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Z-förmig zuckten die Lichter und stapelten sich übereinander; ein Gesicht schien auf, das er von woanders her kannte, mit zusammengewachsenen Augenbrauen wie ein stilisiertes, breites Vogel-V und hervorwölbenden Lippen; ein Lichtpilz schwirrte darüber hinweg und zerplatzte über der Tanzfläche.

Kennen die, die ich vom Sehen kenne, mich auch vom Sehen?, fragte er sich, während er sich durch die Menge schaufelte, um zur Bar zu gelangen. Er dachte dabei an den verschlagenen Journalisten vom Nachmittag. Ein weiteres bekanntes Gesicht tauchte auf aus der Dunkelheit, gleißte hoch, driftete seitwärts aus seinem Blickfeld und verglühte. Wie viele kennen mich, die ich nicht kenne? Wie groß ist die Schnittmenge? Fragen, die, kaum gestellt, sofort wieder erloschen.

Er kippte den Bourbon hinunter und bestellte einen weiteren. Der erste Bourbon schmeckte immer wie eine scharfe, magensäubernde Medizin, die seine Speiseröhre bei jedem Schluck ansengte, der zweite schmeckte wie linderndes Öl, das den Brand wieder schloss. Er nahm ein Bier, um nachzuspülen. Edwin saß neben ihm und wischte sich den Mund mit seiner Krawatte ab.

Edwin sagte: «Jedenfalls ist die eine solche Glam-Zicke.»

Thorsten nickte, ohne zu wissen, von welcher Frau Edwin sprach.

«Es gibt diese Frauen», sagte Edwin, «die klackern extralaut mit ihren Klackerstöckeln, die wuchten ihre Absätze so hart in den Asphalt, dass es den ganzen Ku’damm runterhallt, und die Löwenmähne und das Gucci-Täschchen wackeln im Takt der Schritte, auf eine Art, dass einem das kalte Kotzen kommt. Und das soll dann Selbstbewusstsein bedeuten. Proll-Glam-Zicke! Und das mir!»

Thorsten stellte sich noch einen Grasovka und ein Bier in den Magen. Er gab der Bedienung ein Zeichen. Sie kam und beugte sich vornüber, um seine Bestellung entgegenzunehmen. Er sah ihr in den Ausschnitt und wusste, dass sie es sah. Er lächelte; sie verzog keine Miene. Sie hatte einmal in einer Popband gespielt, hieß es, die einst Vorband einer anderen, weitaus berühmteren Band gewesen war. Thorsten kannte sich da nicht aus.

«Und ihr», sagte er, als die Bedienung wieder weg war, «ihr wart nur im Bett? Fuck Buddys? Oder was?» Er musste ein Gähnen unterdrücken. Der Wodka-Bull schmeckte säuerlich.

«Experimentaltheater», sagte Edwin. «Ins Experimentaltheater bin ich gegangen, drei-, viermal. Die studiert ja Theaterwissenschaften.»

«Ouh», hauchte Thorsten ironisch, steckte sich eine Zigarette an und zog gierig an ihr.

«Ja. Dafür gab’s dann aber auch Experimentaltheater im Bett», grunzte Edwin, «aber hallo! Akrobatik!», schrie er und wischte sich mit dem Ärmel über die glänzende Stirn.

«Ouh», sagte Thorsten wieder, «hört sich nicht gut an, hört sich gar nicht gut an.»

«Doch, war aber gut, war aber sehr gut», sagte Edwin, «das ist es ja, das ist ja das Problem. Sie ist ein weiblicher Fakir, eine Schlangenfrau, ein Wunderwerk der Elastik!»

«Ich verstehe», zwinkerte Thorsten dümmlich und winkte die Bedienung erneut herbei, um Edwin davon abzuhalten, weiter ins Detail zu gehen. Er konnte seinen Saufkumpan gerade schlecht ertragen, er konnte sich nicht ertragen.

Die Bedienung schlurfte heran, misstrauisch.

Thorsten sagte: «Mein Kollege hier und ich, wir möchten heute ans Limit gehen, werte Dame. Haben Sie eine Empfehlung? Einen Drink womöglich, der uns ausknockt mit der Geraden? Den Muhammad Ali unter den Drinks, sozusagen? Wir spüren nämlich nichts mehr, werte Dame», sagte er. «Wir sind stumpf. Wir brauchen’s mit dem Vorschlaghammer. Sonst sind wir tot.»

«Spinner», sagte die Bedienung und schmunzelte; in ihren Augen funkelte eine Discokugel.

Thorsten sagte: «Ich kann erkennen, dass diese Augen auch schon bessere Zeiten gesehen haben. Das Feuer in ihnen, wie lang ist es erloschen? Komm näher, Hase. Glüht da noch was? Ich sehe nur Asche. Willst du dich nicht mit uns feuern, feiern, Ferien nehmen von dir selbst? Nein? Wie heißt du, Hase? Willst du auch was trinken? Du bist eingeladen. Heute wird attackiert. Bis ans Limit gehen wir heute. Wir fahren am Anschlag, roter Bereich. Was geht noch heute Abend? Geht heute Abend noch was? Ich zahle!»

