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»Was war das für eine Art Arbeit, bitte, die Herr Leipzig Ihnen gesandt hat, bitte, Herr Max?«

»Es war ein Fotonegativ mit erotischem Inhalt. Meine Firma be­steht immer auf Negativen. Herr Leipzig wußte das natürlich.« Smiley deutete bedächtig durch das Zimmer. »Ich möchte an­nehmen, daß es von diesem Fenster aus aufgenommen wurde. Das Besondere an diesem Foto ist, daß Herr Leipzig selbst dar­auf figuriert. Es ist daher anzunehmen, daß ein Freund oder Ge­schäftspartner die Kamera bedient hat.«

Herrn Kretzschmars blauäugiger Blick verlor nichts von seiner Direktheit und Unschuld. Sein seltsam glattes Gesicht kam Smi­ley mutig vor, ohne daß er hätte sagen können, warum.

Wenn Sie sich mit einem Knilch wie Leipzig einlassen wollen, dann sollten Sie einen Knilch wie Toby zu Ihrem Schutz dabei haben, hatte Toby gesagt.

»Da ist noch ein anderer Aspekt«, sagte Smiley.

»Ja?«

»Unglücklicherweise erlitt der Herr, der bei dieser Gelegenheit als Vermittler fungierte, einen schweren Unfall, kurz nachdem das Negativ in unseren Besitz gelangt war. Die übliche Verbin­dung zu Herrn Leipzig war damit abgebrochen.«

Herr Kretzschmar machte kein Hehl aus seiner Bestürzung. Ein Schatten, der echte Besorgnis auszudrücken schien, flog über sein Gesicht, und er sagte scharf:

»Wieso ein Unfall? Was für ein Unfall?«

»Ein tödlicher. Ich bin gekommen, um Otto zu warnen und um mit ihm zu sprechen.«

Herr Kretzschmar besaß einen schönen, goldenen Kugelschrei­ber. Er zog ihn bedachtsam aus einer Innentasche, ließ die Spitze herausspringen und zeichnete, immer noch stirnrunzelnd, einen perfekten Kreis auf die Schreibunterlage vor ihm. Dann setzte er obenauf ein Kreuz, zog einen Strich durch sein Werk, machte »ts, ts«, sagte »schade«, und nachdem er dies alles getan hatte, richtete er sich auf und sprach in knappem Ton in einen Apparat: »Ich bin für niemanden zu sprechen.« Murmelnd bestätigte die Stimme des grauen Empfangschefs die Anweisung.

»Sie sagten, Herr Leipzig sei ein alter Bekannter Ihres Stamm­hauses?« faßte Herr Kretzschmar zusammen.

»Wie Sie selbst auch, glaube ich, Herr Kretzschmar.«

»Bitte, erklären Sie das näher,« sagte Herr Kretzschmar und drehte den Kugelschreiber langsam in beiden Händen, als wolle er die Qualität des Goldes prüfen.

»Wir sprechen natürlich von alten Geschichten«, sagte Smiley beschwichtigend.

 »So habe ich es verstanden.«

»Nach seiner Flucht aus Rußland kam Herr Leipzig nach Schleswig-Holstein«, sagte Smiley. »Die Organisation, die seine Flucht ermöglicht hatte, war in Paris ansässig, aber als Balte zog er es vor, in Norddeutschland zu leben. Deutschland war immer noch besetzt, und es war schwierig für ihn, sich seinen Lebens­unterhalt zu verdienen.«

»Für jeden«, korrigierte ihn Herr Kretzschmar. »Für jeden war es schwierig. Die Zeiten waren phantastisch hart. Die Jugend von heute hat keine Ahnung.«

»Nicht die geringste«, bestätigte Smiley. »Und sie waren beson­ders hart für Flüchtlinge. Ob sie nun aus Estland oder aus Sach­sen kamen, das Leben war hart für sie.«

»Absolut richtig. Die Flüchtlinge hatten es am schwersten. Bitte, fahren Sie fort.«

»Damals blühte der Handel mit Informationen. Aller Art von Informationen. Militärischer, industrieller, politischer, wirt­schaftlicher. Die Siegermächte waren bereit, hohe Summen für Material zu bezahlen, das sie jeweils über die anderen aufklärte. Mein Stammhaus war in diesem Handel tätig und unterhielt hier einen Vertreter, dessen Aufgabe darin bestand, derartiges Mate­rial zu sammeln und es nach London zu übermitteln. Herr Leip­zig und sein Partner wurden gelegentlich von uns mit Aufträgen betraut. Als freie Mitarbeiter.«

Trotz der Nachricht vom tödlichen Unfall des Generals huschte ein schnelles und unerwartetes Lächeln wie eine Brise über Herrn Kretzschmars Züge:

