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Das Haus stand auf einem Hügel, in einem Dickicht aus kahlen Ulmen. Es war groß und aus verwittertem Granit, mit einer Menge Giebel, die wie schwarze, zerrissene Zelte über die Baumwipfel ragten. Mehrere Hektar kaputter Gewächshäuser führten darauf zu, verfallene Ställe und ein verwahrloster Küchengarten lagen unterhalb im Tal. Die Hügel, einstige Befesti­gungen, waren olivbraun und kahl. Harrys kornischer Haufen, nannte sie das Ganze. Zwischen den Hügeln sah man das Meer, das an diesem Morgen unter den tief hängenden Wolkenbänken hart wie Schiefer wirkte. Ein Taxi, ein alter Humber, der wie ein Generalstabswagen aus dem Krieg aussah, fuhr ihn den holpri­gen Weg hinauf. Hier hat sie ihre Kindheit verbracht, dachte Smiley; und hier hat sie die meine adoptiert. Die Auffahrt war voller Löcher, Stümpfe gefällter Bäume lagen wie gelbe Grab­steine an beiden Seiten. Sie wird im Haupthaus sein, dachte er. Das Cottage, wo sie zusammen ihren Urlaub verbracht hatten, lag jenseits des Bergrückens, doch wenn sie allein war, wohnte sie im Haus, in ihrem ehemaligen Jungmädchenzimmer. Er sagte zum Fahrer, daß er nicht zu warten brauche und ging auf den Vordereingang zu, wobei er vorsichtig einen Weg zwischen den Pfützen suchte, um seine Londoner Schuhe nicht in Gefahr zu bringen. Es ist nicht mehr meine Welt, dachte er. Es ist Anns Welt und die der Ihren. Er ließ seinen Blick forschend über die vielen Fenster der Vorderfassade gleiten und versuchte, ihre Sil­houette hinter einem davon zu erhaschen. Sie hätte mich sicher am Bahnhof abgeholt, aber sie hat wieder einmal die Zeit nicht richtig mitgekriegt, dachte er, nach dem Motto >Im Zweifel für den Angeklagten<. Aber ihr Wagen war in den Ställen geparkt und noch mit dem Morgenreif bedeckt; er hatte ihn erspäht, während er den Taxifahrer bezahlte. Er läutete und hörte Schritte auf den Fliesen, doch es war Mrs. Tremedda, die ihm öffnete und ihn in einen der Salons führte - Rauchzimmer, Früh­stückszimmer, Wohnzimmer -, er hatte sie nie recht auseinan­derhalten können. Ein Kaminfeuer brannte.

»Ich hole sie«, sagte Mrs. Tremedda.

Wenigstens brauche ich mich nicht mit dem verrückten Harry über Kommunisten zu unterhalten, dachte Smiley, während er wartete. Wenigstens brauche ich mir nicht anzuhören, daß die ganzen chinesischen Kellner von Penzance nur auf Order aus Peking warten, um ihre Gäste zu vergiften. Oder daß die ver­dammten Streiker an die Wand gestellt und erschossen gehören - was ist denn das für eine Auffassung von Pflichterfüllung, um Himmels willen? Oder daß Hitler zwar ein Schuft gewesen ist, daß aber seine Ansichten in puncto Juden goldrichtig waren oder irgendeine ähnlich monströse, doch ernsthaft vorge­brachte Meinung.

Sie hat der Familie Anweisung gegeben, sich fern zu halten dachte er.

Er konnte den Honig durch den Holzrauch riechen und fragte sich, wie immer, woher dieser Geruch kam. Vom Möbelwachs? Oder war da irgendwo in den Katakomben ein Honigzimmer, so wie da ein Gewehrzimmer, ein Angelzimmer, ein Boxraum und, soviel er wußte, ein Liebeszimmer waren? Er schaute nach der Tiepolo-Zeichnung, die immer über dem Kamin gehangen hatte, eine Szene aus dem venezianischen Leben. Sie haben sie verkauft, dachte er. So oft er kam, war die Sammlung um irgendein weite­res hübsches Stück ärmer geworden. Wofür Harry das Geld aus­gab, konnte niemand sagen: Sicher nicht für den Unterhalt des Hauses.

Sie ging durch das Zimmer, und er war froh, daß sie auf ihn zu­kam und nicht er auf sie, denn er wäre sicher über irgendetwas gestolpert. Sein Mund war trocken, und er hatte einen Kaktus­klumpen im Magen, er wollte sie nicht zu nahe an sich haben, ihre Wirklichkeit war plötzlich zu viel für ihn. Sie sah schön und keltisch aus, wie immer hier unten, und ihre braunen Augen ver­suchten, als sie auf ihn zukam, seine Stimmung zu erforschen. Sie küßte ihn auf den Mund, legte ihre Finger um seinen Nacken, um ihn zu führen, und Haydons Schatten fiel zwischen sie wie ein Schwert.

