, am Weltempfänger. Ihre Augen leuchteten.

Ihre Augen, eine Sternenbiographie: Vom Sternenstaubfunkeln des Kindes, versprenkelt über die Netzhaut, ging es schnell über zum hellen, glühenden Licht des erwachten Geschlechts, weiße Zwerge, die die blonden Burschen anstrahlten, erwartungsfroh, läufig, ein blendendes Licht, das erstarb, als die Russen kamen, nach Kriegsende: nur noch dunkle, kalte Sterne in den Pupillen. Das Wirtschaftswunder, die fette Zeit, aufgeblähtes Unglück: rote Riesen, die die Umgebung fressen, ausbrennen. Und dann implodieren, mit dem Tod des Mannes oder längst vorher, und jetzt hatte sie dieses böse Nichts in ihren Augen, das jeden verschlucken wollte, diese schwarzen Löcher, in denen es waberte und rief.

Die Frau sagte nichts. Er hörte sie dennoch. Es sprach aus ihren schwarzen Löchern. Geh. Geh endlich. Wärest du nicht gekommen, du Heiland aus Gift, hätte ich dieses Kreuz hier nie tragen müssen. Es wäre uns erspart geblieben, alles. Fahr zur Hölle. Du bist das Unglück, das Schwein, Führers Vater und Teufels Sohn. Verrecke schon, wo du endlich da bist, und nimm diese Schuld von uns, denn du bist ihre Ursache.

«Arschlocherin!», schrie Magnus mit hochgepitchter Stimme, spuckte aus, ohne Spucke im Mund zu haben, und fletschte die Zähne, tierisch. Der Bulle zog sofort an und rammte seinen Arm hoch, kugelte ihn fast aus dem Gelenk. Magnus heulte auf, die Frau war verschwunden. Zähne knirschten; Knochen knirschten.

«Es reicht, Kleiner. Du hältst jetzt die Schnauze, keinen Mucks, und rührst dich nicht.» Handschellen klirrten. Der Bulle schnaufte schwer, an seiner Nasenspitze sammelte sich ein glasklarer Tropfen Schweiß, nahm zu, wurde Rotze, wurde größer und fetter und dichter, bis die Schwerkraft siegte und der Tropfen in Magnussens Haar fiel, dort sofort unsichtbar wurde.

«Keiner kommt hier lebend raus», flüsterte Magnus, «keiner.»

«Das wollen wir doch mal sehen. Das haben wir gleich.» Hektische Hände an seiner Gesäßtasche fummelten das Portemonnaie heraus. «Wie heißt denn der Kollege überhaupt.»