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»Excusez, Mr. Barraclough, Sie werden am Telefon verlangt. Ein Mr. Anselm.«

Die Kabinen waren in der Haupthalle, die Stimme war Tobys Stimme, und der Name Anselm bedeutete Alarmstufe 6. »Das Büro in Genf meldete uns soeben, daß der Herr Generaldirektor jetzt auf dem Wege nach Bern ist.«

Das Büro in Genf war der Codename des Beobachtungspostens Brunnadernrain.

»Fährt seine Gattin mit?« sagte Smiley.

»Madame ist leider verhindert, sie macht einen Ausflug mit den Kindern«, erwiderte Toby. »Könnten Sie vielleicht in die Filiale herüberkommen, Mr. Barraclough?«

Tobys Filiale war ein Pavillon in einem gepflegten Park in der Nähe des Bundeshauses. Smiley war in fünf Minuten dort. Unten lag das Bett des grünen Flusses. In der Ferne ragten die besonnten Gipfel des Berner Oberlands prachtvoll in den blauen Himmel.

»Grigoriew hat die Botschaft vor fünf Minuten verlassen, allein, in Hut und Mantel«, sagte Toby zur Begrüßung. »Er ist zu Fuß auf dem Weg in die Stadt. Alles, wie am ersten Sonntag unserer Beschattung. Er geht zu Fuß zur Botschaft, zehn Minuten später marschiert er in die Stadt. Er will das Schachspiel verfolgen, George, kein Zweifel. Was sagen Sie?«

»Wer ist bei ihm?«

»Skordeno und de Silsky zu Fuß, dahinter ein Observierungs­wagen, zwei weitere Autos vor ihm. Ein Team ist im Moment unterwegs zur Münsterterrasse. Wollen wir, George, oder wol­len wir nicht?«

Sekundenlang konnte Toby wieder jenen Zwiespalt wahrneh­men, der Smiley immer dann zu befallen schien, wenn ein Un­ternehmen ins Rollen kam: nicht so sehr Unentschlossenheit, vielmehr ein rätselhafter Widerwillen gegen den Vorstoß.

Toby drängte: »Grünes Licht, George? Oder nicht? George, bitte! Es geht jetzt um Sekunden!«

»Wird das Haus überwacht sein, wenn die Grigoriewa mit den Kindern zurückkommt?«

 »Vollständig.«

Wiederum zögerte Smiley sekundenlang. Sekundenlang wog er die Mittel gegen den Zweck ab, dann schien Karlas graue und ferne Gestalt ihn anzuspornen.

»Also grünes Licht«, sagte Smiley. »Ja. Wir wollen.«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als Toby auch schon in der keine zwanzig Meter vom Pavillon entfernten Telefonzelle stand. »Mit Herzklopfen wie eine komplette Dampfmaschine«, wie er später behauptete. Aber auch mit dem Feuer des Kampfes in den Augen.

In Sarratt existiert sogar ein maßstabgetreues Modell der Szene, und von Zeit zu Zeit holen die Schulungsleiter es hervor und er­zählen die Geschichte.

Die Altstadt von Bern beschreibt man am besten als einen Berg, eine Festung und eine Halbinsel, alles zugleich, wie das Modell zeigt. Zwischen der Kirchenfeld- und der Kornhausbrücke zieht die Aare, tief in einer schwindelnden Schlucht, einen hufeisen­förmigen Bogen, und die alte Stadt nistet besonnen in seinem Schutz, ihre mittelalterlichen Straßen steigen hügelan bis zu dem prächtigen Spitzturm des spätgotischen Münsters, das die Krone und die Krönung des Berges bildet. Der Fremdling, der die Aus­sicht von der Südseite, der auf gleicher Höhe liegenden Platt­form, aus genießen will, mag schaudernd unter sich etwa dreißig Meter nackte Felswand erblicken, die senkrecht in den brodeln­den Fluß abstürzt. Eine Stelle, die Selbstmörder anziehen muß und es zweifellos schon mehrmals getan hat. Eine Stelle, an der, wie der Volksmund zu berichten weiß, einst ein frommer Mann von seinem Pferd abgeworfen wurde, und, obgleich er in diese furchtbare Tiefe stürzte, durch Gottes Hilfe überlebte, von Stund an der heiligen Kirche diente und dreißig Jahre danach in hohem Alter eines friedlichen Todes starb. Im übrigen ist die Plattform ein angenehmer Aufenthaltsort mit Bänken und Baumreihen und einem Kinderspielplatz - und, seit kurzem, ei­nem Freiluft-Schachspiel. Die Figuren sind über einen halben Meter hoch, leicht genug, daß man sie bewegen kann, aber schwer genug, um den gelegentlichen Stößen des Südwinds standzuhalten, der von den Höhen herabstürmt. Auch diese Schachfiguren sind im Sandkastenmodell von Sarratt zu sehen. Als Toby Esterhase an jenem Sonntagvormittag dort ankam, hatte der unerwartete Sonnenschein bereits eine kleine und adrette Schar von Spielbegeisterten angezogen, die rings um das schwarz-weiß karierte Pflastergeviert standen oder saßen. Und mitten unter ihnen, keine zwei Meter von Toby entfernt, stand, so blind und taub für seine Umgebung, wie man es sich irgend wünschen konnte, Botschaftsrat (Außenhandel) Anton Grigo­riew von der sowjetischen Gesandtschaft in Bern, der alle Amts­- und Familienbande abgeschüttelt hatte und aufmerksam durch seine randlose Brille jeden Zug der Spieler verfolgte. Und hinter Grigoriew standen Skordeno und sein Kollege de Silsky und be­obachteten Grigoriew. Die Spieler waren jung und bärtig und lässig - Kunststudenten vielleicht, auf jeden Fall wollten sie für solche gehalten werden. Und sie vergaßen auch nicht einen Au­genblick lang, daß sie ein Duell unter den Augen der Öffentlich­keit ausfochten.

