»Immerhin«, sagte ich, »hat sie ihm doch das Leben gerettet.«
»Ja, und dafür wird sie ihm die Seele nehmen! Zu einer Hexe wird sie ihn machen, wie sie's selbst ist. Ich kann nur sagen, es ist von Übel, sich mit solchen Leuten einzulassen. Gestern abend, Sir, las ich vor dem Schlafengehen in der kleinen Bibel, die meine arme alte Mutter mir mit auf den Weg gegeben hat, und da drin standen Dinge über Zauberinnen und solches Pack, daß sich mir die Haare sträubten. Mein Gott, was würde meine Mutter für Augen machen, wenn sie sähe, wo ihr Job hingeraten ist!«
»Ja, es ist ein seltsames Land, und auch ein seltsames Volk, Job«, erwiderte ich seufzend, denn obgleich ich nicht gleich Job abergläubisch bin, hege ich doch eine natürliche Scheu vor dem Übernatürlichen.
»Ganz recht, Sir«, antwortete er, »und halten Sie mich bitte nicht für gar zu dumm, wenn ich Ihnen jetzt, wo Mr. Leo nicht da ist« - Leo war früh aufgestanden, um einen Spaziergang zu machen -, »etwas sage: Ich weiß, daß dies das letzte Land ist, das ich auf Erden gesehen habe. Ich hatte nämlich heute nacht einen Traum. Mir träumte von meinem alten Vater, und er hatte ein Art Nachthemd an, so ein Ding, wie es die Leute hier als Galauniform tragen, und in der Hand hielt er ein Büschel Federgras, das er vielleicht unterwegs gepflückt hatte - ich habe gestern große Mengen davon ein paar hundert Meter vom Eingang dieser gräßlichen Höhle gesehen ...
>Job<, sagte er ganz feierlich zu mir und schmunzelte dabei so merkwürdig, ganz wie ein Methodistenprediger, der seinem Nachbarn ein krankes Pferd verkauft und bei dem Geschäft zwanzig Pfund eingeheimst hat, >Job, deine Stunde hat geschlagen; doch ich hätte nie gedacht, daß ich dich an so einem Ort suchen müßte, Job! Was mußte ich bloß alles durchmachen, um deine Spur zu finden; es war wirklich nicht schön von dir, deinen armen alten Vater so weit laufen zu lassen, ganz abgesehen von all diesem Gesindel, von dem es in diesem Kor nur so wimmelt.<«
»Er wollte dich eben zur Vorsicht mahnen«, warf ich ein.
»Ja, Sir - ganz gewiß, genau das hat er gesagt: >Nimm dich in acht vor diesen Halunken< - und nach allem, was ich hier gesehen und mit diesem heißen Topf erlebt habe, zweifle ich nicht daran, daß er recht hatte«, fuhr Job traurig fort. »Jedenfalls meinte er, meine Stunde hätte geschlagen, und als er fortging, sagte er, wir würden bald mehr Zusammensein, als uns lieb wäre, und dabei dachte er wohl daran, daß mein Vater und ich es nie länger als drei Tage zusammen aushielten, und ich fürchte, wenn wir wieder zusammenkommen, wird's nicht anders sein.«
»Aber du glaubst doch nicht etwa, daß du sterben mußt, nur weil du im Traum deinen alten Vater gesehen hast?« sagte ich. »Wenn man stirbt, weil man von seinem Vater träumt, was geschieht dann deiner Meinung nach erst einem Mann, der von seiner Schwiegermutter träumt?«
»Ach, Sir, Sie lachen über mich«, sagte Job, »aber Sie kennen eben meinen alten Vater nicht. Wenn es jemand anders gewesen wäre - zum Beispiel meine Tante Mary -, dann hätte ich mir nicht so viel daraus gemacht; aber mein Vater war, obwohl er siebzehn Kinder hatte, so faul, daß er bestimmt nicht bloß zum Vergnügen hierhergekommen wäre. Nein, Sir, er hat es ganz sicher ernst gemeint. Nun ja, Sir, ich kann es nicht ändern; früher oder später muß ja jeder dran glauben, es ist nur so schrecklich, an solch einem Ort sterben zu müssen, wo man für alles Gold der Welt kein christliches Begräbnis kriegen kann. Ich habe mir alle Mühe gegeben, ein guter Mensch zu sein, Sir, und rechtschaffen meine Pflicht zu erfüllen, und wenn mein Vater letzte Nacht nicht so herablassend getan hätte, als ob er von meinen Referenzen und Zeugnissen überhaupt nichts hielte, dann würde ich mir weiter keine Gedanken machen. Ich war Ihnen und Mr. Leo - Gott segne ihn! - bestimmt ein guter Diener - beim Himmel, es kommt mir vor, als ob's erst gestern gewesen sei, daß ich mit ihm auf der Straße Fangen spielte -, und wenn Sie je von hier fortkommen, hoffe ich, Sie werden freundlich meiner modernden Knochen gedenken und sich nie wieder mit griechischen Inschriften auf alten Blumentöpfen einlassen, Sir - wenn ich mir herausnehmen darf, das zu sagen.«
