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»Nein«, sagte Hilary.

»Los.«

Smiley goß ihr zwei Finger hoch Whisky ein und sah zu, wie sie ihn schlürfte.

»Was sollte Otto bei den Emigranten für Kirow erledigen?« sagte er.

»Kirow brauchte eine Legende«, antwortete sie. »Er brauchte eine Legende für ein Mädchen.«

Nichts an Smileys Verhalten ließ erkennen, daß er diesen Satz erst vor ein paar Stunden von Toby Esterhase gehört hatte. Vor vier Jahren, wiederholte Connie, habe Oleg Kirow eine Legende gebraucht. Genau wie der Sandmann, nach Aussagen Tobys und des Generals - dachte Smiley -, heute eine Legende brauchte. Ki­row brauchte eine Tarnung für eine Agentin, die man nach Frankreich einschleusen wollte. Das sei des Pudels Kern gewe­sen, sagte Connie. Kirow sagte das natürlich nicht; im Gegenteil, er stellte es ganz anders dar. Er erzählte Otto, Moskau habe an alle Botschaften eine geheime Anweisung ergehen lassen, des In­halts, daß auseinandergerissene russische Familien unter gewis­sen Voraussetzungen im Ausland wieder zusammengeführt werden sollten. Wenn genügend Familien gefunden werden könnten, die diesen Wunsch hegten, so die Anweisung, dann wolle Moskau das Vorhaben an die Öffentlichkeit bringen und damit das Image der Sowjetunion auf dem Gebiet der Menschen­rechte aufwerten. Am liebsten wären ihnen Fälle mit Gefühlsge­halt: Töchter in Rußland zum Beispiel, von ihren Angehörigen im Westen abgeschnitten, alleinstehende Mädchen, vielleicht im heiratsfähigen Alter. Geheimhaltung sei wichtig, sagte Kirow, bis eine Liste passender Fälle beisammen sei - nicht auszudenken das Geschrei, wenn die Sache vorzeitig durchsickere!

Das Rote-Rübenschwein sei so plump vorgegangen, sagte Con­nie, daß Otto den Vorschlag zunächst einfach um der Wahr­scheinlichkeit willen habe lächerlich machen müssen; das Ganze sei zu verrückt, zu weit hergeholt, sagte er - geheime Listen, was für ein Nonsens! Warum wandte Kirow sich nicht direkt an die Emigranten-Organisationen und ließ sie Verschwiegenheit schwören? Warum einen krassen Außenseiter für seine Dreckar­beit engagieren? Je länger Leipzig herumredete, um so hitziger wurde Kirow. Es sei nicht Leipzigs Job, sich über Erlasse der Moskauer Zentrale lustig zu machen, sagte Kirow. Er begann Otto anzubrüllen, und irgendwie fand Connie die Kraft, gleich­falls zu brüllen oder wenigstens die müde Stimme ein wenig zu heben und ihr den gutturalen russischen Klang zu verleihen, den Kirow ihrer Meinung nach haben mußte. »>Wo bleibt dein Mit­gefühl sagte er. >Willst du deinen Mitmenschen nicht helfen? Warum verhöhnst du eine menschliche Geste, nur weil sie von Rußland ausgeht?<« Kirow sagte, er habe bereits persönlich ei­nige Familien aufgesucht, aber kein Vertrauen gefunden und keine Fortschritte erzielt. Er fing an, Druck auf Leipzig auszu­üben, zuerst persönlicher Natur - >Willst du mir nicht helfen, beruflich weiterzukommen ?< -, und als das nicht verfing, gab er zu bedenken, daß Leipzig, da er bereits geheime Informationen gegen Entgelt an die Botschaft geliefert habe, vielleicht gut daran tue weiterzumachen, andernfalls die westdeutschen Behörden von dieser Verbindung Wind bekommen und ihn aus Hamburg hinauswerfen könnten - vielleicht überhaupt aus Deutschland. Ob Otto das angenehm sein würde? Und schließlich, sagte Con­nie, habe Kirow Geld geboten, und eben hier habe das Wunder gelegen: »Für jede erfolgreich durchgeführte Wiedervereinigung zehntausend US-Dollar«, verkündete sie. »Für jeden passenden Kandidaten, ob eine Zusammenführung zustande kommt oder nicht, tausend US-Dollar, auf die hohle Hand. Barzahlung.« Dies sei natürlich, sagte Connie, der Zeitpunkt gewesen, an dem die fünfte Etage entschied, Kirow müsse übergeschnappt sein, und den Fall mit sofortiger Wirkung abblies.

