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»Er sagte es mehrmals.«

»Kürzlich?«

»Ja.«

»Wie kürzlich?«

»Kann zwei Monate her sein. Vielleicht weniger.«

»Nachdem er den Brief aus Paris erhielt oder vorher?«

»Nachher. Ganz fraglos.«

Mikhel begleitete ihn zur Tür, ganz der Gentleman, der Toby Esterhase nicht war. Elvira saß rauchend an ihrem Platz neben dem Samowar und betrachtete dasselbe Bild mit den Birken. Als sie an ihr vorbeigingen, hörte Smiley eine Art Zischen, das aus dem Mund oder aus der Nase oder aus beidem kam, als eine letzte Bekundung ihrer Verachtung.

»Was werden Sie nun tun?« fragte Mikhel, als richte er sich an die trauernden Hinterbliebenen. Aus dem Augenwinkel heraus sah Smiley, wie ihr Kopf sich hob und ihre Finger sich über die Seite spreizten. Eine letzte Idee kam ihm: »Und die Handschrift ha­ben Sie nicht erkannt?« fragte er.

»Welche Handschrift meinen Sie, Max?«

»Die auf dem Umschlag aus Paris.«

Plötzlich hatte er keine Zeit mehr, um auf die Anwort zu warten, plötzlich war er die dauernden Ausflüchte leid.

»Good bye, Mikhel.«

»Leben Sie wohl, Max.«

Elviras Kopf neigte sich wieder über die Birken.

Ich werde es nie erfahren, dachte Smiley, als er schnell die Holz­treppe hinunterging. Niemand von uns wird es erfahren. War er Mikhel, der Verräter, der dem alten Mann verübelte, daß er mit ihm seine Frau teilen mußte und der nach der Krone dürstete, die man ihm zu lange vorenthielt? Oder war er Mikhel, der selbst­lose Offizier und Gentleman, Mikhel, der ewig treue Diener? Oder war er vielleicht, wie viele treue Diener, beides?

Er dachte an Mikhels Kavalleristenstolz, der so schrecklich ver­letzbar war wie jede andere Mannestugend eines Helden. An sei­nen Stolz, der Hüter des Generals zu sein, den Stolz, sein Statt­halter zu sein. Das schmachvolle Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Dann wieder sein Stolz - in wieviele Wege er sich ver­ästelte! Doch wie weit reichte er? Bis zum Stolz, jedem Herrn nobel aufzuwarten, zum Beispiel?

Ich habe beide Herren gut bedient, sagt der perfekte Doppel­agent im Zwielicht seines Lebens. Und sagt es zudem mit Stolz, dachte Smiley, der etliche von ihnen gekannt hatte.

Er dachte an den siebenseitigen Brief aus Paris. Er dachte an zweite Beweise. Er fragte sich, bei wem die Fotokopie wohl ge­landet war - vielleicht bei Esterhase? Er fragte sich, wo das Ori­ginal sein mochte. Wer ist wohl nach Paris gegangen, fragte er sich. Wenn Willem nach Hamburg ging, wer war dann der kleine Magier? Er war hundemüde. Seine Müdigkeit setzte ihm zu wie ein Virus. Er fühlte sie in den Knien, in den Hüften, in seinem ganzen erlahmenden Körper. Doch er marschierte weiter, denn sein Geist verweigerte die Rast. Und überdies war der Augen­blick gekommen, wo er nicht mehr eskortiert werden wollte, weder von Freund noch von Feind.

11

Gehen konnte die Ostrakowa gerade noch, und gehen war das einzige, was sie wollte. Gehen und auf den Magier warten. Nichts war gebrochen. Wenn auch ihr kleiner stämmiger Kör­per, nachdem man sie gebadet hatte, schwarzfleckig wurde wie eine Karte von den sibirischen Kohlefeldern, so war doch nichts gebrochen. Und ihr armes Kreuz, das ihr im Lagerhaus immer ein bißchen zu schaffen gemacht hatte, sah bereits so aus, als hät­ten die vereinten Geheimarmeen Sowjetrußlands sie mit Fußtrit­ten quer durch Paris gejagt: Doch gebrochen war nichts. Sie hat­ten jeden einzelnen Teil von ihr durchleuchtet, sie wie Fleisch zweifelhafter Qualität nach inneren Blutungen abgetastet. Nur um ihr schließlich düster zu erklären, daß sie das Opfer eines Wunders sei.

Sie hatten sie trotzdem behalten wollen. Zur Behandlung ihres Schocks, zur Verabreichung von Beruhigungsmitteln - wenig­stens für eine Nacht! Die Polizei, die sechs Zeugen ermittelt hat­te, mit sieben einander widersprechenden Aussagen (War der Wagen grau oder blau? ein Marseiller oder ein ausländisches Nummernschild?), die Polizei hatte sie lange vernommen und gedroht, zwecks weiterer Einvernahme zurückzukommen. Doch die Ostrakowa hatte trotz allem ihre Entlassung aus dem Krankenhaus durchgesetzt.

