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Als ich endlich ins Dorf getaumelt kam, bot ich dem Empfangstrupp einen jämmerlichen Anblick. Von Kopf bis Fuß war ich durchnässt und verdreckt, meine Kleidung hing mir in Fetzen vom Leib, die Schuhe hatte mir der Sturm von den Füßen geweht und meine Haut war blutig von den Hieben, die ich die ganze Nacht über bezogen hatte.

Alle kamen herbeigelaufen, um mich zu sehen.

›Er hat’s geschafft‹, riefen sie. ›Er hat’s geschafft!‹

›Aber um welchen Preis?‹, weinte meine Mutter und führte mich nach Hause, halb tot, wie ich war. Sie steckte mich ins Bett und fütterte mich mit Eintopf und Mehlklößen. Ich fiel in ein Fieber und lag mit geschlossenen Augen da, unruhig und verwirrt. Drei Tage und drei Nächte murmelte ich vor mich hin, aber alles in einer Sprache, die niemand verstand. Am vierten Tag erwachte ich und sah meinen Vater und meine Mutter, meine Brüder und Schwestern und das halbe Dorf vor meinem Bett stehen und mich anstarren.

›Und?‹, fragte mein Vater mit vor Anspannung weißen Fingerknöcheln. ›Was hast du über dich erfahren?‹

Wörter, fremdartige Wörter drängten über meine ausgetrockneten Lippen.

›Neel ain tintawn mar duh hintawn fain.‹

›Er ist erleuchtet! Er hat die Erkenntnis gewonnen!‹, schrien alle durcheinander und klopften meinem Vater auf den Rücken.

Natürlich konnte ich als Sohn eines Berggeistes – was nun als zweifelsfrei erwiesen galt – nicht länger bleiben, wo ich war. Man erwartete von mir, dass ich in die Welt hinausziehe und mein Glück mache. So seht ihr mich also heute vor euch stehen. Und lasst es euch gesagt sein: Wenn ich auch mit Kartoffeln werfe, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so weiß ich doch im Herzen, dass ich, Beag Hickory, eine Nacht auf dem Cathaoir Feasa überlebt habe und dafür mit der Gabe der Dichtkunst belohnt worden bin.«

Lächelnd verbeugte sich Beag, als sein Publikum in begeisterten Applaus ausbrach. Aluph Buncombe stand sogar auf und jubelte ihm zu.

»Bravo!«, rief er. »Bravo! Eine großartige Geschichte, Beag. Wenn überhaupt jemand eine Nacht auf diesem Berg übersteht, dann bist du das, davon bin ich fest überzeugt.«

»Wie wär’s mit einem der Lieder, von denen Ihr uns immer erzählt?«, schlug Mrs Hoadswood vor, und wieder leuchtete Beags Gesicht auf. Er ließ sich auch nicht lange bitten und fing an. Kaum war ein Lied beendet, stimmte er begeistert das nächste an (sein Repertoire war schier unerschöpflich), und Mr Pantagus, Aluph und gelegentlich auch Mrs Hoadswood sangen kräftig mit. Pin jedoch kämpfte ein ums andere Mal mit dem Gähnen. Juno klopfte ihm auf die Schulter.

»Komm«, sagte sie.

Pin zögerte erst, aber dann kletterte er von der Bank und folgte ihr die Treppe hinauf. Oben in der Diele, ein Stück vom Feuer entfernt, war die Luft scharf vor Kälte und er wurde sofort wieder hellwach.

»Wohin gehen wir?«, fragte er.

»Mrs Hoadswood hat gesagt, ich soll dir deine Kammer zeigen«, sagte Juno über die Schulter. Sie hatte den Flur schon zur Hälfte hinter sich gebracht.

»Dann wart auf mich!«, rief Pin hinter ihr her und rannte ihr nach.

Kapitel 19

Eine unruhige Nacht

Schwer atmend folgte Pin Juno über zahllose verwinkelte Treppenaufgänge, um viele Ecken und durch eine Reihe von Gängen. Mrs Hoadswoods Pension glich in ihrem Grundriss einem Labyrinth, und bald hatte Pin keine Ahnung mehr, ob er sich in nördliche, südliche, östliche oder westliche Richtung bewegte. Endlich öffnete seine schweigsame Führerin die Tür zu einem letzten Treppenaufgang, der zu einer winzigen Dachkammer mit so niedrigen Dachschrägen führte, dass man nicht einmal in der Mitte ganz aufrecht stehen konnte.