»Und ich aus dem Fernen Osten zurückkam«, sagte Smiley. »Wie der arme König Richard aus den Kreuzzügen, so kamen Sie zurück, Darling!« pflichtete Connie ihm bei. »Und fanden die Bauern in Aufruhr und Ihren sauberen Bruder auf dem Thron. Geschieht Ihnen recht.« Sie gähnte gewaltig. »Fall im Eimer«, erklärte sie. »Die deutsche Polizei verlangte Leipzigs Auswei­sung aus Frankreich; wir hätten sie ohne weiteres umstimmen können, aber wir taten es nicht. Keine Sex-Falle, kein Ergebnis, kein Garnichts. Das Stück war abgesetzt.«

»Und wie hat Wladimir das alles aufgenommen?« fragte Smiley, als wisse er es wirklich nicht.

Connie öffnete mühsam die Augen: »Was aufgenommen?«

»Daß das Stück abgesetzt wurde.«

»Oh, ertobte, was hatten Sie erwartet? Tobt und tobt. Sagt, wir hätten uns den Fang des Jahrhunderts durch die Lappen gehen lassen. Schwor, er werde den Krieg mit anderen Mitteln weiter­führen.«

»Welche Art Fang?«

Sie überhörte seine Frage. »Bei diesem Krieg wird nicht mehr ge­schossen, George«, sagte sie, und wieder sanken ihre Lider her­ab. »Das ist es ja. Alles grau in grau. Halb-Engel kämpfen gegen Halb-Teufel. Niemand weiß, wo die Front verläuft. Kein Peng-peng.«

Wiederum sah Smiley in der Erinnerung das Hotelzimmer und die beiden schwarzen Mäntel nebeneinander, während Wladimir ihn verzweifelt beschwor, daß der Fall wieder aufgenommen werden müsse: »Max, hören Sie uns noch dieses eine Mal zu, hö­ren Sie sich an, was passiert ist, seit Sie den Haltebefehl gaben!« Die beiden waren auf eigene Kosten von Paris herübergeflogen, um mit ihm zu sprechen, da die Finanzabteilung gemäß Ender­bys Befehl das Konto für diesen Fall aufgelöst hatte.

»Max, bitte, hören Sie uns an«, hatte Wladimir gefleht. »Kirow hat Otto gestern noch spät nachts in seine Wohnung bestellt. Die beiden haben sich erneut getroffen, Otto und Kirow. Kirow hat sich betrunken und erstaunliche Sachen gesagt!«

Er sah sich wieder in seinem alten Büro im Circus, Enderby saß bereits an seinem Schreibtisch. Es war am selben Tag, nur ein paar Stunden später.

»Klingt wie Klein Ottos letzter Grabenkampf vor dem Zugriff der Hunnen«, hatte Enderby gesagt, nachdem Smiley zu Ende gesprochen hatte. »Weshalb sind sie eigentlich hinter ihm her, Diebstahl oder Lustmord?«

»Betrug«, hatte Smiley resigniert erwidert, was der traurigen Wahrheit entsprach.

Connie summte ein paar Töne. Sie versuchte, ein Lied daraus zu machen, dann einen Limerick. Sie verlangte etwas zu trinken, aber Hilary hatte ihr Glas weggestellt.

»Bitte gehen Sie jetzt«, sagte Hilary direkt in Smileys Gesicht. Smiley beugte sich auf dem Korbsofa vor und stellte seine letzte Frage. Er stellte sie scheinbar zögernd, fast widerwillig. Sein weiches Gesicht war hart geworden vor Entschlossenheit, aber die Härte vermochte die Zeichen der Drangsal nicht zu tilgen. »Erinnern Sie sich an eine Geschichte, Con, die der alte Wladi­mir oft erzählte? Und die wir niemals weitererzählten? Die wir hüteten, wie ein Kleinod? Daß Karla eine Mätresse habe, eine Frau, die er liebe?«

»Seine Ann«, sagte sie tonlos.

»Daß sie auf der ganzen Welt das einzige sei, um dessentwillen er zu hirnverbranntem Handeln fähig wäre?«

Langsam hob sich ihr Kopf, und er sah, wie ihr Gesicht sich auf­hellte, und seine Stimme wurde rascher und dringlicher.

»Wie dieses Gerücht in der Moskauer Zentrale die Runde machte - unter den Eingeweihten? Karlas Erfindung - seine Schöpfung? Wie er sie fand, als sie noch ein Kind war und während des Krie­ges in einem ausgebrannten Dorf umherirrte? Sie adoptierte, aufzog, sich in sie verliebte?«

Er beobachtete sie, und trotz des Whiskys, trotz ihrer tödlichen Müdigkeit sah er die letzte Erregung, wie den letzten Tropfen in der Flasche, langsam ihre Züge noch einmal beleben.

»Er war hinter den deutschen Linien«, sagte sie. »In den vierzi­ger Jahren. Mit einem Team, das die Balten aufwiegeln sollte. Bauten Netze auf, Widerstandsgruppen. Es war eine große Ope­ration. Karla war der Boß. Das Mädchen wurde ihr Maskott­chen. Sie schleppten sie auf Schritt und Tritt mit. Ein Kind. O George!«