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»Gehen Sie raus und sehen Sie nach dem verrückten Huhn, ja?« sagte sie liebevoll. »Am Ende hat sie sich in den Mühlbach ge­stürzt oder den Universal-Unkrautvertilger ausgetrunken.«

Smiley trat hinaus auf die Veranda und erspähte in der niedersin­kenden Nacht Hilarys Gestalt, die mit ungelenken langen Schritten von Käfig zu Käfig ging. Er hörte die Schöpfkelle gegen den Eimer klappern und dann und wann ihre wohlerzogene Stimme durch die Nachtluft klingen, wenn sie kindische Namen rief: Komm, Whitey, Flopsy, Bo.

»Alles in Ordnung«, sagte Smiley, als er wieder ins Haus trat. »Füttert die Hühner.«

»Ich sollte sie ins andere Lager schicken, meinen Sie nicht, George?« bemerkte sie, als habe sie seinen Lagebericht nicht ge­hört. »>Zieh hinaus in die Welt, Hils, mein Kind.< Das sollte ich sagen. >Bleib nicht länger bei einem morschen alten Wrack wie Con. Heirate den nächstbesten Narren, wirf ein paar Bälger, er­fülle deine niederträchtige Bestimmung.<« Connie hatte für all und jeden eine besondere Stimme, erinnerte er sich: sogar für sich selber. Sie hatte sie auch jetzt noch. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich's tue, George. Ich brauche sie. Jeden prachtvol­len Zentimeter. Ich würde sie mitnehmen, wenn's irgend mög­lich wäre. Sollte man vielleicht wirklich versuchen.« Pause. »Wie geht's all den Jungens und Mädels?«

Sekundenlang begriff er ihre Frage nicht; seine Gedanken waren noch immer bei Hilary und Ann.

»Seine Gnaden Saul Enderby führen immer noch die Meute an, ja? Frißt ordentlich, wie ich hoffe? Keine Staupe?«

»Oh, Saul entwickelt sich von Tag zu Tag prächtiger, danke.« »Diese Kröte Sam Collins immer noch Leiter von London Sta­tion?«

Lauter heikle Fragen, aber es blieb ihm keine Wahl, er musste antworten.

»Sam geht's auch prima«, sagte er.

»Toby Esterhase schlängelt sich nach wie vor durch die Korrido­re?«

»Alles ist noch ziemlich so, wie früher.«

Ihr Gesicht lag nun für ihn völlig im Dunkeln, so daß er nicht feststellen konnte, ob sie Miene machte, weiterzusprechen. Er hörte sie atmen und das Rasseln in ihrer Brust. Aber er wußte, daß er noch immer Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit war.

»Sie würden nie und nimmer für dieses Pack arbeiten, George«, bemerkte sie schließlich, als handelte es sich dabei um die augen­fälligste Binsenwahrheit. »Nicht Sie. Geben Sie mir noch einen Schluck.«

Smiley war froh, aufstehen zu können und ging wieder quer durch das Zimmer.

»Kirow, sagten Sie?« rief Connie ihm zu.

»Stimmt«, sagte Smiley vergnügt und kehrte mit ihrem frisch ge­füllten Glas zurück.

»Dieses Frettchen Otto Leipzig war die erste Hürde«, bemerkte sie voll Behagen, nachdem sie einen tüchtigen Zug genommen hatte. »Die fünfte Etage wollte ihm kein Wort glauben, wie? Nicht unserem kleinen Otto, oh nein! Otto war ein Lügenmaul, punktum!«

»Aber ich glaube nicht, daß Leipzig uns jemals überMoskau be­logen hat«, sagte Smiley, als kramte er gleichfalls in Erinnerun­gen.

»Nein, Darling, das hat er nicht«, sagte sie beifällig. »Er hatte seine Schwächen, zugegeben. Aber wenn es um die große Sache ging, hat er immer ehrlich gespielt. Und Sie haben das begriffen, als einziger Ihres Stammes, Respekt. Aber Sie erhielten wenig Unterstützung von den übrigen Baronen, wie?«

»Auch Wladimir hat er nie belogen«, sagte Smiley. »Allein schon deshalb, weil Wladimirs Fluchtkanäle ihm seinerzeit aus Ruß­land heraushalfen.«

»Ja, ja,« sagte Connie nach einer weiteren langen Pause.

»Kirow, né Kursky, das Rote-Rübenschwein.«

Sie sagte es ein zweites Mal - »Kirow, né Kursky« -, ein Sammel­signal an ihr eigenes ungeheuerliches Gedächtnis. Während die­ser Worte sah Smiley im Geist wiederum das Zimmer im Flugha­fenhotel vor sich und die beiden seltsamen Verschwörer in ihren schwarzen Mänteln: der eine so hünenhaft, der andere winzig; der alte General, der seine Körpergröße einsetzte, um seinem leidenschaftlichen Flehen Nachdruck zu verleihen; daneben der kleine Leipzig, wie ein Hündchen, das an der Leine zerrt.

Connie war der Verführung erlegen.

