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»George, darf ich bitten, Nachforschungen in dieser Richtung einzustellen«, sagte Toby ernst. »Ich rate Ihnen dringend, Hände weg«, sagte er und wartete.

Es war, als habe Smiley nichts gehört. Nach einem kurzen Schock schien er das Ausmaß von Tobys Schuld zu wägen.

»Kurzum: Sie haben ihn abblitzen lassen«, murmelte er und starrte unverwandt ins Leere. »Er ging Sie um Hilfe an, und Sie schlugen sie ihm rundweg ab. Wie konnten Sie das tun, Toby? Ausgerechnet Sie?«

Unter der Wucht dieses Vorwurfs sprang Toby wütend auf, was vielleicht hatte bewirkt werden sollen. Seine Augen flammten, die Wangen röteten sich, der schlafende Ungar in ihm war hell­wach.

»Und vielleicht wollen Sie wissen, warum? Warum ich zu ihm gesagt habe: >Scheren Sie sich zum Teufel, Wladimir. Aus mei­nen Augen, bitte, Sie machen mich krank?< Wollen Sie wissen, wer sein Verbindungsmann dort drüben ist - dieser Zauber­künstler in Norddeutschland, der auf dem Topf voll Gold sitzt und uns über Nacht zu Millionären machen soll. George - wol­len Sie seine Personalien erfahren? Erinnern Sie sich zufällig noch an den Namen Otto Leipzig? Vielfacher Inhaber des Titels Knilch des Jahres? Märchenerzähler, Nachrichtenhausierer, Bauernfänger, Sittenstrolch, Zuhälter, außerdem vielseitig kri­minell? Erinnern Sie sich an diesen großen Helden?« Smiley sah wieder das Schottenmuster der Hoteltapete vor sich und die scheußlichen Jagddrucke, auf denen die Jorrocks mit Heissa und Hussa dahersprengten, er sah die beiden Gestalten in ihren schwarzen Mänteln, den Riesen und den Zwerg, und die fleckige Pranke des Generals auf der schmalen Schulter seines Schützlings. »Max, das ist mein guter Freund Otto. Ich habe ihn mitgebracht, damit er Ihnen selber seine Geschichte erzählt.« Er hörte das pausenlose Donnern der auf dem Londoner Flugplatz landenden und startenden Maschinen.

»Vage«, räumte Smiley ein. »Ja, vage erinnere ich mich an Otto Leipzig. Erzählen Sie mir von ihm. Wenn ich nicht irre, hatte er eine Menge Namen. Aber das haben wir alle schließlich auch, wie?«

»Ungefähr zweihundert, aber Leipzig behielt er am Ende bei. Wissen Sie, warum? Leipzig in Ostdeutschland: Die Gefäng­nisse dort hatten es ihm angetan. Er besaß diese Art Galgenhu­mor. Wissen Sie zufällig noch, mit welcher Art Stoff er hausieren ging?« Toby, der glaubte, nun die Initiative zu haben, trat kühn einen Schritt vor, beugte sich zu dem passiv dasitzenden Smiley hinunter und fuhr fort: »George, erinnern Sie sich nicht mal an den kompletten Quatsch, den dieser Kniich Jahr für Jahr unter fünfzehn verschiedenen Quellenangaben unseren westeuropäi­schen Stationen angedreht hat, vornehmlich den deutschen? Un­ser Experte für die Neue Estnische Ordnung? Unsere Top-Quelle für sowjetische Waffensendungen aus Leningrad? Unser inneres Ohr in der Moskauer Zentrale, ja, sogar unser oberster Karla-Späher?« Smiley regte sich nicht. »Wie er zum Beispiel un­serem Berliner Residenten zweitausend Deutsche Mark für einen Bericht abknöpfte, den er aus dem Stern abgeschrieben hatte? Wie er dem alten General mitgespielt hat, ihn ausgesaugt wie ein Blutegel, immer wieder aufs neue - >Wir alten Exil-Balten< -, auf diese Tour? - >General, ich kann Ihnen die Kronjuwelen ho­len -, das Dumme ist nur, ich hab das Geld für den Flug nicht flüsssig.< Hergott!«

»Es waren aber nicht nur Märchen, Toby, wie?« wandte Smiley milde ein. »Manches erwies sich - wenn ich mich recht erinnere -, zumindest aus bestimmten Bereichen, als recht brauchbar.« »Kann man an einem Finger abzählen.«

»Sein Material über die Moskauer Zentrale zum Beispiel. Ich entsinne mich nicht, daß daran jemals etwas auszusetzen war.« »Okay. Die Zentrale hat ihm gelegentlich ein paar Körnchen Wahrheit hingeworfen, damit er uns den übrigen Mist andrehen konnte! Das klassische Vorgehen aller Doppelagenten!«

Smiley schien hier widersprechen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders.

