»Und die Fahrräder?« fragte Smiley besorgt.
»Wie immer«, sagte Toby und zog einen Stuhl heran.
»Ist sie letzte Woche gefahren?«
»Auch die vorletzte. Sie besteht darauf. George, dieses Weib ist wirklich ein Monstrum.« Die Kellnerin brachte ihm ungefragt einen Kaffee. »Letzte Woche hat sie Grigoriew förmlich aus dem Fahrersitz gehievt und hat dann den Wagen gegen den Torpfosten gefahren und den Kotflügel verbeult. Pauli und Canada Bill haben so gelacht, daß wir glaubten, es würde die Flüsterer zerreißen.« Er legte Smiley freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. »Hören Sie, es wird ein hübscher Tag werden. Glauben Sie mir. Hübsches Licht, hübsche Ausstattung, Sie müssen sich nur zurücklehnen und die Schau genießen.«
Ein Telefon läutete, und die Kellnerin rief: >Herr Jakobi.< Toby ging beschwingt zur Theke. Sie reichte ihm den Hörer und errötete über irgendetwas, was er ihr zuflüsterte. Von der Küche her kam der Chef mit seinem kleinen Sohn: >Herr Jakobi!< Die Chrysanthemen auf Smileys Tisch waren aus Plastik, aber irgend jemand hatte Wasser in die Vase getan.
»Ciao«, rief Toby angeregt in das Telefon und kam zurück. »Alle sind auf ihrem Posten, alle sind glücklich«, verkündete er zufrieden. »Essen Sie doch was. Amüsieren Sie sich, George. Wir sind doch schließlich in der Schweiz.«
Toby trat fröhlich auf die Straße. Genießen Sie die Schau, dachte Smiley. Genau. Ich hab' sie geschrieben, Toby hat sie inszeniert, und alles, was ich jetzt tun kann, ist mich zurücklehnen und zuschauen. Nein, dachte er und korrigierte sich: Karla hat sie geschrieben, und manchmal machte ihm das ganz gehörig zu schaffen.
Zwei Mädchen in Camperinnen-Aufmachung gingen durch die Doppeltür der Bank, auf dem Fuße gefolgt von Toby. Er packt die Bank voll, dachte Smiley. Er beschickt jeden Schalter mit zwei Leuten. Nach Toby ein junges Paar, Arm in Arm, dann eine stämmige Frau mit zwei Einkaufstaschen. Das gelbe Postauto hatte sich nicht vom Fleck gerührt: Niemand vergreift sich an einem Postwagen. Er bemerkte eine öffentliche Telefonzelle und darin zwei zusammengekuschelte Gestalten, die sich vielleicht wegen des Regens untergestellt hatten. Zwei sind unauffälliger als einer, predigte man immer in Sarratt, und drei sind unauffälliger als ein Paar. Ein leerer Ausflugsbus fuhr vorbei. Eine Glocke schlug zwölf, und wie auf ein Stichwort schlitterte ein schwarzer Mercedes aus dem Nebel heraus, dessen eingelassene Scheinwerfer einen glitzernden Strahl auf das Kopfsteinpflaster warfen. Der Wagen bumste gegen den Rinnstein und kam vor der Bank, sechs Fuß vor Tobys Postauto, zum Stehen. Alle Nummern der sowjetischen Botschaftswagen enden auf 73, hatte Toby gesagt. Sie setzt ihn ab und fährt dann ein paarmal um den Block, bis er wieder herauskommt, hatte Toby gesagt. Doch heute bei dem scheußlichen Wetter hatten die Grigoriews anscheinend beschlossen, den Parkgesetzen und auch Karlas Gesetzen ein Schnippchen zu schlagen und sich darauf zu verlassen, daß ihr CD-Schild sie vor Unannehmlichkeiten bewahren würde. Die Tür an der Mitfahrerseite ging auf, und ein untersetzter, dunkelgekleideter und bebrillter Mann eilte, mit einer Aktenmappe in der Hand, geschäftig zum Bankeingang. Smiley hatte gerade Zeit genug, das dichte, graue Haar und die randlose Brille zu registrieren, die er auf den Fotos gesehen hatte, bevor ein Lastwagen ihm die Sicht verstellte. Als der Laster wieder weiterfuhr, war Grigoriew verschwunden, doch dafür hatte Smiley jetzt die massige Grigoriewa mit ihrem roten Haar im Visier, die mit verbiesterter Fahrschülermiene hinter dem Steuer saß. George, glauben Sie mir, das ist ein äußerst krasses Weib. Als er sie jetzt sah, die ausgeprägten Kinnbacken, den finsteren Blick, teilte Smiley, wenn auch nur vorsichtig, zum erstenmal Tobys Optimismus. Wenn Furcht die Hauptvoraussetzung für erfolgreiches Verbrennen war, dann berechtigte die Grigoriewa zu den schönsten Hoffnungen. Sie war wirklich zum Fürchten.