«Zwei Sexkiller also», sagte die Bedienung müde und drehte sich wieder um.

«Sexkiller? Sind damit jetzt wir gemeint, oder sind das die Drinks?» prustete Edwin.

«Beides wahrscheinlich», sagte Thorsten, «wahrscheinlich beides.» Er schaute sich um. Die Leute standen an der Bar wie von einem Bildhauer verworfene Skulpturen und hatten seltsame Frisuren, denen man nicht ansehen konnte, ob das Verschnittene daran gewollt war oder nicht. Thorsten jedenfalls konnte es nicht, oder konnte es nicht glauben, dass diese Haare Ergebnisse eines absichtsvollen Willens darstellen sollten. Er selbst hatte einen konservativen Scheitel, der fünzig Euro kostete, beim Lehrling eines Prominentenfriseurs. Die Bedienung kam zurück mit den Drinks, er nippte daran: ultramarin und bitter.

«Das ist ja Schlumpfblut!», lachte er. Dünner Nebel wallte neben ihm auf. Er reichte der Bedienung einen Fünfziger.

«Ich tauche mal unter», er stupste Edwin an, der inzwischen mit einer leicht verfetteten Naturschönheit redete. Eine Vocoderstimme sang eine alte Weise, ein verlorenes Spotlight huschte über eine Gruppe von Herumstehenden. Er kam neben einem Liebespaar (sie Camouflage, er versteckt hinter einer dieser Pornobrillen, wie sie damals gerade wieder aus der Mode kamen) zum Stehen. Sie diskutierten das Gefühl, das man beim Küssen gepiercter Zungen hat.

«Wie eine fleischige Pepsidose vielleicht?», schlug das Mädchen vor.

Die Pornobrille lachte und warf als Zeichen des Amüsements den Oberkörper nach vorne; unter dem engen T-Shirt trat die Wirbelsäule hervor wie der Kamm einer Echse.

Thorsten tauchte wieder zurück, von der einen Masse in die andere, vorbei an einer DJane mit Nasenring und porzellanenem Gesicht, die zu ihrem punktgenauen House seltsame, unlesbare Fingerzeichen in den Raum schickte. Er schwappte weiter an den Rand der Tanzmenge und rammte dabei aus Versehen einem hübschen Mädchen mit Cosma-Shiva-Lippen den Ellbogen in die Seite. Es funkelte ihn leicht wütend an. Bald schon war der in den Beinmuskeln hochruckende Mitwipprhythmus so stark und zwanghaft, dass Thorsten nur noch tanzen wollte. Er trat wie absichtslos auf die Tanzfläche, um sich die Starre aus dem Leib zu schütteln, den Lichtpunkten der Discokugel hinterher.

Eine fahrlässige Berührung an der falschen Stelle oder zur falschen Zeit kann einen Menschen ruinieren. Sie kann seinen Körper, der vielleicht äußerlich unversehrt bleibt, innerlich verkrüppeln. Nicht selten ist auch der umgekehrte Fall, dass ein Körper innerlich intakt bleibt, aber von außen, von der Stelle her, wo ich ihn fälschlicherweise berührt habe mit meinen dummen, feuchten Fingern, langsam und fast unbemerkt aufgefressen wird, und nur ein leises Zischen ist zu hören in der Nähe des Brandherds, und es wird als Einziges von diesem Körper bleiben. Wörter können Krebsgeschwüre ins Hirn setzen, die schon nach Sekunden mächtige Metastasen in alle Glieder pumpen. Zumeist ist es noch komplizierter, denn Psyche und Physis weben viel ärger und komplexer ineinander, als unsere geistigen Kapazitäten es jemals ausrechnen oder aushalten könnten. Niemals können die Ursachen einer Krankheit klar und distinkt aus dem Körper oder aus dem Geist geschnitten und wie sichergestellte Geschwüre ins Licht gehalten werden, auch wenn man nach gängiger Praxis genauso verfährt. Wir haben, auf unserer ewigen Jagd nach Gründen, keinen wirklichen Zugang zu uns, und das Licht, unter dem wir stehen, heißt Dämmerung. Die konsequente Frage wäre: Töte ich Leben oder erhalte ich es? Und diese Frage müsste noch die geringsten meiner Handlungen begleiten. Aber sie ist vielleicht nicht beantwortbar, denn wenn ich meine Geliebte umarme, ist meine Hand womöglich das Messer, das an ihrer Haut entlangschürft — und es könnte sein, dass meine Zunge beim Kuss in ihren Hals schnellt, ihr den Kehlkopf eindrückt, die Luftröhre verstopft, und ich wüsste nicht einmal, dass meine Geliebte gerade anfängt zu sterben, vor meinen Augen oder in meinen Armen, und niemals käme ich oder irgendjemand auf die Idee, dass ich gerade durch meine Umarmung zum Mörder oder Würgeengel geworden wäre.