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Doch genug davon. Was gibt es Neues vom Silberapfel-Mörder?, höre ich meine Leser fragen. Nun, leider ist zu berichten, dass gestern Vormittag eine weitere Leiche, inzwischen die sechste, glaube ich, aus dem Foedus gezogen wurde. Auch sie hat der Silbertod heimgesucht. Und noch immer kann uns Mr Coggley, unser geschätzter Oberwachtmeister, keine Hinweise zur Identität des Teufels liefern, der dafür verantwortlich ist. In der Tat düstere Zeiten für die Stadt.

Deodonatus lächelte vor sich hin, als er das Geschriebene noch einmal las. »Der Silberapfel-Mörder«. Ja, der Name gefiel ihm. Er klang so schön gruselig. Dann kam ihm das Gefräßige Biest in den Sinn. Deodonatus besaß ein kaltes Herz, das würde er selbst als Erster zugeben – er empfand wenig für andere, höchstens Verachtung oder Hass –, doch mit dem Gefräßigen Biest verhielt es sich anders. Wenn er es ansah, hatte er jedes Mal das Gefühl, als verknote sich etwas in seinem Innern. Doch warum das so war, darüber wollte er lieber nicht nachdenken.

Es überraschte ihn nicht, dass die Urbs Umidaner so begeistert von dem Gefräßigen Biest und dem Knochenmagier waren. Die Leute wollten erschreckt und unterhalten werden, und außerdem wollten sie die Erfahrung machen, dass es Dinge auf der Welt gab, deren Dasein noch eine Spur schlimmer war als ihr eigenes. Das Biest war der eindeutige Beweis dafür. Doch wo lag das Unglück im Leben des Knochenmagiers? Geld brachte seine Vorführung zweifellos ein. Für mich wär’s trotzdem nichts, dachte Deodonatus, stand abrupt auf, legte eine Hand an seinen Kragenaufschlag, schwenkte mit der anderen die Seiten, die er eben geschrieben hatte, und verkündete gebieterisch:

»Ας εξασκήσει ο καθένας την τέχνη που ξέρει.«

Mit einem Lächeln setzte er sich wieder. »Ich hole mir lieber Rat von Aristophanes. Ein jeder betreibe die Kunst, auf die er sich versteht.«

Dann setzte er wieder die Feder aufs Papier und schrieb weiter. Gerade als er seine charakteristische Schlussformel »Bis zum nächsten Mal« unter den Text setzte, klopfte es an der Tür.

»Bist früh dran«, brummte Deodonatus, während er die Blätter schnell einrollte und zusammenband. Er schob sie durch den Türspalt, ließ einen Penny folgen und lauschte den eiligen Schritten des Jungen auf der Treppe nach. Dann ging er zum Fenster, sah auf die Straße hinunter und schlug dabei geistesabwesend nach einer Fliege, die ihm um den Kopf schwirrte. Wie überstanden sie bloß dieses verdammte Wetter? Sollte er heute Nacht ausgehen? Vielleicht nicht. Er war müde. Vom Kaminsims nahm er sich einen abgegriffenen Band und schlug seine Lieblingsgeschichte auf. Er war kaum über die erste Seite hinausgekommen, da fielen seine schweren Lider zu. Das Buch rutschte auf den Boden, wo es offen liegen blieb und im flackernden Licht des Kaminfeuers das Bild einer grün glänzenden Kröte mit Juwelenaugen erkennen ließ.

Kapitel 17

Ein spätes Abendessen

Während Deodonatus behaglich vor seinem Kaminfeuer saß und ein Schläfchen machte, war Pin noch immer auf den kalten Straßen unterwegs und fragte sich, wann sie wohl bei der Pension sein würden. Beag hatte den ganzen Weg über von dem Haus geschwärmt, doch als sie endlich in die Squid’s Gate Alley einbogen, Sitz von Mrs Hoadswoods Pension, der besten in der Stadt, musste Pin enttäuscht feststellen, dass sich das Haus kein bisschen von den anderen unterschied: Sie waren allesamt in einem ähnlich baufälligen Zustand.

Drinnen jedoch war er angenehm überrascht. Es roch frisch und trocken, und seine Hoffnungen stiegen, als er an die Treppe kam und den von unten heraufziehenden Duft einatmete. Er war so verlockend, dass er sich die Lippen lecken musste. Die Treppe führte hinunter in eine große offene Küche mit grauem Steinfußboden und einem Kamin von enormen Ausmaßen an der anderen Seite. In der Mitte stand ein solider langer Esstisch mit je einer Bank an den Längsseiten und kunstvoll geschnitzten Holzstühlen an beiden Kopfenden. Eine Frau stand am Herd und rührte in einem riesigen Topf. Beim Eintritt der drei sah sie auf.

