Выбрать главу

»Du hast doch gesagt, daß ich immer wieder nach dir schauen soll«, sagte er. Diese Feststellung klang wie der Vorspann zu ei­ner Frage, doch die Frage kam nicht.

Sie wartete, dann bot sie ihrerseits eine Feststellung an.

»Ich bin eine Komödiantin, George«, sagte sie. »Ich brauche ei­nen vernünftigen Mann. Ich brauche dich.«

Doch er sah sie wie aus weiter Ferne.

»Es ist wegen der Sache, die ich erledigen muß«, sagte er.

»Ich kann nicht leben mit ihnen. Ich kann nicht leben ohne sie.« Er vermutete, daß sie wieder von ihren Liebhabern sprach »Nur eins ist schlimmer als der Wechsel, und das ist der Status Quo. Ich wähle nicht gern. Ich liebe dich. Verstehst du?« Es folgte eine Pause, während der er irgendetwas gesagt haben mußte. Sie stützte sich nicht auf ihn, aber sie lehnte an ihm, während sie weinte, denn das Weinen hatte ihre ganze Kraft aufgezehrt. »Du hast nie gewußt, wie frei du bist, George«, hörte er sie sagen. »Ich mußte für uns beide frei sein.«

Dann schien sie sich ihrer eigenen Absurdität bewußt zu werden, und sie lachte.

Ann ließ seinen Arm los, und sie gingen eine Weile dahin, wäh­rend sie versuchte, klar zu kommen, indem sie einfache Fragen stellte. Er sagte: »Wochen, vielleicht länger.« Er sagte: »In einem Hotel«, sagte aber nicht in welcher Stadt oder in welchem Land. Sie schaute ihn wieder an, und die Tränen liefen plötzlich von neuem, schlimmer als zuvor, doch sie rührten ihn noch immer nicht so, wie er es gewünscht hätte.

»George, das ist alles, was noch bleibt, glaube mir«, sagte sie und blieb stehen, um sich Gehör zu verschaffen. »Der Zug ist abge­fahren, in deiner Welt und in meiner. Wir sind beieinander ge­landet. Damit hat's sich. Am Durchschnitt gemessen, gehören wir zu den glücklichsten Menschen der Welt.«

Er nickte, schien es als gegeben hinzunehmen, daß sie irgendwo gewesen war, wo er nicht gewesen war, ohne es jedoch als end­gültig zu betrachten. Sie gingen wieder eine Weile dahin, und er bemerkte, daß er mit ihr verbunden war, solange sie nicht redete, doch nur in dem Sinn, daß sie ein anderer lebender Mensch war, der denselben Pfad entlangging, wie er selbst.

»Es hat mit Leuten zu tun, die Bill Haydon auf dem Gewissen haben«, sagte er zu ihr, entweder als Trost oder als Entschuldi­gung für seinen Rückzug. Aber er dachte: >Die dich auf dem Gewissen haben.<

Er verpaßte den Zug und mußte zwei Stunden totschlagen. Es war Ebbe, und so ging er den Strand entlang bei Marazion, erschrocken über seine Gleichgültigkeit. Der Tag war grau, die Seevögel hoben sich blendendweiß gegen das Schiefermeer ab. Ein paar wackere Kinder planschten in der Brandung. Ich bin ein Geistdieb,  dachte er niedergeschlagen.  Ich habe keinen Glauben und verfolge einen Anderen wegen seiner Überzeugung. Ich versuche, mich am Feuer anderer Leute zu wärmen. Er sah den Kindern zu und erinnerte sich an einen Gedichtfetzen aus lang vergangener Zeit:

Wie Schwimmer, die in reine Fluten springen.

Wend ich mich froh von einer Welt, die alt und kalt und müd ge­worden.

Ja, dachte er düster, das tu ich.

»Nun, George«, fragte Lacon. »Glauben Sie, daß wir unsere Frauen einfach zu hoch einschätzen, daß wir Burschen aus der englischen Mittelschicht hier auf dem Holzweg sind? Glauben Sie - ich will's mal anders ausdrücken -, daß wir Engländer mit unseren Traditionen und Schulen von unserem Weibervolk er­warten, daß sie für eine Menge stehen, und sie dann dafür tadeln, daß sie für nichts einstehen? Wir sehen sie als Konzepte und nicht als Wesen aus Fleisch und Blut. Hakt's da bei uns?«

Smiley sagte, das könne wohl sein.

»Wenn's dasnicht ist, warum verknallt sich dann Val dauernd in solche Scheißkerle?« schnappte Lacon aggressiv, zur Überra­schung des Paares, das am Nachbartisch saß.