Ob sie denn wenigstens Kinder habe, die sich um sie kümmern würden, hatten sie gefragt. Oh, gewiß, massenhaft, sagte sie. Töchter, die ihr den geringsten Wunsch von den Augen ablesen, Söhne, die sie die Treppe hinauf und hinunter bringen würden! Jede Menge - so viele sie wollten! Den Schwestern zu Gefallen lieferte sie sogar die Lebensläufe ihrer Kinder, obwohl ihr der Schädel dröhnte wie eine Kriegstrommel. Sie hatte sich Kleider besorgen lassen. Ihre eigenen waren in Fetzen, und der liebe Gott mußte höchst persönlich rot geworden sein, als er sah, in welchem Zustand man sie aufgelesen hatte. Sie gab eine falsche Adresse an, die zu ihrem falschen Namen paßte; sie wollte keine Nachbehandlung, keine Besucher. Und um Schlag sieben Uhr abends wurde die Ostrakowa durch einen reinen Willensakt zur Ex-Patientin, als sie vorsichtig und äußerst mühsam die Auffahrt des großen, schwarzen Krankenhauses hinunterging, um die­selbe Welt wiederzufinden, die an eben diesem Tag alles getan hatte, um sie für immer los zu werden. Sie trug ihre Stiefel, die wie sie selbst verbeult, aber wunderbarerweise ganz waren; und sie war mächtig stolz auf die Art, wie sie ihr Halt gegeben hatten. Sie trug sie immer noch. Im Dämmerlicht ihrer eigenen Woh­nung, während sie in Ostrakows zerschlissenem Sessel saß und sich geduldig mit seinem alten Armeerevolver plagte, zu ergrün­den versuchte, wie er sich laden, entsichern und abfeuern ließ, trug sie ihre Stiefel wie eine Uniform: >Ich bin eine Einmannar­mee. < Am Leben bleiben, das war ihr einziges Ziel, und je länger ihr dies gelänge, desto größer würde ihr Sieg sein. Am Leben blei­ben, bis der General käme oder ihr den Magier schicken würde.

Ihnen entkommen, wie Ostrakow? Nun, das hatte sie fertig ge­bracht. Sie zum Narren halten, wie Glikman, sie in Ecken drän­gen, wo ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihre eigene Obszö­nität zu betrachten. Seinerzeit, erinnerte sie sich wohlgefällig, hatte sie das auch ein bißchen betrieben. Aber überleben, wie dies keiner ihrer beiden Männer getan hatte, sich ans Leben klammern, gegen all die Bemühungen dieser seelenlosen und er­drückenden Welt von stumpfsinnigen Funktionären; ihnen jede Stunde des Tages ein Stachel im Fleisch sein, nur indem sie lebte, atmete, sich bewegte, bei Verstand blieb - das, hatte die Ostra­kowa entschieden, war eine Beschäftigung, die ihres Kampf­geists, ihres Glaubens und ihrer beiden Lieben würdig war. Sie hatte sich sofort mit gebührender Hingabe ans Werk gemacht. Schon hatte sie diese Närrin von Hausmeisterin zum Einkaufen geschickt: Auch Kranksein hatte seine guten Seiten.

»Ich habe einen kleinen Anfall erlitten, Madame« - ob sie eine Herzschwäche, ein Magenübel oder die russische Geheimpolizei angefallen hatte, band sie der alten Ziege nicht auf die Nase -, »ich soll ein paar Wochen mit der Arbeit aussetzen und mich schonen - ich bin erschöpft, Madame -, es gibt Zeiten, da will man nichts als allein sein. Hier Madame, nehmen Sie - ich weiß, Sie sind keine geldgierige Schnüfflerin.« Madame la Pierre schloß die Hand um die Banknote und linste nur auf eine Ecke des Scheins, ehe sie ihn in ihrem Rockbund verschwinden ließ. »Und noch etwas, Madame, falls jemand nach mir fragt, sagen Sie bitte, ich sei verreist; ich werde auf der Straßenseite kein Licht machen. Sensible Frauen wie wir haben schließlich das Recht auf ein biß­chen Ruhe, meinen Sie nicht auch? Doch, Madame, bitte, mer­ken Sie sich diese Besucher und sagen Sie mir, wer es war - der Gasmann, jemand von der Caritas -, sagen Sie mir alles, es tut mir gut, wenn ich höre, wie das Leben draußen weitergeht.« Die Concierge kam zu dem Schluß, daß Maria Ostrakowa ver­rückt sei, aber ihr Geld war normal, und nichts mochte die Con­cierge lieber als Geld, und außerdem war sie selber verrückt. In­nerhalb weniger Stunden war Maria Ostrakowa gerissener ge­worden, als sie es jemals in Moskau gewesen war. Der Mann der Concierge kam herauf - gleichfalls ein Bandit, schlimmer noch als die alte Ziege - und montierte, durch weitere Zahlungen an­gespornt, Sperrketten an die Wohnungstür.