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Etwas Verrückteres oder übler Riechendes als einen Wachtmeister, der mit den Zersetzungssubstanzen einer Leiche bekleckert ist, wird es wohl kaum geben, dachte Aluph, sagte jedoch nichts dergleichen. »Vielleicht ist es ja eine Art Botschaft?«

»Mag sein.«

Aluph drehte sich zu dem Wagen um, auf dem Harry lag, und tastete mit den Händen schnell dessen Kopf ab. Enttäuscht musste er feststellen, dass B, der Sektor, der für Unglück und Missgeschick zuständig war, nicht ausgeprägter schien als normal. Falls überhaupt ein Unterschied bestand, dann war diese Region sogar eher unterentwickelt.

Auch gut, dachte Aluph. Er hatte noch jede Menge anderer Theorien, auf die er aufbauen konnte, und eine davon war die, dass ein Schädel womöglich auf die Leichtgläubigkeit eines Menschen hinweisen könnte. In Gedanken tastete er noch einmal über Cynthia Ecclestopes Kopf. Der wäre dafür gewiss aufschlussreich.

Inzwischen hatte sich die Menge aufgelöst und Aluph und der Wachtmeister schlugen getrennte Wege ein. Letzterer begab sich zum Friedensrichter, um Bericht zu erstatten, und Aluph ging zu Mrs Hoadswood, um sich einen Mittagsimbiss und ein Nachmittagsschläfchen zu gönnen. Die ganze Zeit aber stand eine einsame Gestalt halb verborgen hinter einem auf der anderen Straßenseite abgestellten Heuwagen und beobachtete die Szene. Sie wartete ab, bis die beiden um die Ecke und damit außer Sichtweite waren, und verließ dann ebenfalls den Schauplatz.

Kapitel 24

Rudy Idolice

Mit einem empörten Seufzer legte Pin die letzte Nummer des Chronicle beiseite. Er griff unter die Matratze, zog ein Holzkästchen hervor und stellte es vor sich auf den Boden. Es war ein wunderschönes Stück Handwerkskunst – sein Vater hatte es eigens für ihn aus Buchenholz gemacht, ein Holz aus den dichten Wäldern außerhalb der Stadtmauern. Es war rechteckig, zwölf mal zwanzig Zentimeter, und etwa zehn Zentimeter hoch. Pin hatte es stets in Ehren gehalten und regelmäßig mit einem in Bienenwachs getauchten Lappen poliert. Das Kästchen erfüllte einerseits einen bestimmten Zweck und erinnerte ihn andererseits an seinen Vater. Anfangs hatte er es immer in seinem Beutel bei sich getragen. Aber da es ziemlich sperrig war, hatte er es, sobald er bei Mr Gaufridus angestellt war, in den Tiefen eines Schrankes im Keller sicher aufbewahrt. Jetzt, wo er in Mrs Hoadswoods Pension wohnte, war er froh, das Kästchen immer bei sich im Zimmer zu haben, wenn auch versteckt.

So meisterlich war die Tischlerkunst seines Vaters, dass die Verbindungsstellen unsichtbar ineinandergefügt waren und sich unmöglich erkennen ließ, wo das Kästchen aufhörte und wo der Deckel anfing. Pin tastete über die Kanten und brummte zufrieden, als er die richtige Stelle fand, um den Deckel zu öffnen. In dem Kästchen lag ein Bündel vergilbter Papiere und darauf sein Tagebuch. Er faltete Deodonatus’ letzten Artikel zusammen und legte ihn vorsichtig zu den anderen. Dann, als hätte er seine Meinung geändert, nahm er das ganze Bündel heraus und begann, die Zeitungsausschnitte von oben nach unten durchzublättern. Sie stammten alle aus dem Chronicle und waren bis auf einen oder zwei von Deodonatus Snoad verfasst. Der Reihe nach berichteten sie von dem Mord an Fabian. Alles kam vor, die Entdeckung der Leiche, das Verschwinden des Oscar Carpue und die Verdächtigungen, diese nie endende Unterstellung, dass Oscar der Bösewicht sei. Am letzten Artikel blieb Pin lange hängen. Dieses Machwerk ärgerte ihn ganz besonders.

Was treibt einen Mann zum Mord?