Sie hatten miserabel in dem Steakhaus gegessen, das Lacon vor­geschlagen hatte, hatten offenen, spanischen Burgunder getrun­ken, und Lacon hatte sich weidlich über das politische Dilemma in Großbritannien ereifert. Sie tranken nun Kaffee und einen verdächtigen Brandy. Die Kommunistenfresserei sei überholt. Lacon war sich da ganz sicher. Die Kommunisten seien ja schließlich auch nur Menschen. Sie seien keine Ungeheuer mit Messern zwischen den Zähnen, nicht mehr. Die Kommunisten wünschten, was jeder wünschte: Wohlstand und ein bißchen Ruhe und Frieden. Die Chance, mit dieser verdammten Feindse­ligkeit Schluß zu machen. Und wenn sie das nicht wollten - nun, was könnten wir dagegen tun? hatte er gefragt. Manche Pro­bleme - man denke nur an das Irische - seien unlösbar, aber man würde die Amerikaner nie dazu bringen zuzugeben, daßirgend­etwas unlösbar sei. Großbritannien sei unregierbar, und in ein paar Jahren würden das auch alle anderen Länder sein. Unser Zukunft liege im Kollektiv, doch unser Überleben hänge am In­dividuum, und an diesem Paradox litten wir jeden Tag.

»Nun, George, wie sehen Sie die Sache? Sie sind ja schließlich aus dem Geschirr. Sie haben den objektiven Blick, die umfassende Übersicht.«

Smiley hörte sich irgendetwas Blödsinniges über ein Spektrum murmeln.

Und nun war das Hauptthema, vor dem Smiley sich den ganzen Abend gefürchtet hatte, auf dem Tisch: Ihr Seminar über die Ehe hatte begonnen.

»Man hat uns immer beigebracht, Frauen müßten liebevoll be­handelt werden«, erklärte Lacon voller Ressentiment. »Wenn man sie nicht jede Minute des Tages fühlen läßt, daß sie geliebt werden, drehen sie durch. Aber dieser Bursche, mit dem Val sich rumtreibt - nun, wenn sie ihm auf die Nerven geht oder unge­fragt redet, dann gibt er ihr eins auf die Schnauze. Wir beide tun das nie, oder?«

»Ganz gewiß nicht«, sagte Smiley.

»Schauen Sie. Angenommen, ich geh zu ihr- stelle sie in seinem Haus - zieh andere Seiten auf - drohe mit Gericht und so -könnte das die Wende bringen? Schließlich bin ich größer als er, weiß Gott. Mir fehlt's nicht an schlagenden Argumenten, in kei­nem Sinne!«

Sie standen auf dem Gehsteig unter den Sternen und warteten auf Smileys Taxi.

»Na, auf alle Fälle, guten Urlaub, Sie haben ihn verdient«, sagte Lacon. »Irgendwohin, wo's warm ist?«

»Nun, ich dachte, einfach weg und wandern.«

»Sie Glücklicher! Mein Gott, wie ich Sie um Ihre Freiheit beneide! Nun, wie dem auch sei, Sie waren eine große Hilfe. Ich werde Ihren Rat wortwörtlich befolgen.«

»Aber Oliver, ich habe Ihnen doch gar keinen Rat gegeben«, protestierte Smiley leicht beunruhigt.

Lacon achtete nicht darauf. »Und die andere Sache ist ausgebü­gelt, wie ich gehört habe«, sagte er fröhlich. »Keine Folgen, kein Kuddelmuddel. Gut gemacht, George. Loyal. Ich werde mal se­hen, wie wir uns dafür ein bißchen erkenntlich zeigen können. Ich weiß nicht mehr, was Sie alles schon haben. Ein Bursche hat kürzlich im Athenaeum gesagt, sie verdienten einen Adelstitel.« Das Taxi kam, und zu Smileys Verlegenheit bestand Lacon dar­auf, ihm die Hand zu schütteln. »George. Gehaben Sie sich wohl. Sie sind Spitze gewesen. Wir sind aus demselben Holz ge­schnitzt, George. Beide Patrioten, Geber, keine Nehmer. Zur Pflicht erzogen. An unserem Land. Wir müssen den Preis dafür bezahlen. Wenn Ann statt Ihrer Frau Ihr Agent gewesen wäre, Sie hätten sie wahrscheinlich tadellos geführt.«

Nach einem Anruf von Toby, der besagte, daß >der Handel spruchreif geworden war<, flog Smiley in aller Ruhe unter dem Arbeitsnamen Barraclough in die Schweiz. Vom Flughafen Zü­rich fuhr er mit dem Swissair-Bus nach Bern und begab sich di­rekt ins Hotel Bellevue, einen riesigen Prachtpalast von ruhiger Vornehmheit, von dem aus man an klaren Tagen über die Vor­berge auf die glitzernden Alpen sehen konnte, der aber an diesem Abend in einen brauenden Winternebel eingehüllt war. Er hatte bescheidenere Unterkünfte in Erwägung gezogen. Er hatte an eine von Tobys sicheren Wohnungen gedacht. Aber Toby hatte ihn davon überzeugt, daß das Bellevue das Beste sei. Es besaß mehrere Ausgänge, es lag zentral, und es war das erste Hotel in Bern, in dem man ihn suchen würde, und daher das letzte, in dem Karla, sollte er nach ihm Ausschau halten, erwarten würde, ihn zu finden. Als er in die riesige Empfangshalle ging, hatte Smi­ley das Gefühl, ein Passagierschiff auf hoher See zu betreten.