»Du hast nicht zufällig die Morgenzeitung am Bahnhof gekauft, nein?« fragte sie. »Harry hat sie wieder einmal abbestellt.«

Sie fragte, ob er schon gefrühstückt habe, und er log und sagte ja. Vielleicht könnten sie einen kleinen Spaziergang machen, schlug sie vor, als sei er gekommen, um sich das Gut anzusehen. Sie führte ihn in das Gewehrzimmer, wo sie nach passenden Stiefeln für ihn suchten. Da waren Stiefel, die wie Roßkastanien glänz­ten, und Stiefel, die immer feucht wirkten. Der Küstenpfad führte in beiden Richtungen aus der Bucht heraus. Harry hatte in regelmäßigen Abständen Stacheldrahtabsperrungen angebracht oder Schilder aufgestellt mit der Aufschrift »LEBENSGE­FAHR! SELBSTSCHÜSSE«. Er lag mit dem Stadtrat in heftiger Fehde wegen der Genehmigung zur Errichtung eines Camping­platzes, und die abschlägigen Bescheide brachten ihn manchmal zum Rasen. Sie wählten den Nordhang und den Wind, und sie hatte sich bei ihm eingehängt, um besser zuhören zu können. Der Norden war windiger, aber am Südhang mußte man hinter­einander durch den Stechginster gehen.

»Ich muß ein bißchen weg, Ann«, sagte er und versuchte ihren Namen natürlich auszusprechen. »Ich wollte am Telefon nicht darüber reden.« Er hatte seine >Ich-zieh-in-den-Krieg-Stimme< angenommen und kam sich wie ein Idiot vor, als sie ihm in den Ohren klang. »Ich muß weg, um einen Liebhaber zu erpressen«, hätte er zu ihr sagen sollen.

»Weg irgendwohin Bestimmtes, oder nur weg von mir?«

»Ich muß etwas im Ausland erledigen«, sagte er und versuchte vergeblich von seiner Rolle als Kriegsheld wegzukommen. »Ich glaube nicht, daß du während meiner Abwesenheit in die Bywa­ter Street kommen solltest.«

Sie hatte ihre Finger in die seinen verschränkt, aber das gehörte eben so zu den Dingen, die sie tat: Sie verhielt sich natürlich den Leuten gegenüber, allen Leuten. Unter ihnen, in der Felsenkluft, brach sich die See und bildete wütend Muster aus Gischtschlan­gen.

»Und du bist den ganzen Weg hierher gekommen, nur um mir zu sagen, daß das Haus unzugänglich ist?« fragte sie. Er gab keine Antwort.

»Ich werde es anders versuchen«, schlug sie vor, nachdem sie eine Weile gewandert waren. »Wenn die Bywater Street noch zugänglich wäre, hättest du dann vorgeschlagen, ich solle kommen? Oder willst du mir sagen, daß sie endgültig unzugänglich ist?«

Sie blieb stehen und schaute ihn an, hielt ihn von sich und ver­suchte seine Antwort zu lesen. Sie flüsterte >Um Himmels willen<, und er konnte zugleich den Zweifel, den Stolz und die Hoffnung auf ihrem Gesicht sehen und fragte sich, was sie in sei­nem sah, denn er selbst wußte nicht, was er fühlte, außer, daß er nirgendwo in ihre Nähe gehörte, nirgendwo in die Nähe dieses Ortes, sie war wie eine Frau auf einer schwimmenden Insel, die sich schnell von ihm wegbewegte, inmitten der Schatten all ihrer Liebhaber.

Er empfand Liebe für sie, Gleichgültigkeit, er beobachtete mit dem Fluch der Leidenschaftslosigkeit, wie sie ihn verließ. Wenn ich mich selbst nicht kenne, wie kann ich dann sagen, wer du bist? Er sah die Linien des Alters und des Leidens und des Kamp­fes, die ihr gemeinsames Leben gezogen hatte. Sie war alles, was er wollte, sie war nichts, sie erinnerte ihn an jemanden, den er einst vor langer Zeit gekannt hatte; sie war ihm ein Rätsel, er kannte sie genau. Er sah den Ernst auf ihrem Gesicht und fragte sich eine Minute lang, wie er dies je hatte für Tiefe halten kön­nen; in der nächsten Minute verachtete er sich wegen seiner Ab­hängigkeit von ihr und wollte nur noch frei sein. Er wollte rufen >Komm zurück< tat es aber nicht: Er streckte nicht einmal eine Hand aus, um zu verhindern, daß sie von ihm wegglitt.