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»Wie geht's denn allen so?« sagte Smiley.

»Großartig. Scharren ungeduldig mit den Hufen, George, alle wie sie da sind. Einem der Brüder Sartor ist ein Kind krank ge­worden, und er mußte heim nach Wien. Hat ihm fast das Herz gebrochen. Aber sonst, großartig. George, Sie sind die Nummer Eins für alle. Da vorne rechts kommt Slingo. Erinnern Sie sich an Harry? War meine Schützenhilfe in Acton.«

»Wie ich höre, hat sein Sohn ein Stipendium für Oxford be­kommen«, sagte Smiley.

»Physik. Wadham, Oxford. Der Junge ist ein Genie. Schauen Sie immer nur die Straße hinunter, nicht den Kopf bewegen, George.«

Sie fuhren an einem Kastenwagen vorbei, an dessen Seitenwand in schwungvoller Schrift Auto-Schnelldienst stand und dessen Fahrer am Steuer vor sich hindöste.

»Wer ist hinten drin?« fragte Smiley, als sie genügend weit ent­fernt waren.

»Pete Lusty, ehemaliger Skalpjäger. Diese Burschen haben eine schwere Zeit hinter sich, George. Keine Arbeit, kein Rummel Pete ist in die Rhodesische Armee eingetreten. Hat ein paar Kerle umgelegt, war ihm zu langweilig, ist zurückgekommen. Kein Wunder, daß die Jungens Sie lieben.«

Sie fuhren wieder an Grigoriews Haus vorbei. Ein Licht brannte hinter dem anderen Fenster.

»Die Grigoriews gehen früh schlafen«, sagte Toby mit einer Art Schaudern.

Vor ihnen stand eine geparkte Limousine mit einem Zürcher Konsulatsschild. Auf dem Fahrersitz las ein Chauffeur ein Ta­schenbuch.

»Das ist Canada Bill«, erklärte Toby. »Wenn Grigoriew das Haus verläßt und nach rechts fährt, kommt er an Pete Lusty vor­bei. Nach links, an Canada Bill. Tüchtige Burschen. Sehr wach­sam.«

»Wer ist hinter uns?«

»Die Meinertzhagen-Mädchen. Die Große hat geheiratet.«

Der Nebel dämpfte das Motorgeräusch und hüllte sie schützend ein. Sie fuhren einen sanften Hügel hinunter, am Wohnsitz des britischen Botschafters vorbei. Die Straße bog nach links ab, und Toby folgte ihr. Der Wagen, der bis jetzt hinter ihnen gefahren war, überholte sie und schaltete dabei ordnungsgemäß seine Fernlichter ein. Ihr Strahl, der parallel zu Smileys auf die Straße gerichtetem Blick verlief, fiel in eine baumbestandene Sackgasse mit zwei großen, verschlossenen Toren am Ende, hinter denen eine kleine Wachmannschaft stand. Der Rest war völlig von den Bäumen verdeckt.

»Die Sowjetbotschaft heißt Sie willkommen, George. Vierund­zwanzig Diplomaten, fünfzig andere Ränge - Chiffrierer, Steno­typistinnen und ein paar ganz miese Fahrer, alle aus Rußland im­portiert. Die Handelsdelegation ist in einem anderen Gebäud untergebracht, in der Schanzeneckstraße 17.  Grigoriew geht dort häufig ein und aus. In Bern gibt es auch die Tass und novo­sti, meist Wald- und Wiesen-Spione. Die Stammresidentur ist in Genf, unter UN-Tarnung, ungefähr zweihundert Mann stark. Das hier ist ein Nebenzweig, zwölf, fünfzehn im ganzen, wächst, aber nur langsam. Das Konsulat ist hinten an die Bot­schaft angebaut. Man kommt durch ein Tor in der Umzäunung hinein, als sei es eine Opiumhöhle oder ein Puff. Der Zugang wird durch eine Fernsehkamera überwacht, und im Warteraum sind Abtastgeräte. Versuchen Sie doch einmal, ein Visum zu be­antragen.«

