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»Sie sollen wieder reinkommen, George«, sagte Hilary streng von der Tür her, mit der Autorität der Menschen, die Sterbende pflegen.

Aber als er wieder ins Haus trat, war alles in schönster Ordnung.

15

Alles war in schönster Ordnung. Connie saß gepudert und wür­dig in ihrem Schaukelstuhl, und ihre Augen waren, als er herein­kam, genauso fest auf ihn gerichtet wie bei seinem ersten Eintre­ten. Hilary hatte sie beruhigt, Hilary hatte sie ernüchtert, und jetzt stand Hilary hinter ihr, die Hände auf Connies Nacken, Daumen eingezogen und massierte ihr sanft das Genick.

»Anwandlung von timor mortis, Darling«, erklärte Connie. »Der Doktor verschreibt Valium, aber die alte Närrin hält sich lieber an den Schnaps. Davon erzählen Sie aber Saul Enderby nichts, wie, Herzchen, wenn Sie Ihren Rapport machen?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Wann werden Sie denn Ihren Rapport machen, Darling?«

»Bald«, sagte Smiley.

»Heute nacht, wenn Sie zurückkommen?«

»Je nachdem, was es zu berichten gibt.«

»Con hat alles aufgeschrieben, das wissen Sie, George«, fuhr sie mit großer Eindringlichkeit fort. »Die Akten der alten Närrin über den Fall waren sehrvoll, dächte ich. Sehr detailliert. Und sehreingehend, ausnahmsweise. Aber Sie haben sie nicht zu Rate gezogen.« Smiley sagte nichts. »Die Akten gingen verloren. Wurden vernichtet. Oder Sie hatten keine Zeit. Schon gut. Dabei waren Sie doch immer so scharf auf den Papierkram. Höher, Hils«, befahl sie, ohne den glühenden Blick von Smiley abzu­wenden. »Höher, Darling. Dort, wo die Wirbelsäule in die Mandeln sticht.«

Smiley setzte sich auf das alte Korbsofa.

»Ich hab diese Doppel-Doppelspiele immer gemocht«, gestand Connie verträumt und rollte den Kopf, um Hilarys Hände damit zu streicheln. »Stimmt's nicht, Hils? Das ganze menschliche Leben lag darin. Du weißt das vermutlich nicht mehr, wie? Seit du durchgedreht hast.«

Sie wandte sich wieder an Smiley: »Soll ich weitermachen, Sü­ßer?« Die Stimme gehörte jetzt zu einer Nutte aus dem East End. »Nur in großen Zügen«, sagte Smiley. »Aber nicht, wenn es - « »Wo waren wir stehengeblieben? Ich weiß schon. Wir waren hoch droben im Flugzeug mit dem Rübenschwein. Er ist auf dem Weg nach Wien, hat die Pfoten in einem Trog voll Bier. Blickt auf, und wen sieht er vor sich stehen, wie sein eigenes schlechtes Gewissen: Keinen anderen als seinen lieben alten Kumpel von vor fünfundzwanzig Jahren, Klein Otto, feixend wie Beelzebub persönlich. Was empfindet er, fragen wir uns, vorausgesetzt, er hat überhaupt Empfindungen? Weiß Otto - fragt er sich -, daß ich der Bösewicht war, der ihn verpfiffen und in den Gulag ge­bracht hat? Was also tut er?«

»Was tut er?« sagte Smiley, ohne auf ihre Mätzchen einzugehen. »Er entscheidet sich für die herzliche Masche, Süßer. Nicht wahr, Hils? Pfeift den Kaviar herbei und sagt >Gott sei Dank<.« Sie flü­sterte etwas, und Hilary beugte den Kopf, um es zu hören und ki­cherte dann. »>Champagner !< sagt er. Und, mein Gott, sie kriegen ihn, und er bezahlt ihn, und sie trinken ihn, und sie fahren gemein­sam im Taxi in die Stadt und zwitschern sogar rasch noch einen in einem Cafe, ehe das Rübenschwein seinen dunklen Pflichten nachgeht. Kirow mag Otto«, behauptete Connie. »Liebt ihn, nicht wahr, Hils? Die beiden sind das ideale Pärchen, genau wie wir. Otto ist sexy, Otto ist amüsant, Otto ist elegant und antiauto­ritär und gewandt - und -, oh, alles, was das Rübenschwein nie sein könnte, in tausend Jahren nicht! Warum glaubte die fünfte Etage immer, die Leute hätten nur ein einziges Motiv?«

»Ich glaubte das bestimmt nicht«, sagte Smiley inbrünstig.

