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Sandmann, dachte er: Warum hältst du mich wach, wo du mich doch eigentlich einschläfern sollst?

Gleicherweise von Geist und Körper gequält, konnte die Ostra­kowa in ihrer kleinen Pariser Wohnung nicht schlafen, selbst wenn sie es gewollt hätte: Die ganze Zauberkraft des Sandmanns hätte ihr nicht helfen können. Sie drehte sich auf die Seite, und ihre zerquetschten Rippen stachen, als lägen immer noch die Arme um sie, die versucht hatten, sie unter den Wagen zu schleudern. Sie probierte die Rückenlage, und der Schmerz in ih­rem Kreuz war so stark, daß ihr übel wurde. Und wenn sie sich auf den Bauch drehte, wurden ihre Brüste wund wie damals, als sie versucht hatte, Alexandra zu stillen, in den Monaten, bevor sie ihr Kind verließ, und sie haßte sie darum.

Es ist Gottes Strafe, sagte sie ohne zu große Überzeugung. Erst als der Morgen kam und sie wieder mit dem Revolver auf den Knien in Ostrakows Armsessel saß, erlöste die erwachende Welt sie für ein paar Stunden von ihren Gedanken.

13

Die Kunstgalerie lag an jenem Ende der Bond Street, das in Fachkreisen als das Schlechte gilt, und Smiley fand sich am Mon­tagvormittag dort ein, lang ehe irgendein respektabler Kunst­händler aus den Federn war.

Er hatte einen unwahrscheinlich ruhigen Sonntag verbracht. Die Bywater Street war spät erwacht, und Smiley mit ihr. Während er schlief, hatte sein Gedächtnis weitergearbeitet und den ganzen Tag hindurch war es auf dem Sprung gewesen, mit dem einen oder anderen bescheidenen Fundstück aufzuwarten. Zumindest in seinem Gedächtnis war sein schwarzer Gral ein Stück näher­gerückt. Sein Telefon hatte kein einziges Mal geklingelt, ein leichter, aber beharrlicher Katzenjammer sorgte für anhaltende stille Nachdenklichkeit. Er war, wider bessere Einsicht, Mit­glied eines Clubs in der Nähe von Pall Mall, wo er in kaiserlicher Einsamkeit einen Lunch aus aufgewärmtem Steak-und-Kid­ney-Pie zu sich nahm. Anschließend hatte er sich vom Chefpor­tier seine Kassette aus dem Clubsafe geben lassen und ihr in aller Stille ein paar illegale Besitztümer entnommen, unter anderem einen auf seinen Arbeitsnamen Standfast lautenden britischen Paß, der nie den Weg zurück zu den Housekeepers des Circus gefunden hatte; einen dazu passenden internationalen Führer­schein; eine ansehnliche Geldsumme in Schweizer Franken, die unstreitig sein Privatbesitz waren, aber ebenso unstreitig im Wi­derspruch zu den geltenden Devisenbestimmungen hier lager­ten. Jetzt steckten sie in seiner Tasche.

Die Galerie war in blendendem Weiß gehalten, die Leinwände hinter den Fenstern aus Panzerglas hoben sich kaum davon ab: weiß auf weiß, und die gerade noch wahrnehmbare Kontur einer Moschee oder der St. Paul's Cathedral - oder war es Washington? - mit einem Finger in den dicken Brei gegraben. Vor einem halben Jahr hatte das über dem Gehsteig hängende Schild ver­kündet: The Wandering Snail Coffee Shop. Heute lautete die In­schrift: Atelier Benati, goût arabe, Paris, New York, Monaco, und eine diskrete Speisenkarte an der Tür zählte die Spezialitäten des neuen Chefs auf: Islam, Klassik und Moderne. Innenraum­gestaltung. Übernahme von Ausstattungsaufträgen. Sonnez.

Smiley tat, wie ihm geheißen, ein elektrischer Türöffner kreisch­te, die Glastür gab nach. Eine leicht angestaubte Ladenhüterin, aschblond und halbwach, beäugte ihn argwöhnisch über einen weißen Schreibtisch hinweg.

