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»Aber nicht alle werden dabei erschossen, nicht wahr, Toby? Hier liegt der Haken, verstehen Sie. Ursache und Wirkung. Ei­nes Tages streitet Toby sich mit Wladimir, und am nächsten Tag wird Wladimir mit einer russischen Waffe erschossen. Die Poli­zei spricht in solchen Fällen von einer peinlichen Verkettung der Ereignisse. Wir übrigens auch.«

»George, sind Sie verrückt? Was zum Teufel soll das mit dem Streit? Ich sage Ihnen doch: Ich habe nie im Leben mit dem alten Mann Streit gehabt!«

»Mikhel sagt, Sie hätten.«

»Mikhel? Sie haben sich bei Mikhel erkundigt?«

»Laut Mikhel war der alte Mann sehr erzürnt über Sie. >Hector taugt nichts<, habe Wladimir ihm wiederholt gesagt. Er zitierte Wladimir wörtlich. >Hector taugt nichts.< Mikhel war sehr er­staunt. Wladimir hatte immer große Stücke auf Sie gehalten. Mikhel konnte sich nicht vorstellen, welche Geschichte zwi­schen Ihnen beiden einen so ernsthaften Umschwung verursacht haben mochte. >Hector taugt nichts.< Warum taugten Sie nichts, Toby? Was ist passiert, warum ereiferte Wladimir sich derart über Sie? Ich möchte es der Polizei gern verschweigen, wenn ir­gend möglich, verstehen Sie. Um unser aller willen.«

Doch der Außenmann in Toby Esterhase war jetzt voll erwacht, und er wußte, daß Verhöre, genau wie Schlachten, niemals ge­wonnen, immer nur verloren werden.

»George, das ist doch absurd«, erklärte er, eher mitleidig als ge­kränkt. »Ich meine, ein Blinder sieht, daß Sie mich zum besten halten. Oder? Ein alter Mann baut Luftschlösser, und damit wollen Sie gleich zur Polizei laufen? Hat Lacon Sie dafür ange­heuert? Ist das der Aufwasch, den Sie besorgen sollen? George?«

Diesmal schien das lange Schweigen irgendeinen Entschluß in Smiley gezeitigt zu haben, und als er wieder sprach, klang es, als habe er es eilig. Sein Tonfall war bündig, sogar ungeduldig.

»Wladimir suchte Sie auf. Ich weiß nicht, wann, aber in den letz­ten Wochen. Entweder Sie trafen ihn, oder es war ein Telefonge­spräch - zwischen zwei öffentlichen Fernsprechzellen oder was immer die Abmachung war. Er bat Sie, etwas für ihn zu erledi­gen; Sie lehnten ab. Deshalb verlangte er Max, als er Freitag­abend im Circus anrief. Er hatte Hectors Antwort bereits erhal­ten, und sie lautete >nein<. Das ist auch der Grund, warum Hec­tor >nichts taugt<. Sie haben ihn abgewimmelt.«

Diesmal unternahm Toby keinen Versuch zu unterbrechen.

»Und, wenn ich das sagen darf, Sie haben Angst!« fuhr Smiley fort und blickte geflissentlich nicht auf die Beule in Tobys Jak­kett. »Sie wissen ziemlich genau, wer Wladimir tötete und glau­ben, man könne Sie gleichfalls töten. Ja, Sie hielten es sogar für möglich, daß ich der falsche Engel sein könnte.« Er wartete, aber Toby erhob keinen Einspruch. Smileys Ton wurde milder. »Toby, Sie erinnern sich, was wir in Sarratt immer sagten - daß Angst gleich Information ohne Daumenschrauben sei. Daß wir sie würdigen sollten. Nun, ich würdige Ihre Angst, Toby. Ich möchte mehr darüber wissen. Woher sie kam. Ob ich sie teilen sollte. Weiter nichts.«

Toby Esterhase stand noch immer an der Tür, preßte jetzt die Handflächen gegen die Füllung und musterte Smiley mit höch­ster Aufmerksamkeit und ohne die geringste Lockerung seiner gespannten Haltung. Er mühte sich sogar, durch die Tiefe und den fragenden Ausdruck seines Blicks klarzumachen, daß seine Besorgnis jetzt eher Smiley gelte, als seiner eigenen Person. Da­nach trat er, auch dies mit allen Anzeichen der Wohlgewogen­heit, einen Schritt, dann zwei Schritte ins Zimmer - aber zö­gernd, etwa so, wie man das Krankenhauszimmer eines darnie­derliegenden Freundes betritt. Erst dann, und mit einer recht passablen Imitation des mitfühlenden Besuchers, reagierte er auf Smileys Anschuldigung mit einer höchst treffenden Frage, einer Frage, über die Smiley selber zufällig während der vergangenen beiden Tage weidlich gegrübelt hatte.