»Freie Mitarbeiter«, sagte er, als habe der Ausdruck es ihm be­sonders angetan. »Frei«, wiederholte er. »Genau das waren wir.«

»Derartige Verbindungen sind naturgemäß nicht auf Dauer an­gelegt«, fuhr Smiley fort. »Doch Herr Leipzig hatte als Balte ge­wisse Ziele im Auge und korrespondierte weiterhin noch längere Zeit mit meiner Firma über Mittelsmänner in Paris«, er hielt inne, »vornehmlich über einen General. Der General mußte vor ein paar Jahren aufgrund eines Streits nach London übersiedeln, doch Otto blieb mit ihm in Kontakt. Und der General seinerseits spielte weiter den Mittelsmann.«

»Bis zu seinem Unfall«, warf Herr Kretzschmar ein.

»Ganz recht.«

»War es ein Verkehrsunfall? Ein alter Mann - ein bißchen un­achtsam?«

»Erschossen«, sagte Smiley und sah, wie Herrn Kretzschmars Gesicht sich wieder unwillig verzog. »Er ist erschossen wor­den«, fügte Smiley hinzu, wie um ihn zu beruhigen. »Es war kein Selbstmord oder sonstiges Selbstverschulden.«

»Natürlich«, sagte Herr Kretzschmar und bot Smiley eine Ziga­rette an. Smiley lehnte ab, also zündete er sich selbst eine an, tat ein paar Züge und drückte sie aus. Seine blasse Gesichtsfarbe war um eine Schattierung bleicher geworden.

»Sind Sie mit Otto zusammengekommen? Kennen Sie ihn?« fragte Herr Kretzschmar und machte auf leichten Plauderton.

»Ich bin einmal mit ihm zusammengekommen.«

»Wo?«

»Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen.«

Herr Kretzschmar runzelte die Stirne, doch eher ratlos als miß­billigend.

»Sagen Sie, bitte. Wenn Ihr Stammhaus - na schön, London -Herrn Leipzig direkt erreichen wollte, wie ging es da vor?« fragte Herr Kretzschmar.

»Über das Hamburger Abendblatt.«

»Und wenn es sehr dringend war?«

»Über Sie.«

»Sind Sie von der Polizei?« fragte Herr Kretzschmar ruhig.

»Scotland Yard?«

»Nein.« Smiley starrte Herrn Kretzschmar an, und Herr Kretz­schmar starrte zurück.

»Haben Sie etwas für mich mitgebracht?« fragte Herr Kretz­schmar. Smiley war ratlos und antwortete nicht sofort. »So et­was wie einen Empfehlungsbrief? Eine Karte, zum Beispiel?«

»Nein.«

»Nichts vorzuzeigen? Sehr schade.«

»Vielleicht werde ich Ihre Frage besser verstehen, wenn ich ihn gesehen habe.«

»Aber das Foto, das haben Sie doch offensichtlich gesehen? Ha­ben Sie es zufällig bei sich?«

Smiley zog seine Brieftasche und reichte den Abzug über den Schreibtisch. Herr Kretzschmar hielt ihn an den Rändern, sah ihn einen Augenblick prüfend an, aber nur pro forma und legte ihn dann auf die Plastikfläche vor sich hin. Sein sechster Sinn sagte Smiley, daß Herr Kretzschmar sich anschickte, eine Aus­sage zu machen, wie dies die Deutschen manchmal so tun, eine Aussage zu seiner philosophischen Einstellung oder seiner per­sönlichen Entlastung, auf daß man ihn liebe oder bemitleide. Smiley schwante, daß Herr Kretzschmar, zumindest nach sei­nem Selbstverständnis, ein umgänglicher, wenn auch mißver­standener Mensch war; ein Mann von Herz, ja Herzensgüte, und daß seine Wortkargheit nur ein berufliches Requisit war, das er widerstrebend zur Schau stellte, in einer Welt, die mit seinem von Natur aus zartbesaiteten Wesen oft nicht in Einklang stand. »Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich hier ein anständiges Haus leite«, bemerkte Herr Kretzschmar, nachdem er nochmals einen Blick auf den Abzug unter der klinisch modernen Lampe gewor­fen hatte. »Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, Gäste zu foto­grafieren. Manche Leute verkaufen Krawatten, ich verkaufe Sex. Ich lege größten Wert auf korrektes Geschäftsgebaren. Aber hier handelte es sich nicht um Geschäft. Hier handelte es sich um Freundschaft.«

Smiley war klug genug, den Mund zu halten.

Herr Kretzschmar runzelte die Stirn. Seine Stimme senkte sich zu einem vertraulichen Ton: »Kannten Sie ihn, Herr Max? Den alten General? Waren Sie ihm persönlich verbunden?«