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Smiley zählte sein Geld hin und fügte den Dutzenden von fal­schen Namen, die er in seinem Leben verwendet hatte, einen weiteren hinzu. Er stieg eine Treppe hinunter bis zu einer zwei­ten Tür, die sich ebenfalls elektronisch öffnete und einen Durch­gang freigab, an dem eine Reihe Separees lagen, leer, denn in die­ser Welt fing die Nacht gerade erst an. Am Ende des Durchgangs war eine dritte Tür, hinter der ihn totale Finsternis empfing und die auf höchste Lautstärke gedrehte Musik von den Tonbändern des smarten jungen Mannes. Eine männliche Stimme sprach zu ihm, ein Punktlicht führte ihn an einen Tisch. Er bekam eine Ge­tränkekarte ausgehändigt. >Besitzer C. Kretzschmar<, las er un­ten auf der Seite in Kleindruck. Er bestellte Whisky.

»Ich möchte allein bleiben. Keine Gesellschaft.«

»Ich werde entsprechend Bescheid geben, mein Herr«, sagte der Kellner mit vertraulicher Würde und nahm sein Trinkgeld an.

»Übrigens, Herr Kretzschmar. Ist er zufällig aus Sachsen?«

»Jawohl, mein Herr.«

Schlimmer als ein Ostdeutscher, hatte Toby Esterhase gesagt. Ein Sachse. Sie klauten zusammen. Sie hurten zusammen, sie fälschten zusammen Berichte. Eine ideale Ehe.

Er nippte an seinem Whisky und wartete, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Von irgendwoher strahlte blaues Schummerlicht und hob Manschetten und Kragen gespenstisch hervor. Er sah weiße Gesichter und weiße Körper. Der Raum war in zwei Ebenen angelegt. Die untere, wo er saß, war mit Ti­schen und Armstühlen ausgestattet. Die obere bestand aus sechs Chambres séparées, die wie Theaterlogen aussahen, jedes mit seinem eigenen blauen Schummerlicht. In einer davon hatte, das stand für ihn fest, das Quartett wissentlich oder unwissentlich für den Fotografen posiert. Er erinnerte sich an den Standpunkt, von dem aus das Bild aufgenommen worden war. Von oben -von hoch oben. Aber >hoch oben< bedeutete irgendwo im Dun­kel der Mauern, wohin kein Auge dringen konnte, nicht einmal das von Smiley.

Die Musik erstarb, und aus den Lautsprechern wurde eine Nummer angekündigt. >Alt Berlins sagte dercompére, und die Stimme des compére war auch altberlinerisch: bestimmt, nasal und suggestiv. Der smarte junge Mann hat das Tonband gewech­selt, dachte Smiley. Ein Vorhang ging hoch und gab eine kleine Bühne frei. In dem Licht, das von ihr fiel, schaute Smiley schnell nach oben, und diesmal sah er, wonach er gesucht hatte: ein klei­nes Beobachtungsfenster aus Rauchglas, sehr hoch oben in der Wand. Der Fotograf hat Spezialkameras benützt, dachte er vage. Heutzutage war, wie er sich hatte sagen lassen, Dunkelheit kein Hindernis mehr. Ich hätte Toby fragen sollen, dachte er. Toby kennt diese Finessen auswendig. Auf der Bühne führte ein Paar den Liebesakt vor, mechanisch, witzlos, abschreckend. Smiley wendete seine Aufmerksamkeit den im Raum verstreuten Mitgä­sten zu. Die Mädchen waren schön und nackt und jung, wie die Mädchen auf dem Foto. Wenn sie versorgt waren, saßen sie eng umschlungen mit ihren Partnern, offensichtlich entzückt über deren Senilität und Häßlichkeit. Die Nichtversorgten saßen schweigend in einer Gruppe zusammen, wie Ersatzspieler auf der Reservebank. Der Lärm aus den Lautsprechern schwoll an, eine Mischung aus Musik und hektischer Berichterstattung. Und in Berlin spielen sie Alt Hamburg, dachte Smiley. Auf der Bühne verdoppelte das Paar seine Anstrengungen, ohne daß viel dabei herauskam. Smiley fragte sich, ob er wohl die Mädchen von dem Foto erkennen würde, wenn sie erscheinen sollten. Sicher nicht, dachte er. Der Vorhang fiel. Erleichtert bestellte er noch einen Whisky.

»Ist Herr Kretzschmar heute abend im Haus?« fragte er den Kellner.