»George. Bitte beantworten Sie mir eins. Wer spricht hier ei­gentlich? George Smiley? Oliver Lacon? Mikhel? Wer spricht, bitte?« Als er nicht sofort Antwort erhielt, setzte er seinen Vor­marsch bis zu einem schäbigen seidenbezogenen Taburett fort, wo er sich adrett wie eine Katze niederließ, eine Hand auf jedem Knie. »Denn für einen beauftragten Vertreter, George, stellen Sie ein paar verdammt unbeauftragte Fragen, das erstaunt mich. Ich finde, Sie benehmen sich ziemlich unbeauftragt.«

»Sie haben Wladimir gesehen und mit ihm gesprochen. Was ist passiert?« fragte Smiley, völlig unberührt von Tobys Herausfor­derung. »Sagen Sie mir das, und dann sage ich Ihnen, wer hier spricht.«

In der hintersten Ecke des Plafonds war ein gelblicher Glasqua­der von etwa einem Meter Seitenlänge eingelassen, und die Schatten, die darüberspielten, waren die Füße von Straßenpas­santen. Aus irgendeinem Grund hatte Tobys Blick sich an dieser seltsamen Stelle festgesogen, er schien seinen Entschluß von die­sem Glas abzulesen wie eine Anweisung von einem Bildschirm. »Wladimir hat eine Notruf-Rakete steigen lassen«, sagte Toby im genau gleichen Tonfall wie vorher, weder nachgebend noch zugebend. Ja, er brachte es sogar mit Hilfe eines Stimmtricks fer­tig, eine Drohung mitschwingen zu lassen.

»Durch den Circus?«

»Durch Freunde von mir«, sagte Toby.

»Wann?«

Toby nannte ein Datum. Vor zwei Wochen. Ein Blitz-Treff. Smiley fragte, wo er stattgefunden habe.

»Im Science Museum«, antwortete Toby wieder ganz obenauf. »Im Cafe im obersten Stock, George. Wir tranken Kaffee, be­wunderten die alten Flugzeuge, die von der Decke hängen. Wol­len Sie das alles Lacon berichten, George? Bitte, jederzeit, okay? Ganz wie Sie wünschen. Ich habe nichts zu verbergen.«

»Und er trug sein Anliegen vor?«

»Klar. Er trug mir sein Anliegen vor. Er wollte, daß ich für ihn den Lamplighter spiele. Sein Kamel. Das war ein alter Scherz aus den Moskauer Tagen, wissen Sie noch? Aufsammeln, durch die Wüste tragen, abliefern. >Toby, ich habe keinen Paß. Aidez-moi. Mon ami, aidez-moi.< Sie wissen, wie er redete. Wie de Gaulle. Wir nannten ihn immer >Der andere General Wissen Sie noch?«

»Was tragen?«

»Er legte sich nicht fest. Nur: ein Dokument, klein, nichts, was man verstecken muß. Soviel sagte er mir.«

»Für jemand, der nur die Fühler ausstreckt, scheint mir das eine ganze Menge.«

»Und er hat auch eine ganze Menge verlangt«, sagte Toby und wartete auf Smileys nächste Frage.

»Und das Wo?« fragte Smiley. »Hat Wladimir Ihnen das auch gesagt?«

»Deutschland.«

»Welches?«

»Unseres. Der Norden.«

»Zufällige Begegnung? Tote Briefkästen? Lebende? Welche Art von Treff?«

»Fliegender. Ich sollte mit der Bahn reisen. Von Hamburg nach Norden. Übergabe im Zug, Näheres bei Zusage.«

»Und es sollte eine private Abmachung sein. Kein Circus, kein Max?«

»Zunächst äußerst privat, George.«

Smiley wählte die nächsten Worte besonders taktvoll. »Und die Gegenleistung für Ihre Bemühungen?«

Tobys Antwort klang eindeutig skeptisch: »>Wenn wir das Do­kument< - so nannte er es, okay? Dokument, - >wenn wir das Dokument kriegen, und das Dokument ist echt< - er schwor, es werde echt sein -, >so ist uns ein Platz im Himmel sicher. Zuerst bringen wir das Dokument zu Max, erzählen Max die Geschich­te. Max wird wissen, was es bedeutet. Max wird den immensen Wert des Dokuments erkennen. Max wird uns belohnen. Ge­schenke, Beförderung, Orden, Max bringt uns ins House of Lords.< Klar. Der Haken war nur, Wladimir wußte nicht, daß Max ausrangiert war und der Circus unter die Boy Scouts gegan­gen ist.«

»Wußte er, daß Hector ausrangiert war?«

»Halb und halb, George.«

»Was soll das heißen?« Dann tat Smiley mit einem »Egal« seine eigene Frage wieder ab und verfiel erneut in längeres Nachden­ken.