Vor Smileys geistigem Auge spielte sich nun die Szene ab, genau wie er und Toby sie geplant hatten. Die Bank war klein, ein Team von sieben Leuten konnte sie überfluten. Toby hatte für sich selbst ein Privatkonto eröffnet. Herr Jakobi, ein paar tausend Franken. Toby würde sich einen Schalter vornehmen und ihn mit kleinen Transaktionen beschäftigen. Die Devisenstelle war auch kein Problem. Zwei von Tobys Leuten konnten sie mit einer weit gefächerten Palette von Währungen, einige Minuten lang auf Trab halten. Er konnte sich Tobys lärmende Heiterkeit vorstellen, die Grigoriew zwang, die Stimme zu heben, um sich verständlich zu machen. Er stellte sich die beiden Camperinnen vor, wie sie ihre Doppelnummer abzogen, ein Rucksack, der nachlässig vor Grigoriews Füße plumste und alles aufnahm, was er zu dem Kassierer sagte; und die verborgenen Kameras, die aus Umhängetaschen knipsten, aus Rucksäcken, Mappen, Bettsäcken oder wo sonst immer sie untergebracht waren. »Es ist wie bei einem Erschießungskommando, George«, erklärte Toby, als Smiley sich wegen des Klickens der Verschlüsse besorgt zeigte. »Jeder hört das Geräusch, mit Ausnahme des Opfers.«
Die Banktüren glitten auf. Zwei Geschäftsleute kamen heraus, ordneten ihre Regenmäntel, als seien sie auf der Toilette gewesen. Die stämmige Frau mit den beiden Einkaufstaschen folgte ihnen, und dann kam Toby, der lebhaft mit den Camperinnen plauderte. Schließlich erschien Grigoriew. Selbstvergessen hopste er in den schwarzen Mercedes und drückte seiner Frau einen Kuß auf die Wange, bevor sie den Kopf wegdrehen konnte. Smiley sah, wie ihr Mund sich tadelnd verzog und bemerkte Grigoriews versöhnliches Lächeln, als er antwortete. Ja, dachte Smiley, da ist sicher etwas, weswegen er sich schuldig fühlt; ja, dachte er und erinnerte sich an das Faible der Observanten für ihn. Ja, ich verstehe auch das. Die Grigoriews fuhren nicht weg, noch nicht. Kaum hatte Grigoriew die Tür hinter sich geschlossen, als eine große Frau in einem grünen Lodenmantel, die Smiley vage bekannt vorkam, sich dem Wagen näherte, grimmig an das Fenster des Beifahrers klopfte und anscheinend eine geharnischte Rede über das verwerfliche Verhalten von Parksündern losließ. Grigoriew war verlegen, doch die Grigoriewa lehnte sich über ihn hinweg und belferte zum Fenster hinaus - Smiley hörte sogar das Wort >Diplomat< in schwerfälligem Deutsch durch den Verkehrslärm herüberschallen -, aber die Frau blieb stehen, wo sie war, mit der Handtasche unter dem Arm und schimpfte ihnen nach, als sie wegfuhren. Sie hat sie im Wagen aufgenommen, mit dem Bankeingang im Hintergrund, dachte er. Heutzutage kann man durch winzige Löcher fotografieren; ein halbes Dutzend nadelstrichfeine Öffnungen, und die Linse kann tadellos sehen. Toby war wieder zurückgekommen und hatte sich zu ihm an den Tisch gesetzt. Er hatte sich ein Zigarillo angezündet. Smiley konnte spüren, daß er zitterte, wie ein Hund nach der Jagd. »Grigoriew hat seine üblichen zehntausend abgehoben«, sagte er. Sein Englisch war ein bißchen hastig geworden. »Genau wie letzte Woche, genau wie vorletzte Woche. Wir haben sie, George, die ganze Szene. Die Jungens sind überglücklich, die Mädchen auch. George, wirklich, sie sind phantastisch. Das Beste vom Besten. Ich hatte noch nie so gute. Was halten Sie von ihm?«
Eine scharfe männliche Stimme unterbrach ihn. »Herr Jakobi!« Aber es war nur der Küchenchef, der Toby mit einem Schnapsglas zuprostete.
In seiner Überraschung über die Frage lachte Smiley doch tatsächlich auf.
»Er steht sicher unter dem Pantoffel«, meinte er.
»Und ein netter Bursche, wissen Sie? Vernünftig. Er wird sicher auch vernünftig reagieren. Das ist meine Ansicht, George. Und auch die der Jungens.«
»Wohin fahren die Grigoriews von hier aus?«
»Zum Mittagessen am Bahnhofsbuffet, erster Klasse. Die Grigoriewa nimmt Schweinekotelett mit Chips, Grigoriew ein Steak und ein Glas Bier. Vielleicht genehmigen sie sich auch ein paar Wodkas.«