Aus dem Glimmen der Petroleumlampe war ein rauchiger Lichtball geworden, und Connie saß in ihrem Schaukelstuhl, ganz vorn an der Kante, Mütterchen Rußland persönlich, wie sie im Circus geheißen hatte, das zerrüttete Gesicht verklärt von Er­innerung, während sie die Geschichte dieses einen ihrer unge­zählten mißratenen Kinder entrollte. Was auch immer sie als wahren Grund für Smileys Auftauchen argwöhnen mochte, sie schob es von sich: Dies war ihr Lebensinhalt gewesen, ihr Hohe­lied, auch wenn sie es nun zum letztenmal sang; in diesen über­wältigenden Gedächtnisleistungen lag ihr Genie. In den alten Tagen, dachte Smiley, hätte sie mit ihm geflirtet, mit ihrer Stimme kokettiert, gewaltige Bogen durch anscheinend Unwe­sentliches zur Geschichte der Moskauer Zentrale geschlagen, al­les nur, um ihn näher zu locken. Doch heute abend war ihr Er­zählstil von erschreckender Nüchternheit, als wisse sie, daß ihr nur noch wenig Zeit blieb.

Oleg Kirow sei direkt aus Moskau in Paris eingetroffen, wieder­holte sie - damals im Juni, Darling, wie ich schon sagte -, da­mals, als es regnete und regnete und das alljährliche Cricket­match von Sarratt drei Sonntage nacheinander abgesagt werden mußte. Der Fette Oleg wurde als Einzelgänger geführt, und er löste auch niemand anderen ab. Sein Schreibtisch stand in der zweiten Etage mit Blick auf die Rue Saint-Simon - verkehrs­reich, aber hübsch, Darling -, während die Residentur der Mos­kauer Zentrale sich im dritten und vierten Stock breit machte, zum wütenden Ärger des Botschafters, der sich von seinen unge­liebten Nachbarn wie in einen Schrank gepfercht fühlte. Nach außen hin schien Kirow daher auf den ersten Blick ein weißer-Rabe im diplomatischen Corps der Sowjets zu sein - nämlich ein echter Diplomat. Aber in Paris war es damals Usus - und, soviel Connie wußte, auch noch heutzutage -, daß, sobald in der So­wjetbotschaft ein neues Gesicht auftauchte, sein Foto an alle Stammeshäuptlinge der Emigranten verteilt wurde. Brüderchen Kirows Foto gelangte ebenfalls auf diesem Weg an die Gruppen, und im Handumdrehen donnerte dieser alte Teufel Wladimir im Zustand höchster Erregung an die Tür seines Einsatzleiters -Steve Mackelvore war damals Resident in Paris gewesen, Gott hab ihn selig, er starb bald danach an Herzversagen, aber das ist eine andere Geschichte - und behauptete, »seine Leute« hätten Kirow als einen ehemaligen agent provocateur namens Kursky identifiziert, der als Student an der Technischen Hochschule in Reval eine Vereinigung regimekritischer estnischer Hafenarbei­ter gegründet habe, genannt »Blockfreier Diskussionsclub«, und die Mitglieder dann an die Geheimpolizei verpfiff. Wladimirs Quelle war einer dieser unglücklichen Dockarbeiter, der sich zur Zeit in Paris aufhielt und der einst um seiner Sünden willen be­sonders eng mit Kursky befreundet gewesen war, bis er prompt von ihm verraten wurde.

So weit, so gut, nur, daß Wladis Quelle - sagte Connie - kein an­derer gewesen sei, als unser gottvergessener kleiner Otto, was bedeutete, daß die Sache von Anfang an verkorkst war.

Während Connie weitersprach, begannen Smileys Erinnerungen aufs neue, die ihren zu ergänzen. Er sah sich in den letzten Mo­naten seiner kommissarischen Amtsführung als Chef des Circus, wie er müde die wackelige Holztreppe von der fünften Etage zur Montagsbesprechung hinunterklomm, ein Bündel zerlesener Akten unter den Arm geklemmt. Der Circus hatte in jenen Ta­gen einem zerbombten Bauwerk geglichen, erinnerte er sich; das Personal in alle Winde zerstreut, der Etat an allen Enden be­schnitten, die Agenten hochgegangen oder tot oder abgeschaltet. Bill Haydons Entlarvung war in allen Gemütern eine offene Wunde: Sie nannten sie den Sündenfall und empfanden alle die gleiche uralte Scham. Im Innersten machten sie vielleicht sogar Smiley dafür verantwortlich, denn Smiley hatte Bills Verrat auf­gedeckt. Er sah sich selber, wie er den Vorsitz bei der Bespre­chung führte, und den Kreis feindseliger Gesichter, der sich um ihn geschlossen hatte, während die Fälle der Woche einer um den anderen zur Debatte gestellt und den üblichen Fragen unterwor­fen wurden: Wollen wir diesen weiter verfolgen oder nicht? Sagen wir, noch eine Woche lang? Noch einen Monat? Noch ein Jahr? Ist es nur eine Finte, können wir uns notfalls distanzieren, liegt es im Rahmen unseres Auftrags? Welche Mittel sind nötig, und würden sie besser anderweitig eingesetzt? Wer wird verant­wortlich zeichnen? Wer soll informiert werden? Wieviel wird es kosten? Er entsann sich des stürmischen Protests, den der bloße Name oder Arbeitsname Otto Leipzig bei solch fragwürdigen Richtern wie Lauder Strickland, Sam Collins und ihresgleichen sofort auslöste. Er versuchte sich zu erinnern, wer außer Connie und ihren Kohorten aus der Rußland-Abteilung noch dabei ge­wesen war. Der Chef der Finanzabteilung, der Chef des Ressorts Westeuropa, der Chef von Sowjet Attack, die meisten bereits Saul Enderbys Leute.