»Ich bitte dich, Job«, sagte ich in ernstem Ton, »du weißt doch wohl, daß das alles Unsinn ist. Du kannst doch nicht so dumm sein, so etwas zu glauben. Wir haben einige merkwürdige Ereignisse überlebt und werden es, wie ich hoffe, weiterhin tun.«
»Nein, Sir«, erwiderte Job mit einer Überzeugung, die mich ärgerte. »Das ist kein Unsinn. Ich bin verloren, das fühle ich, und es ist ein überaus unangenehmes Gefühl, Sir, denn man kann nicht anders als sich ständig fragen, wie es wohl sein wird. Wenn man sein Mittagessen verzehrt, denkt man an Gift, und das verschlägt einem den Appetit, und wenn man durch diese finsteren Kaninchenbauten geht, denkt man an Messer, und man bekommt eine Gänsehaut. Ich bin ja nicht wählerisch, Sir - nur schnell soll es gehen, wie bei diesem armen Mädchen. Jetzt, wo es tot ist, tut's mir übrigens leid, daß ich so häßlich von ihr gesprochen habe, wenn ich auch ihre Moral und ihre Art, sich so Hals über Kopf zu verheiraten, nicht gutheißen kann, denn es ist einfach nicht anständig, das so schnell zu tun. Immerhin, Sir«, und der arme Job erbleichte, »hoffe ich, es wird nicht der heiße Topf sein.«
»Unsinn«, unterbrach ich ihn ärgerlich. »Was für ein Unsinn!«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Job, »es steht mir nicht zu, Ihnen zu widersprechen, Sir, aber wenn ich mir eine Bitte erlauben darf: Wenn Sie irgendwohin gehen, Sir, dann nehmen Sie mich doch bitte mit, denn wenn es soweit ist, möchte ich doch gern ein freundliches Gesicht sehen, denn das macht es einem bestimmt leichter. Und jetzt, Sir, werde ich das Frühstück bringen«, und damit ging er hinaus und ließ mich in einer sehr unbehaglichen Stimmung zurück. Ich hing sehr an dem alten Job, welcher einer der besten und ehrenhaftesten Menschen, die ich je gekannt habe, und mir eigentlich mehr Freund als Diener war, und der bloße Gedanke, es könnte ihm etwas zustoßen, ließ meinen Atem stocken. So unsinnig sein Geschwätz auch sein mochte, merkte ich doch, daß er selbst zutiefst davon überzeugt war, daß ihm etwas passieren werde, und wenn sich so etwas auch in den meisten Fällen als pure Einbildung erweist - an welcher in diesem Fall zweifellos die düstere und ungewöhnliche Umgebung schuld war -, erfüllte es mich dennoch mit Unruhe, wie übrigens wohl jede Furcht, die offensichtlich ehrlich ist, mag sie auch noch so absurd sein. Endlich kam das Frühstück, und zugleich er-schien Leo, der - wie er sagte, um einen klaren Kopf zu bekommen - außerhalb der Höhle einen Spaziergang gemacht hatte. Ich war sehr froh darüber, denn ich wurde dadurch von meinen düsteren Gedanken abgelenkt. Nach dem Frühstück unternahmen wir gemeinsam einen Spaziergang und sahen einigen Amahaggern zu, wie sie einen Acker mit dem Getreide besäten, aus dem sie ihr Bier brauen. Sie taten dies auf altbiblische Art: ein Mann, der einen Sack aus Ziegenfell um die Hüften gebunden hatte, schritt auf dem Feld auf und nieder und streute dabei die Saatkörner mit den Händen aus. Einen dieser schrecklichen Menschen eine so friedvolle Arbeit tun zu sehen, erleichterte uns zutiefst - vielleicht weil sie die Ama-hagger irgendwie mit der übrigen Menschheit zu verbinden schien.
Bei unserer Rückkehr trafen wir Billali, der uns mitteilte, daß >Sie< uns zu sehen wünsche, und so begaben wir uns zu ihr - ein wenig ängstlich, wie ich gestehen muß, denn Vertrautheit mit Ayesha erzeugte Leidenschaft und Staunen und Entsetzen, doch ganz gewiß nicht Verachtung.