Von Deodonatus Snoad

Überlegungen zu dem berüchtigten Fall des OSCAR CARPUE und dem Mord an FABIAN MERDEGRAVE

Kopfschüttelnd und mit gerunzelter Stirn starrte Pin auf die Zeilen. Wie oft hatte er solche Artikel gelesen und wieder gelesen? War denn niemand sicher vor Deodonatus’ vergifteter Feder? Gestern war sogar Aluph erwähnt worden. Er hatte Wachtmeister Coggley geholfen, einen Toten aus dem Uferschlamm des Foedus zu ziehen. Ein weiteres Opfer des Silberapfel-Mörders. Deodonatus nannte Aluph in seinem Artikel einen »Beulen-Deuter«, was ganz und gar nicht der Bezeichnung entsprach, die Aluph immer als seinen Beruf angab. Trotzdem war Aluph nicht allzu ärgerlich, denn eine Erwähnung im Chronicle konnte seiner Meinung nach nur gut fürs Geschäft sein. Deodonatus hatte sogar angedeutet, er werde Aluphs Dienste vielleicht selbst einmal nutzen – »im Interesse seiner verehrten Leser«.

»Dieser Teufel!«, sagte Pin laut. »Der einzige Mensch, für den sich Deodonatus Snoad interessiert, heißt Deodonatus Snoad.« Niedergeschlagen verstaute er das Bündel Zeitungsartikel wieder in dem Kästchen, legte sein Tagebuch obendrauf und schloss den Deckel. Dann stieg er missmutig ins Bett. Was war das für ein Tag gewesen! Immer wieder kehrten seine aufgewühlten Gedanken zum Silberapfel-Mörder zurück. Es war eine absurde Vorstellung, dass sein Vater irgendetwas damit zu tun haben könnte!

Pin schloss die Augen und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Er hatte in der vergangenen Nacht nicht nur eine Leichenwache gehabt, sondern Mr Gaufridus war am Nachmittag auch noch weggerufen worden und Pin hatte alles allein machen müssen – hämmern, sägen, hobeln, bohren und zwischendurch hundertmal treppauf, treppab laufen. Anscheinend herrschte zurzeit eine Flut von Nachfragen und jeder Kunde betätigte ungeduldig die Glocke auf dem Ladentisch. Am Abend waren Pins Muskeln verkrampft und der Mund tat ihm vom vielen Reden weh.

Als es leise an seiner Tür klopfte, fuhr er auf.

»Ja?«, rief er, und Juno trat ein. Sie war in ihren Umhang gehüllt und zum Weggehen angezogen.

»Ich habe gedacht, du würdest vielleicht gern mitkommen, das Gefräßige Biest anschauen?«, sagte sie. »Sollten wir tatsächlich zusammen weggehen, musst du’s doch vorher mal gesehen haben.«

Pin lächelte. Er wusste, dass sie sich über ihn lustig machte, aber es war nicht unfreundlich gemeint.

»Keine Angst«, sagte er lachend. »Ich komm schon noch hinter euren Trick. Aber sag, müsstest du heute Abend nicht im Flinken Finger sein?«

Juno schüttelte den Kopf. »Benedict sitzt zurzeit die Kälte in den Knochen. Er sieht gar nicht gut aus.«

Du siehst selbst nicht so gut aus, dachte Pin mitfühlend. Junos ohnehin immer blasse Haut wirkte fast durchsichtig und ihre Schläfenadern schimmerten bläulich.

»Kommst du also mit?«

Pin nickte und zog seine Stiefel an. Sie hatte recht: Ob sie nun gemeinsam oder getrennt gingen, es wäre eine Schande, Urbs Umida zu verlassen, ohne sich vorher das Gefräßige Biest angeschaut zu haben. Und was das Für und Wider derartiger Attraktionen betraf – Pin hatte da durchaus seine Vorbehalte –, so würde er später darüber nachdenken.

»Schön«, sagte Juno, die bereits an der Tür stand.

Pin knöpfte seinen Mantel zu und eilte hinter ihr her.

Im Flinken Finger gönnte sich Rudy Idolice, stolzer Besitzer und Aussteller des Gefräßigen Biests, eine kurze Pause und hielt gerade ein Nickerchen auf seinem Stuhl. Eine seiner wenigen Begabungen war die Fähigkeit, in praktisch jeder Stellung und zu jeder Zeit zu schlafen.

Er passte gut auf das Tier auf, so gut wie auf alle seine Besitztümer, besonders auf die, mit denen er Geld verdiente. Gelegentlich, wenn nicht viel los war, stieg er in den Keller hinunter, stellte sich vor den Käfig und sah zu, wie die Bestie sich durch den Haufen verdorbener Abfälle fraß. Für Rudy war die Bestie immer ein Es. Er sah in ihr kein männliches oder weibliches Tier. Wäre das nämlich der Fall gewesen, wäre es ihm womöglich nicht so leicht gefallen, das Biest in der Weise zu behandeln, wie er es tat. Er sah ihm auch nicht gern direkt in die Augen, denn nicht einmal er konnte abstreiten, dass in diesem Blick etwas lag, das nicht zu der monströsen Gestalt des Wesens passte.