»Ich glaube, ich werde darauf verzichten, vielen Dank«, sagte Smiley, und Toby gab eines seiner seltenen Lachen von sich. »Gehört alles zur Botschaft«, sagte Toby, als die Scheinwerfer über einen Hochwald strichen, der nach links abfiel. »Hier spielt die Grigoriewa Volleyball, gibt sie den Kindern politischen Un­terricht. George, glauben Sie mir, das ist ein äußerst krasses Weib. Botschaftskindergarten, ideologische Schulung, Tisch­tennisklub, Damen-Federball - diese Frau schmeißt den ganzen Laden. Wenn Sie's mir nicht glauben, fragen Sie nur die Jun­gens.« Als sie von der Sackgasse wegfuhren, schaute Smiley zu dem oberen Fenster des Eckhauses hinauf und sah ein Licht aus-und wieder angehen.

»Und das ist Pauli Skordeno, der zu Ihnen sagt >Willkommen in Bern<«, bemerkte Toby. »Es ist uns letzte Woche gelungen, die obere Wohnung zu mieten. Pauli ist ein Reuter-Korrespondent. Wir haben sogar einen Pressepaß für ihn gefälscht. Telegramm­karten, alles.«

Toby hatte am Thunplatz geparkt. Von einem modernen Glockenturm her schlug es elf Uhr. Es fiel feiner Schnee, doch der Nebel riß nicht auf. Einen Augenblick lang sprach keiner von beiden.

»Heute war es genau wie letzte Woche, und letzte Woche genau wie vorletzte, George«, sagte Toby. »Jeden Donnerstag ist es das gleiche. Nach Arbeitsschluß fährt er den Mercedes in eine Garage, läßt auftanken, Ölstand und Batterien prüfen, verlangt eine Quittung. Dann nach Hause. Kurz nach sechs fährt ein Bot­schaftswagen vor und heraus steigt Krassky, der reguläre Donnerstagkurier aus Moskau. Allein. Ein Bursche, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, ein Profi. Bei allen anderen Gelegenheiten ist Krassky immer mit seinem Begleiter Boganow unterwegs Fliegen zusammen, befördern zusammen, essen zusammen Wenn er jedoch Grigoriew besucht, tanzt Krassky aus der Reihe und kommt allein. Bleibt eine halbe Stunde, geht wieder. War­um? Für einen Kurier ist das völlig regelwidrig, George. Äußerst gefährlich, wenn er nicht die nötige Rückendeckung hat, glau­ben Sie mir.«

»Was halten Sie also von ihm, Toby?« fragte Smiley. »Was ist er?«

Toby wendete die ausgestreckte Hand hin und her. »Grigoriew ist kein ausgebildeter Spion, George. Nicht vom Bau, eine ein­zige Katastrophe. Aber er ist auch nicht hasenrein. Ein Zwitter, George.«

Genau wie Kirow, dachte Smiley,

»Glauben Sie, daß wir genug über ihn haben?« fragte Smiley.

»Technisch kein Problem; die Bank, der falsche Name, vor allem Klein-Natascha: Technisch haben wir eine Handvoll Trümpfe.«

»Und Sie meinen, daß er brennen wird«, sagte Smiley mehr be­stätigend als fragend.

In der Dunkelheit drehte Toby wieder die Hand, nach oben, nach unten.

»Verbrennen ist immer Glückssache, George, verstehen Sie mich? Manche Burschen kriegen's mit der Heldenhaftigkeit und wollen plötzlich für ihr Vaterland sterben. Andere wieder rollen sich zusammen und rühren sich nicht mehr, sobald man den Arm um sie legt. Bei Erpressung schalten manche Leute auf stur, ver­stehen Sie?«

»Ja, ja, ich glaube schon«, sagte Smiley. Er erinnerte sich wieder an Delhi und an das stumme Gesicht, das ihn durch den Zigaret­tenrauch hindurch beobachtete.

»Immer mit der Ruhe, George. Okay? Sie müssen ab und zu das Gas wegnehmen.«

»Gute Nacht«, sagte Smiley.

Er fuhr mit der letzten Tram in die Stadtmitte. Als er zum Belle­vue kam, schneite es heftig: große Flocken, die in dem gelben Licht wirbelten, die aber zu naß waren, um liegenzubleiben stellte seinen Wecker auf sieben.