Aber Connie sprach schon wieder zu Hilary und keineswegs zu Smiley. »Kirowlangweilte sich, Kindchen. Otto bedeutete für ihn Leben. So, wie du für mich. Ich tanze mit dir in den Himmel hinein. Hatte Kirow nicht daran gehindert, ihn zu verpfeifen, aber das ist nur natürlich.«

Hilary, die noch immer sanft Connies Rücken massierte, nickte zerstreut Zustimmung.

»Und was bedeutete Kirow für Otto Leipzig?« fragte Smiley. »Haß, Darling«, erwiderte Connie ohne Zögern. »Reinen, un­verdünnten Haß. Simplen, ehrlichen, alten Abscheu. Haß und Geld. Ottos Leitsterne. Otto war immer überzeugt, daß er etwas guthabe für all die Jahre im Knast. Und er wollte auch gleich für das Mädchen mitkassieren. Sein großer Traum war, daß er eines Tages Kirow für eine Menge Geld verkaufen würde. Mengen und Unmengen von Geld. Und es dann durchbringen.«

Die Erbitterung eines Kellners, dachte Smiley, als er sich an den Fotoabzug erinnerte. Er erinnerte sich auch wieder an das Zim­mer im Flughafenhotel und an Ottos ruhige deutsche Stimme mit ihrem einschmeichelnden Akzent; erinnerte sich an die braunen steten Augen, die wie Fenster seiner schwelenden Seele waren. Nach der Begegnung in Wien hatten die beiden Männer ein Wie­dersehen in Paris verabredet, sagte Connie, und Otto ließ sich wohlweislich Zeit. In Wien hatte Otto keine einzige Frage ge­stellt, an der das Rübenschwein hätte Anstoß nehmen können; Otto sei Profi, sagte Connie. Ob Kirow verheiratet sei? habe er gefragt. Kirow habe daraufhin die Hände gen Himmel geworfen und sei in brüllendes Gelächter ausgebrochen, was besagen soll­te, weder jetzt noch in Zukunft. Verheiratet, aber Ehefrau in Moskau, habe Otto berichtet - um so wirksamer würde eine Sex-Falle funktionieren. Kirow hatte Leipzig nach seinem der­zeitigen Job gefragt, und Leipzig hatte großzügig geantwortet »Import-Export« und sich als eine Art fliegenden Händler be­zeichnet, heute Wien, morgen Hamburg. Also: Otto wartete ei­nen ganzen Monat - nach fünfundzwanzig Jahren, sagte Connie, konnte er sich das leisten -, und während dieses Monats wurde Kirow von den Franzosen dabei beobachtet, wie er sich in drei verschiedenen Fällen an ältere, in Paris ansässige russische Emi­granten heranmacht: an einen Taxichauffeur, an einen Ladenin­haber, an einen Gastwirt, alle drei mit Angehörigen in der So­wjetunion. Er machte sich erbötig, Briefe, Botschaften, Adressen mit hinüberzunehmen; er bot sogar an, Geld mitzunehmen und, wenn sie nicht allzu umfangreich seien, auch Geschenke. Und das gleiche in der Gegenrichtung bei seiner Rückkehr.

Niemand akzeptierte sein Angebot. In der fünften Woche rief Otto bei Kirow in dessen Wohnung an, sagte, er sei soeben aus Hamburg gelandet und ob sie sich nicht einen vergnügten Abend zusammen machen wollten. Beim Essen, genau im richtigen Moment, sagte Otto, heute werde er der Gastgeber sein; er habe gerade klotzig an einer gewissen Lieferung an ein gewisses Land verdient, und Geld spiele keine Rolle.