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»Hallo, Con«, sagte Smiley.

Sie lächelte noch immer, doch ihre Augen blieben desungeachtet weiter auf ihn gerichtet. Sie waren so blaß wie die Augen eines Neugeborenen.

»Hils«, sagte sie schließlich. »Hörst du nicht, Hils!«

»Ja, Con?«

»Geh und füttere die Wauwaus, Darling. Und das widerliche Federvieh. Wirf den Raubtieren ihren Fraß vor. Danach mixt du das Fressen für morgen, und da nach bring mir den humanen Kil­ler, damit ich diese lästige Type in ein frühes Paradies befördern kann. Komm, George.«

Hilary lächelte, schien indes jeder Bewegung unfähig, bis Con­nie sie sanft in die Rippen stieß und so in Gang setzte. »Troll dich, Darling. Er kann dir jetzt nichts tun. Er hat sein Pulver verschossen, genau wie du und, weiß Gott, ich auch.«

Im Haus herrschten Tag und Nacht zugleich. In der Mitte stand, auf einem Tisch voller Toastkrümel und Eintopfresten, eine alte Petroleumlampe, deren gelbe Lichtkugel die Dunkel­heit ringsum noch vertiefte. Die französischen Fenster an der Stirnseite waren vom Widerschein blauer Regenwolken und ein paar letzten Sonnenstrahlen erfüllt. Während Smiley Con­nies lähmend langsamem Vormarsch folgte, wurde ihm nach und nach klar, daß das Holzhaus nur aus diesem einzigen Raum bestand. Als Büro hatten sie den Rollschreibtisch, auf dem sich Rechnungen und Flohpulver türmten; als Schlaf­zimmer das Doppelbett aus Messing mit einer Herde ausge­stopfter Spieltiere, die wie tote Soldaten zwischen den Kissen lagen; als Salon Connies Schaukelstuhl und ein krümelndes Korbsofa; als Küche einen Gaskocher nebst dazugehöriger Propanflache; und als Innendekoration das undefinierbare Durcheinander des Alters.

»Connie kommt nicht zurück, George«, rief sie, während sie vor ihm herhumpelte. »Und wenn die Wildpferde schnauben und sich das scheinheilige Herz aus dem Leib wiehern, die alte När­rin hat ihre Stiefel ein für allemal an die Wand gehängt.« Sie hatte den Schaukelstuhl erreicht und begann ein schwerfälliges Wen­demanöver, bis sie mit dem Rücken zum Sitz stand. »Sollten Sie also deshalb gekommen sein, dann können Sie Saul Enderby melden, er soll sich's in die Pfeife stopfen und rauchen.« Sie streckte ihm die Arme entgegen, und er glaubte, sie wolle einen Kuß. »Nicht doch, Sie Lustmolch. Nur Händchenhalten!« Das tat er und ließ sie in ihren Sessel sinken.

»Ich bin nicht deshalb gekommen, Con«, sagte Smiley. »Ich will nicht versuchen, Sie von hier fortzulocken, Ehrenwort.«

»Und das aus gutem Grund: Mit ihr geht's dahin«, verkündete sie energisch, ohne seine Versicherung zu beachten. »Die Alte wird abkratzen, je eher, desto besser. Der Quacksalber will mir natürlich alles mögliche einreden, der Duckmäuser. Bronchitis. Rheuma. Kommt vom Wetter. Alles Mist. Meine Krankheit ist der Tod. Das systematische Anrücken des großen T. Ist das Schnaps, was Sie da in der Tüte mitschleppen?«

»Ja. Ja, stimmt«, sagte Smiley.

»Prima. Dann her damit in Mengen. Wie geht's dem Dämon Ann?«

Auf dem Ablaufbrett fand er in einem permanenten Geschirrsta­pel zwei Gläser und füllte sie zur Hälfte.

»Blüht und gedeiht, wie ich annehme«, antwortete er.

Er erwiderte ihr offensichtliches Vergnügen über seinen Besuch durch freundliches Lächeln, reichte ihr ein Glas, und sie um­klammerte es mit beiden, aus Pulswärmern ragenden Händen. »Annehmen!« echote sie. »Wenn Sie's nur endlich tun würden. An die Leine nehmen, das sollten Sie. Oder ihr gemahlenes Glas in den Kaffee schütten. Also dann, worauf sind Sie aus?« sagte sie, alles in einem Atemzug. »Ich habe nie erlebt, daß Sie irgend­etwas ohne Grund tun. Auf Ihr Wohl!«

»Auf das Ihre, Con«, sagte Smiley.

Zum Trinken mußte sie den ganzen Oberkörper dem Glas nä­hern, und als ihr gewaltiger Kopf in den Lampenschein geriet, sah er - sagte ihm seine allzu lange Erfahrung -, daß sie die Wahrheit gesprochen und ihre Haut das aussätzige Weiß des To­des hatte.

