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Smileys Gesicht hatte jeden Ausdruck verloren. Die Erregung von vorhin war völlig verschwunden.

»Was Sie alles pflichtgemäß Ihrem Abteilungschef um drei Uhr fünfzehn meldeten?«

»Jawohl, Sir.«

»Spielten Sie ihm das Band vor?«

»Er hatte keine Zeit, es sich anzuhören«, sagte Mostyn gnadenlos. »Er mußte unverzüglich zu einem langen Wochenende auf­brechen.«

Mostyns hartnäckige Bündigkeit war jetzt so ausgeprägt, daß Strickland sich offenbar verpflichtet glaubte, die Lücken zu fül­len.

»Nun ja, wenn wir nach Sündenböcken suchen, George, dann kann man nur sagen, daß der Abteilungsleiter sich bis auf die Knochen blamiert hat, das steht völlig außer Frage«, erklärte Strickland forsch. »Er versäumte es, nach Wladimirs Unterlagen zu schicken - die natürlich nie gekommen wären. Er versäumte es, sich mit der geltenden Regelung über die Behandlung von Emigranten vertraut zu machen. Auch schien er einem schweren Anfall von Wochenend-Fieber erlegen zu sein und nicht hinter­lassen zu haben, wo man ihn im Ernstfall erreichen könne. Gott stehe ihm am Montagmorgen bei, kann ich nur sagen. Weiter im Text, Mostyn, wir warten, mein Junge.«

Mostyn nahm gehorsam den Faden wieder auf. »Wladimir rief zum dritten- und letztenmal um drei Uhr dreiundvierzig an, Sir«, sagte er, wobei er noch langsamer sprach als bisher. »Ei­gentlich war ein Viertel vor vier abgemacht, aber er ging zwei Minuten vor.« Mostyn hatte inzwischen summarische Anwei­sungen von seinem Chef bekommen, die er jetzt für Smiley wie­derholte: »Er nannte es eine Baldrian-Tour. Ich sollte herausfin­den, was der alte Knabe eigentlich wollte, und wenn es gar nicht anders ginge, einen Treff mit ihm ausmachen, damit er Ruhe gebe. Ich sollte ihm einen Drink spendieren, Sir, ihm auf die Schulter klopfen und ihm weiter nichts versprechen, als daß ich seine Botschaft weitervermitteln würde.«

»Und die Nachbarn?« fragte Smiley. »Haben die Ihren Abtei­lungsleiter nicht stutzig gemacht?«

»Er dachte, es sei die übliche Agenten-Angeberei, Sir.«

»Verstehe. Ja, ich verstehe«, sagte Smiley und schüttelte im Wi­derspruch zu dieser Behauptung ratlos den Kopf. »Wie verlief nun Ihr drittes Gespräch mit Wladimir?«

»Laut Wladimir sollte es ein sofortiger Treff sein oder gar nichts, Sir. Ich habe, wie befohlen, alle Alternativen an ihm ausprobiert - >Schreiben Sie uns einen Brief- wollen Sie Geld haben? - hat si­cher Zeit bis Montag< -, aber da hat er mich auch schon niederge­brüllt. >Ein Treff oder gar nichts. Heute abend oder überhaupt nicht. Moskauer Regeln. Betone, Moskauer Regeln. Sagen Sie das Max - <«

Mostyn unterbrach sich, hob den Kopf und gab, ohne mit der Wimper zu zucken, Stricklands feindseliges Glotzen zurück. »Sagen Siewas Max?« sagte Smiley, und sein Blick flog zwischen den beiden hin und her.

»Wir sprachen französisch, Sir. Laut Karte war französisch seine bevorzugte Fremdsprache, und ich bin im Russischen erst An­fänger.«

»Unerheblich«, schnappte Strickland.

»Sagen Sie Max was?« beharrte Smiley.

Mostyns Blick wählte als neuen Fixierpunkt einen Fleck auf dem Fußboden, in ein bis zwei Metern Entfernung von seinen Füßen. »Er meinte: >Sagen Sie Max, unter allen Umständen Moskauer Regeln. <«

Lacon, der sich während der letzten Minuten ganz unnatürlich still verhalten hatte, fiel nun ein: »Hier gilt es, einen wichtigen Punkt klarzumachen: Der Circus war in diesem Fall nicht der Bittsteller. Das war er. Der Ex-Agent. Er hatalles durchdrücken wollen, er hat alles eingefädelt. Hätte er unseren Vorschlag an­genommen und uns seine Information brieflich gegeben, dann hätte nichts von alledem passieren müssen. Er hat es sich selbst zuzuschreiben, George, ich möchte dies nochmals unmißver­ständlich klarstellen!«

Strickland zündete sich eine neue Zigarette an.