»’n Abend, Gentlemen«, sagte sie. »Ihr kommt gerade rechtzeitig für ein spätes Abendessen.«

Nett sieht sie nicht aus, dachte Pin, jedenfalls nicht auf die Art, wie seine hübsche Mutter nett ausgesehen hatte, und schon war er kurz davor, wieder zu gehen. Ihr Gesicht war rund und rotbackig und an den großen Händen hatte sie Frostbeulen, doch wenn sie lächelte, verströmte sie eine Wärme, die man beinahe spüren konnte.

So, wie Pin sie anstarrte, starrte umgekehrt Mrs Hoadswood ihn an. Mit ihrem scharfen Blick sah sie in Sekundenschnelle sein abgetragenes Hemd und den fadenscheinigen Mantel, seine mageren Beine, deren Knöchel unten aus den Hosenbeinen ragten, sowie seine Stiefel mit den abgetretenen Absätzen. Sie wusste sofort, dass dieser Junge sich selbst überlassen war. Sorgenvoll runzelte sie die Stirn.

»Pin«, sagte Beag, »das ist Mrs Hoadswood.«

»Du bist hier sehr herzlich willkommen, Pin«, sagte sie, während sie den Topf vom Feuer nahm und auf den Tisch stellte. Energisch dirigierte sie den Jungen zur vorderen Bank, wo er sich setzen sollte. Dann wischte sie Knochen und Brotkrümel von einem Teller und stellte ihn vor Pin hin. »Nun nimm dir ordentlich«, sagte sie lächelnd. »Und keiner verlässt den Tisch, bevor alles aufgegessen ist.«

»Das ist keine Strafe«, sagte Beag, der sich den dicken Eintopf bereits auf den Teller löffelte.

Aluph reichte den Gerstensaft über den Tisch und Pin füllte seinen Holzbecher, dann hielt er ihn hoch und sah Beag an. »Vielen Dank«, sagte er und nahm einen tiefen Schluck.

Gerade als er sich den ersten Löffel des Fleischgerichts einverleiben wollte, kam ein älterer Mann in die Küche und nahm still auf einem der geschnitzten Stühle Platz. Pin sah kaum auf, so vertieft war er in sein Essen, doch den Blick des zweiten Neuankömmlings erwiderte er länger. Und nach dem Tag, den er hinter sich hatte, wunderte es ihn nicht einmal besonders, dass er direkt in die dunklen Augen von Juno Pantagus schaute.

Beim Essen unterhielten sie sich. Die Themen bewegten sich jedoch in engem Rahmen, sie drehten sich hauptsächlich um das Wetter und um den Silberapfel-Mörder. Aluph erklärte, es sei so kalt, dass selbst der Foedus langsamer fließe als sonst, und Beag wusste von einer weiteren Leiche im Fluss zu berichten. »Der Foedus hat sie ausgespuckt«, sagte er in seiner unnachahmlichen Art. »Als hätte sie ihm nicht geschmeckt.« Pin sagte kaum etwas und aß, bis er das Gefühl hatte, er müsste platzen. Ab und zu linste er verstohlen zu Juno hinüber, und jedes Mal sah er, dass sie ihn anstarrte. Während sie ihm vorgestellt worden war, hatte sie ein wenig gelächelt, aber das war auch alles. Als sie dann einmal doch wegsah, betrachtete er sie genauer. Sie hatte schwarzes Haar, das in Locken vom Scheitel bis über die Schultern fiel. Ihre Augen waren wie tiefes dunkles Wasser und ihre Haut war so weiß, dass Pin überzeugt war, er könnte, wenn sie einen Schluck Wein tränke, die rote Flüssigkeit durch ihre Kehle rinnen sehen. Ihr Tischnachbar Mr Pantagus, der momentan weder Schnurrbart noch Kinnbärtchen trug, wirkte müde und schwach, doch das anregende Geplauder des Mädchens schien ihn zu beleben.

Unweigerlich wandte sich das Gespräch auch Pin zu, und so erzählte er widerstrebend seine jammervolle Geschichte. Wie er seine Unterkunft verloren hatte (jeder am Tisch kannte Mr Gumbroots Ruf und alle nickten teilnahmsvoll), von seiner Stelle bei Mr Gaufridus (alle wollten mehr von seinen Methoden hören) und schließlich von seiner Aufgabe als Leichenwächter.