Toby war schon früher ebenso nah an Grigoriew herangekom­men, aber nie, während die Aufmerksamkeit des Russen so aus­schließlich einer anderen Sache galt. Mit der Ruhe, die dem Kampf vorausgeht, taxierte Toby ihn und fand bestätigt, was er schon immer behauptet hatte: Anton Grigoriew war kein ausge­bildeter Agent. Seine hingerissene Aufmerksamkeit, die sorglose Offenheit seines Mienenspiels verrieten eine Unschuld, die in den Palastkämpfen der Moskauer Zentrale nie und nimmer hätte überleben können.

Tobys äußere Erscheinung gehörte gleichfalls zu den Glücks­treffern dieses Tages. Zu Ehren des Berner Sonntags trug er einen dunklen Mantel und seine schwarze Pelzmütze. Somit war er in diesem entscheidenden Augenblick aus dem Stegreif das, was er zu scheinen beabsichtigt hätte, wenn alles bis in die letzte Klei­nigkeit geplant gewesen wäre: ein angesehener Bürger, der sich sonntags ein bißchen Muße gönnt.

Tobys dunkle Augen hoben sich zum Münsterplatz. Die Ab­setzautos standen bereit.

Gedämpftes Lachen stieg auf. Mit ausholender Bewegung hob einer der bärtigen Spieler seine Königin vom Feld, wirbelte sie scheinbar mühsam, als wäre sie zentnerschwer, ein paar Schritte weit und ließ sie ächzend niederplumpsen. Grigoriew runzelte düster die Stirn, während er diesen unerwarteten Zug betrachte­te. Auf Tobys Nicken hin schoben sich Skordeno und de Silsky rechts und links an ihn heran, so dicht, daß Skordenos Schulter an die Schulter der Beute stieß, doch Grigoriew achtete nicht darauf. Tobys Hilfstruppen, die dies als ihr Signal auffaßten, schlängelten sich langsam durch die Menge und bildeten eine zweite Staffel hinter de Silsky und Skordeno. Jetzt wartete Toby nicht länger. Er trat direkt vor Grigoriew hin, lächelte und lüf­tete die Pelzmütze. Grigoriew erwiderte das Lächeln - ein wenig unsicher, es mochte sich um einen anderen Diplomaten handeln, an den er sich nicht mehr recht erinnerte - und lüftete gleichfalls den Hut.

»Wie geht's Ihnen heute, Herr Botschaftsrat?« fragte Toby auf Russisch, in leicht scherzendem Ton.

Verwirrter denn je sagte Grigoriew, vielen Dank, es gehe ihm gut.

»Ich hoffe, der kleine Ausflug am Freitag hat Ihnen Spaß ge­macht«, fuhr Toby im gleichen ungezwungenen, aber sehr leisen Ton fort, während er Grigoriew unterhakte. »Ich sage immer, die alte Stadt Thun erfährt bei den Mitgliedern unserer noblen diplomatischen Gemeinde nicht die ihr gebührende Würdigung. Dabei empfiehlt sich dieses Städtchen, wenn Sie mich fragen, nicht nur wegen seiner Altertümlichkeit, sondern auch wegen seines Bankwesens. Finden Sie nicht auch?«

Diese Offensive war lang genug und bestürzend genug, um Gri­goriew widerstandslos an den Rand des Zuschauerkreises zu be­fördern. Skordeno und de Silsky hatten dicht aufgeschlossen. »Mein Name ist Kurt Siebel«, raunte Toby vertraulich in Grigo­riews Ohr, und seine Hand ruhte noch immer auf Grigoriews Arm. »Ich bin Chefrevisor der Berner Standard Bank in Thun. Wir haben ein paar Fragen betreffs des Privatkontos, das Dr. Adolf Glaser bei uns unterhält. Tun Sie, als wären wir Bekannte, es ist in Ihrem eigenen Interesse.« Sie gingen noch immer. Hinter ihnen folgten die Observanten in schräger Linie, wie Rugbyspie­ler, die einen Durchbruch des Gegners verhindern wollen. »Bitte beunruhigen Sie sich nicht«, fuhr Toby fort und zählte die Schritte, während Grigoriew sich an seiner Seite hielt. »Wenn Sie eine Stunde für uns erübrigen könnten, so ließe die Sache sich gewiß aus der Welt schaffen, ohne daß Ihr häusliches oder beruf­liches Leben eine Störung erfahren würde. Bitte.«