»Verstehe«, sagte er schließlich, als gebe er sich geschlagen. »Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Ein Spion.«

»Kein Spion, nur ein Windbeutel. Hier ein bißchen, dort ein bißchen. Ein Hausierer. Keine Grundsätze. Kein Berufsethos. Arbeitet für jeden, der ein paar Kröten springen läßt.«

»Eins zu null für Sie«, sagte Smiley ernsthaft und ebenso klein­laut, wie vorher. »Und er hat sich ja auch in Norddeutschland niedergelassen, nicht wahr? Irgendwo droben bei Travemünde.« »Otto Leipzig hat sich in seinem ganzen Leben nirgendwo nie­dergelassen«, sagte Toby verächtlich. »George, der Kerl ist ein Stromer, ein kompletter Strolch. Kleidet sich wie ein Roth­schild, besitzt eine Katze und ein Fahrrad. Wissen Sie, was er zu­letzt gemacht hat, der große Spion? Nachtwächter in einem mie­sen Hamburger Lagerschuppen! Schwamm drüber.«

»Und er hatte einen Partner«, sagte Smiley, wiederum so un­schuldig, als sei es ihm eben erst eingefallen. »Ja, jetzt kommt es mir wieder. Einen Immigranten, einen Ostdeutschen.«

»Schlimmer, einen Sachsen. Familienname Kretzschmar, Vor­name Claus. Claus mit C, fragen Sie mich nicht, warum. Ich meine, diese Menschen haben überhaupt keine Logik. Claus war auch ein Windhund. Die beiden klauten gemeinsam, hurten ge­meinsam, fälschten gemeinsam ihre Berichte.«

»Aber das war vor langer Zeit, Toby«, wandte Smiley sanft ein.

»Na und? Es war eine ideale Ehe.«

»Dann dürfte sie nicht lang gedauert haben«, sagte Smiley wie im Selbstgespräch.

Aber vielleicht hatte Smiley seine Demutshaltung diesmal über­trieben, oder vielleicht kannte Toby ihn einfach zu gut. Denn in seinem flinken Ungarnauge war ein Warnlicht aufgeblitzt, und eine argwöhnische Falte erschien auf der glatten Stirn. Er trat zu­rück, betrachtete Smiley und strich sich nachdenklich über das makellos weiße Haar.             

»George«, sagte er. »Hören Sie, wen halten Sie hier zum Narren, okay?«

Smiley sagte nichts. Er hob nur den Degas auf, drehte ihn einmal rundum und stellte ihn dann wieder hin.

»George, hören Sie ein einziges Mal auf mich. Bitte! Okay, George? Vielleicht darf ich Ihnen ein einziges Mal einen Vortrag halten.«

Smiley warf ihm einen raschen Blick zu und sah wieder weg. »George, ich bin in Ihrer Schuld. Sie müssen zuhören, Sie haben mich in Wien als Lausejungen aus der Gosse geholt. Ich war ein Leipzig. Ein Strolch. Sie haben mir meinen Job beim Circus ver­schafft. Wir haben oft zusammengearbeitet, manches Pferd ge­stohlen. Erinnern Sie sich an das erste Gebot für den Ruhestand, George? >Keine Schwarzarbeit. Kein Weiterstricken an unerle­digten Fällen. Keinerlei private Initiative.< Wissen Sie noch, wer dieses Gebot verkündet hat? In Sarratt? Wo man ging und stand? Unser George Smiley. >Wenn es aus ist, ist es aus. Rolläden run­ter und nach Hause gehen!< Und was soll das jetzt plötzlich sein? Dieses Trara um einen alten General, der tot ist, aber nicht lie­genbleiben will, und um einen Allerweltskomödianten wie Otto Leipzig? Was soll das sein? Der letzte Reiterangriff auf den Kreml? Wir sind aus dem Spiel, George. Wir haben keinen Jagd­schein. Man will uns nicht mehr. Schluß der Vorstellung.« Er zögerte, schien plötzlich verlegen. »Okay, Ann hat Ihnen mit Bill Haydon schwer mitgespielt. Klar, es geht um Karla, und Karla war Bills Schutzpatron in Moskau. George, ich meine, das Ganze ist ziemlich primitiv, nicht wahr?«

Seine Hände fielen kraftlos herab. Er starrte auf die regungslose Gestalt seines Gegenübers. Smileys Lider waren fast geschlos­sen. Sein Kopf hing auf die Brust. Durch die Verschiebung der Wangen erschienen tiefe Schatten um Mund und Augen.

„Was Leipzigs Berichte über die Moskauer Zentrale betraf, so haben wir ihn nie bei einem Schwindel erwischt«, sagte Smiley, als habe er Tobys letzte Sätze nicht gehört. »Das weiß ich noch ganz genau. Auch nicht bei den Berichten über Karla. Wladimir vertraute ihm blind. In bezug auf das Moskau-Material. Und wir auch.«