»Moskauer Regeln in Hampstead. Ist ja zum totlachen«, sagte Strickland und wedelte das Streichholz aus. »Tot ist richtig«, sagte Smiley ruhig.

»Mostyn, bringen Sie die Geschichte zu Ende«, befahl Lacon, der dunkelrot anlief.

Sie hatten sich auf einen Zeitpunkt geeinigt, faßte Mostyn hölzern zusammen und starrte jetzt in seine linke Handfläche, als wolle er sich selber wahrsagen. »Zehn Uhr zwanzig, Sir.«

Sie hatten sich auf Moskauer Regeln geeinigt, sagte er, und auf die üblichen Kontaktprozeduren, die Mostyn bereits am frühe­ren Nachmittag anhand des im Zwinger aufliegenden Treff-In­dex zusammengestellt hatte.

»Und was waren die Kontakt-Prozeduren genau?« fragte Smi­ley.

»Ein Bilderbuch-Treff, Sir«, antwortete Mostyn. »Genau, wie wir's im Ausbildungskurs in Sarratt gelernt haben.«

Smiley spürte plötzlich, wie Mostyns unverhüllte Respektsbe­zeigungen ihm lästig wurden. Er wollte nicht der Held dieses Jungen sein, nicht von seiner Stimme, seinen Blicken, seinem »Sir« umworben werden. Er war auf die besitzergreifende Be­wunderung dieses Fremden nicht vorbereitet.

»Auf der Hampstead Heath steht ein Schutzhäuschen, zehn Mi­nuten zu Fuß von der East Heath Road, über einem Spielfeld an der Südseite der Allee, Sir. Das Sicherheitssignal war eine neue Reißzwecke oben im ersten Holzsparren links vom Eingang.«

»Und das Gegensignal?« fragte Smiley.

Doch er kannte die Antwort bereits.

»Ein gelber Kreidestrich«, sagte Mostyn. »Ich vermute, gelb war eine Art Gruppenkennzeichen aus den alten Tagen.« Jetzt ver­riet sein Tonfall, daß es dem Ende zuging. »Ich brachte die Reiß­zwecke an, kam dann nach hierher zurück und wartete. Als er nicht auftauchte, dachte ich, na schön, wenn er den Geheimnis­fimmel hat, dann muß ich eben nochmals zur Hütte und nach seinem Gegensignal schauen, dann wird sich schon herausstel­len, ob er in der Gegend ist und es lieber mit der Ausweich-Lö­sung probieren will.«

»Die worin bestand?«

»Aufgabeln mit einem Auto Nähe Swiss Cottage U-Bahn-Sta­tion um elf Uhr vierzig, Sir. Ich wollte gerade aufbrechen, als Mr. Strickland anrief und mir befahl, ich solle mich bis auf weite­res nicht vom Fleck rühren.« Smiley nahm an, er sei nun am Ende, aber das traf nicht ganz zu. Mostyn, der alle übrigen An­wesenden vergessen zu haben schien, schüttelte langsam den hübschen bleichen Kopf. »Ich habe ihn nie kennengelernt«, sagte er in bedächtigem Staunen. »Er war mein erster Agent, und ich habe ihn nicht einmal zu sehen bekommen. Ich werde nie er­fahren, was er mit erzählen wollte«, sagte er. »Mein erster Agent, und er ist tot. Unglaublich. Ich bin schon ein Unglücks­rabe.« Sein Kopfschütteln hielt noch eine ganze Weile an, nach­dem er zu sprechen aufgehört hatte.

Lacon fügte ein schwungvolles Postscriptum hinzu: »Nun, Scot­land Yard verfügt heutzutage über einen Computer, George. Die Polizeistreife Heath fand die Leiche und sperrte die Gegend ab, und sowie der Name in den Computer eingefüttert worden war, spuckte der eine Menge Bits oder dergleichen Zeugs aus, und sofort wußte man, daß er auf unserer Sonderüberwachungs­liste stand. Von da an lief alles wie am Schnürchen. Der Commis­sioner rief das Innenministerium an, das Innenministerium rief den Circus an - «

»Und Sie riefen mich an«, sagte Smiley. »Warum, Oliver? Von wem ging der Vorschlag aus, mich in dieses Spiel einzubezie­hen?«

»George, ist das wichtig?«

»Enderby?«

»Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ja, es war Saul Enderby. George, hören Sie mir zu.«

Endlich war Lacons großer Augenblick gekommen. Das Ziel, was immer es sein mochte, lag vor ihnen, sie hatten es umschrie­ben, wenn auch noch nicht definiert. Mostyn war vergessen. La­con beugte sich zutraulich über Smileys sitzende Gestalt und gab sich ganz als guter alter Freund.