Herr Kretzschmar habe viele Verpflichtungen, erklärte der Kell­ner. Herr Kretzschmar müsse seine Zeit zwischen mehreren Etablissements teilen.

»Sollte er kommen, lassen Sie es mich bitte wissen.«

»Er wird um Punkt elf Uhr hier sein, mein Herr.«

An der Bar hatten nackte Paare zu tanzen begonnen. Er litt eine weitere halbe Stunde, bevor er an den jetzt teilweise besetzten Nischen vorbei zum Vorraum am Eingang zurückging. Der smarte junge Mann fragte ihn, wen er melden dürfe.

»Sagen Sie ihm, es handle sich um ein spezielles Anliegen.«

Der smarte junge Mann drückte auf einen Knopf und redete in dem extrem ruhigen Ton, in dem er mit Smiley gesprochen hatte.

Das Büro oben war so blank wie ein ärztliches Behandlungszimmer mit einem polierten Plastikschreibtisch und einer Menge weiterer Apparaturen. Eine Industriefernsehanlage lieferte ein gestochen scharfes Bild dessen, was unten vorging. Durch das Beobachtungsfenster, das Smiley bereits bemerkt hatte, sah man in die Separees. Herr Kretzschmar war das, was die Deutschen seriös nennen. In den Fünfzigern, gepflegt, massig, mit dunklem Anzug und heller Krawatte. Sein Haar war strohblond, wie es sich für einen guten Sachsen gehört, und sein ausdrucksloses Ge­sicht verriet weder Freude noch Ärger über den Besuch. Er schüttelte Smiley lebhaft die Hand und winkte ihn in einen Ses­sel. Er schien mit der Handhabung spezieller Anliegen wohl ver­traut zu sein.

»Bitte«, sagte er, und damit waren die Präliminarien erledigt. Nun gab es nur noch die Flucht nach vorne.

»Wenn ich mich nicht täusche, dann waren Sie einmal der Ge­schäftspartner eines meiner Bekannten namens Otto Leipzig«, sagte Smiley, und seine Stimme kam ihm ein bißchen zu laut vor.

»Ich bin zufällig in Hamburg und habe mich gefragt, ob Sie wohl wissen, wo er ist. Seine Adresse scheint nirgends verzeichnet zu sein.«

Herrn Kretzschmars Kaffee war in einer Silberkanne, deren Henkel mit einer Papierserviette umwickelt war, damit er sich beim Ausgießen die Finger nicht verbrenne. Er trank und stellte seine Tasse sorgfältig ab, um jeden Aufprall zu vermeiden.

»Wer sind Sie, bitte?« fragte Herr Kretzschmar. Der sächselnde Tonfall quetschte seine Stimme platt. Ein kleines Stirnrunzeln verstärkte noch den Eindruck der Seriosität.

»Otto nannte mich Max«, sagte Smiley.

Herr Kretzschmar ging auf diese Information nicht ein, doch er nahm sich Zeit, ehe er seine nächste Frage vorbrachte. Wieder bemerkte Smiley, daß sein Blick seltsam unschuldig war. Otto hatte in seinem ganzen Leben nie ein Haus, hatte Toby gesagt. BeiBlitztreffs amtierte Kretzschmar als Schlüsselverwahrer.

»Und Ihre Geschäfte mit Herrn Leipzig, wenn ich fragen darf?«

»Ich vertrete eine große Firma. Neben anderen Beteiligungsgesellschaften besitzen wir eine literarische und fotografische Agentur für freiberufliche Reporter.«

»Und?«

»Vor längerer Zeit hatte mein Stammhaus gelegentlich Angebote Herrn Leipzigs angenommen - über Vermittler - und sie an un­sere Kunden zur Verarbeitung und Unterbringung weitergege­ben.

»Und?« wiederholte Herr Kretzschmar. Sein Kopf hatte sich leicht gehoben, aber sein Ausdruck blieb unverändert.

»Kürzlich ist die Geschäftsverbindung zwischen meinem Stammhaus und Herrn Leipzig wieder aufgelebt.« Er machte eine kleine Pause. »Zunächst über das Telefon«, sagte er, aber Herr Kretzschmar hatte vielleicht nie etwas von Fernsprechern gehört. »Dann schickte er uns, wieder über Mittelsmänner, eine Musterkollektion seiner Arbeiten, die wir das Vergnügen hatten, für ihn unterzubringen. Ich bin hierher gekommen, um über Be­dingungen zu sprechen und um weitere Arbeiten in Auftrag zu geben. Vorausgesetzt natürlich, daß Herr Leipzig in der Lage ist, sie auszuführen.«