»Dürfte ich mich bitte einmal umsehen?« sagte Smiley.

Ihre Augen hoben sich leicht zu einem islamischen Himmel. »Die kleinen roten Punkte bedeuten verkauft«, knautschte sie, reichte ihm eine maschinengeschriebene Preisliste, seufzte und widmete sich wieder ihrer Zigarette und ihrem Horoskop.

Ein paar Minuten lang schlurfte Smiley unglücklich von einer Leinwand zur anderen, bis er aufs neue vor dem Mädchen stand. »Könnte ich bitte Mister Benati sprechen?« sagte er.

»Oh, Mister Benati ist im Augenblick leider total ausgebucht. Der Nachteil, wenn man international ist«, fügte sie mit mehr als einer Spur Sarkasmus hinzu.

»Vielleicht könnten Sie ihm sagen, Mr. Engel möchte ihn spre­chen«, schlug Smiley mit anhaltender Schüchternheit vor. »Wenn Sie ihm das vielleicht sagen könnten. Engel, Alan Engel, er kennt mich nämlich.«

Er setzte sich auf das S-förmige Sofa. Es war mit zweitausend Pfund ausgezeichnet und mit einer schützenden Zellophanhülle bezogen, die quietschte, wenn Smiley sich bewegte. Er hörte, wie sie den Telefonhörer abhob und hineinseufzte.

»Hab' einen Engel für Sie«, hauchte sie mit Schlafzimmerstim­me. »Wie im Paradies, ja, Engel?«

Wenig später klomm Smiley eine Wendeltreppe ins Dunkel hin­ab. Drunten wartete er. Es klickte, und ein halbes Dutzend Lampen bestrahlten leere Stellen, an denen keine Bilder hingen. Eine Tür ging auf und gab den Blick frei auf eine kleine adrette Gestalt. Der Mann stand regungslos da. Das volle weiße Haar war flott nach hinten gekämmt. Er trug einen pechschwarzen Anzug mit breiten Streifen, und Schnallenschuhe. Der Streifen war entschieden zu breit für ihn. Die rechte Faust steckte in der Jackentasche, doch als er Smiley sah, zog er die Hand heraus und hielt sie seinem Besucher wie eine gefährliche flache Klinge hin. »Nein, Mr. Engel«, rief er mit deutlichem mitteleuropäischen Akzent und warf rasch einen Blick treppauf, als wolle er sehen, wer zuhörte. »Was für eine große Freude, Sir. Haben uns viel zu lange nicht gesehen. Bitte treten Sie näher.«

Sie reichten sich die Hände, doch jeder wahrte Distanz.

»Hallo, Mister Benati«, sagte Smiley und folgte ihm in ein Büro, das sie durchschritten, und in einen dahinterliegenden Raum, wo Mr. Benati die Tür schloß und sich bedächtig dagegen lehnte, vielleicht um jedes unbefugte Eindringen zu verhindern. Danach sprach längere Zeit keiner der beiden Männer ein Wort, dafür musterte jeder den anderen in respektvollem Schweigen. Mr. Benatis Augen waren braun und beweglich und blickten nir­gendwo lange hin und nirgendwohin ohne bestimmten Grund. Der Raum machte den Eindruck eines dürftigen Boudoirs, mit einer Chaiselongue und einem rosa Waschbecken in einer Ecke. »Nun, wie geht's Geschäft, Toby?« fragte Smiley.

Toby Esterhase reagierte auf diese Frage mit einem besonderen Lächeln und einer besonderen Art, die kleinen Handflächen nach oben zu drehen.

»Es floriert, George. Erfolgreicher Start, dann fantastischer Sommer. Der Herbst, George« - wieder die Handbewegung -, »der Herbst, würde ich sagen, ist eher schleppend. Man muß, genau gesagt, vom eigenen Höker zehren. Kaffee, George? Meine Sekretärin kann uns Kaffee machen.«

»Wladimir ist tot«, sagte Smiley nach einer weiteren ziemlich langen Pause. »Erschossen, in Hampstead Heath.«

»Traurig. Der alte Mann, wie? Traurig.«