»Da sind wir«, sagte Juno mit einem Lächeln und reichte ihm eine Kerze.

Pin hielt sie hoch und betrachtete den Raum mit neugierigem Staunen, das augenblicklich in helle Begeisterung umschlug. Zugegeben, das Zimmerchen war extrem klein, doch gerade deshalb ließ es sich von dem hell brennenden Kaminfeuer umso leichter warm halten. An der Decke gab es ein Dachfenster, doch das war zurzeit von gefrorenem Schnee bedeckt. Den Boden bildeten breite Dielenbretter aus uraltem Eichenholz. Einen großen Teil des Raumes nahm ein niedriges Holzbett ein, auf dem Wolldecken und ein dickes Kopfpolster lagen. Am Fußende auf einer Kommode war eine Waschschüssel, in der ein weißer Henkelkrug voll Wasser stand.

»Ist’s dir also recht?«

»Es ist ganz wunderbar«, sagte Pin verzückt. »Besser als alles, was ich erwarten konnte. Aber … was kostet es?«, fragte er nervös.

»Einen Shilling die Woche«, sagte Juno.

Bei Barton hatte er vier bezahlt.

»Auf dem Bett liegt ein Nachthemd und in der Kommode findest du alte Kleidungsstücke, falls du etwas brauchst.«

»Danke«, sagte Pin. Von der Nacht in der Cella Moribundi hatten sie nicht gesprochen und trotzdem spürte er, dass so etwas wie Einverständnis zwischen ihnen herrschte.

»Gern geschehen«, sagte sie lächelnd und ging ohne weitere Worte.

Pin, der plötzlich von Erschöpfung übermannt wurde, schälte sich aus seinen Kleidern, zog das dicke Nachthemd an und stieg ins Bett. Die Balken unter der Zimmerdecke waren nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, aber das störte ihn nicht. Er hatte es warm und er war satt; was konnte sich ein Junge mehr wünschen? Er schlang die Arme um seinen Körper und gratulierte sich zu seinem Glück. All diese Wochen bei Barton in Gesellschaft von Mäusen und Ratten, mit Lärm und Dreck! Da fiel ihm etwas ein, das seine Mutter oft gesagt hatte: »Leiden versüßt die Belohnung.« Sie würde sich freuen, wenn sie sähe, wie gut sich alles für ihn entwickelt hatte.

Er zog die Decke hoch und der raue Stoff unter seinem Kinn bestätigte ihm, dass dies alles tatsächlich Wirklichkeit war. Von unten hörte er die Fußbodendielen knarren und nahm an, dass die anderen ebenfalls zu Bett gingen. Seine Gedanken schweiften ab und kreisten um Sybil und Mr Pantagus, um Madame de Bona und natürlich um Juno. Vielleicht könnten sie Freunde werden, dachte er und beschloss, morgen offener mit ihr zu reden. Dann fielen ihm die Augen zu, sein Atem wurde langsamer und er schlief ein.

Im Zimmer unter ihm lag Juno ebenfalls im Bett, doch sie war hellwach. Es machte sie neugierig und nervös, dass aus heiterem Himmel dieser Junge mit den seltsamen Augen hier aufgetaucht war. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich nach der Nacht bei Sybil und der zweiten im Flinken Finger noch einmal über den Weg laufen würden. Bestimmt hat er mich wiedererkannt, überlegte sie und wälzte sich auf die andere Seite. Beim Abendessen hat er mich immer wieder angestarrt.

Juno kannte die Geschichte über Oscar Carpue – wer kannte sie nicht? Aber sie wusste auch, dass Mrs Hoadswood nicht zu denen gehörte, die einen Menschen nach den Taten anderer verurteilten, egal ob verwandt oder nicht. Sie war die Erste, die sich hinstellen und erklären würde, dass bei vielen, die im Irongate-Gefängnis einsaßen, Armut das einzige Verbrechen war.

Was sind wir nur für eine sonderbare Truppe, dachte sie. Beag und Aluph, Benedict und ich, und nun der Gehilfe eines Leichenbestatters, in dessen Vergangenheit es einen Mord gegeben hatte, auch wenn darüber zugegebenermaßen nichts Genaues bekannt war … Ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe, die Zeit verging und sie konnte trotzdem nicht einschlafen. Sie wusste, was helfen würde. Bei dem Gedanken an Benedicts Worte kämpfte sie mit sich, blieb noch einen Moment liegen und zog schließlich doch ihren Koffer hervor. Sie würde ein andermal über Benedicts Warnung nachdenken.