»Los. Raus damit«, befahl sie mit ihrer strengsten Stimme. »Ob ich Ihnen helfen werde, weiß ich allerdings nicht. Seit unserer Trennung habe ich die Liebe entdeckt. Versaut die Hormone, weicht die Zähne auf.«

Er hätte gern mehr Zeit gehabt, um sie wieder kennenzulernen. Er war ihrer nicht sicher.

»Nur einer unserer alten Fälle, Con, nichts weiter«, begann er beschwichtigend. »Er ist wieder akut geworden, auch nichts Ungewöhnliches.« Er versuchte, seine Stimme um eine Stufe höherzuschrauben, damit sie beiläufiger klinge. »Wir brauchen noch ein paar Einzelheiten. Wissen Sie zufällig noch, wie eigen Sie mit Ihren Berichten waren?« fügte er scherzend hinzu.

Ihre Augen wichen nicht von seinem Gesicht.

»Kirow«, fuhr er fort und sprach den Namen sehr langsam aus. »Kirow, Vorname Oleg. Sagt Ihnen das etwas? Sowjetbotschaft, Paris, vor drei bis vier Jahren, Zweiter Botschaftssekretär? Wir glaubten, er sei ein Mann aus der Moskauer Zentrale.«

»War er«, sagte sie, und lehnte sich ein wenig zurück, beobach­tete ihn jedoch unablässig.

Sie wollte eine Zigarette. Auf dem Tisch lag eine Zehnerpak­kung. Er steckte ihr eine zwischen die Lippen und gab ihr Feuer, aber noch immer wollte ihr Blick nicht von seinem Gesicht ablas­sen.

»Saul Enderby hat diesen Fall abgewürgt«, sagte sie, spitzte die Lippen und blies einen mächtigen Rauchstrahl senkrecht nach unten, an Smileys Gesicht vorbei.

»Er ordnete an, daß der Fall nicht weiter bearbeitet werde«, kor­rigierte Smiley.

»Wo liegt der Unterschied?«

Smiley sah sich überraschend vor die Aufgabe gestellt, Saul En­derby zu verteidigen.

»Der Fall lief noch eine Weile, dann, in der Übergangszeit zwi­schen meiner Amtsführung und der seinen, erklärte er ihn ver­ständlicherweise für unproduktiv.« Smiley hatte seine Worte mit größter Umsicht gewählt.

»Und jetzt hat er sich's anders überlegt«, sagte sie.

»Ich habe Einzelteile, Con. Ich will das Ganze.«

»Wie immer«, sagte sie. »George«, brabbelte sie. »George Smi­ley. Herr im Himmel. Der Herr beschütze und bewahre uns. George.« Ihr Blick war halb besitzergreifend, halb tadelnd, als wäre er ein auf Abwege geratener geliebter Sohn. Noch eine Weile hielt dieser Blick ihn fest, dann schweiften ihre Augen hinüber zu den französischen Fenstern und dem dunkelnden Himmel draußen.

»Kirow«, sagte er nochmals, eindringlicher, und wartete, fragte sich allen Ernstes, ob es wirklich aus und vorbei sei mit ihr; ob ihr Geist zusammen mit ihrem Körper verfalle und nichts mehr zu holen sei.

»Kirow, Oleg«, wiederholte sie nachdenklich. »Geboren Lenin­grad Oktober 1929, laut Reisepaß, was keinen Pfifferling besagt, außer daß er Leningrad im ganzen Leben nicht einmal von fern gesehen hat.« Sie lächelte, als sei dies eben der Lauf der schnöden Welt. »Ankunft in Paris 1. Juni 1974, Rang und Stellung des Zweiten Botschaftssekretärs, Handelsabteilung. Vor drei bis vier Jahren, sagten Sie? Lieber Himmel, es könnten zwanzig sein. Stimmt, Darling, er war vom Geheimdienst. Klar. Indenti­fiziert durch die Pariser Loge der armen alten Riga-Gruppe, was uns auch nicht weiterhalf, schon gar nicht auf der fünften Etage. Wie war sein richtiger Name? Kursky. Natürlich, so hieß er. Ja, ich glaube, ich erinnere mich. Oleg Kirow, né Kursky, genau.« Ihr Lächeln kehrte zurück und war wiederum sehr hübsch. »Dürfte so ziemlich Wladimirs letzter Fall gewesen sein. Wie geht's dem alten Sünder?« fragte sie, und ihre feuchten klugen Augen warteten auf die Antwort.

»Oh, in Hochform«, sagte Smiley.

»Immer noch der Jungfernschreck von Paddington?«

»Bin ich überzeugt.«

»Hol's der Kuckuck, Darling«, sagte Connie und drehte den Kopf, bis sie ihm das Profil zuwandte, das ganz dunkel war bis auf den einen dünnen Strahl der Petroleumlampe, während sie wieder durchs Fenster starrte.