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In der Welt eines Geheimagenten ist die Mauer zwischen Sicher­heit und höchster Gefahr so gut wie nichts, ein dünnes Häut­chen, das in Sekundenschnelle bersten kann. Er mag seinen Mann jahrelang umworben und für die Pfanne gemästet haben. Aber der Augenblick, wenn er ihn in die Pfanne haut - »wirst du, wirst du nicht?« -, ist ein Sprung entweder ins Verderben oder zum Sieg, und sekundenlang glaubte Toby, dem Verderben ins Antlitz zu blicken. Grigoriew war endlich stehengeblieben und hatte sich umgewandt, um ihn anzustarren. Er war bleich wie ein Schwerkranker. Sein Kinn hob sich, er öffnete den Mund zum Protest gegen eine monströse Anschuldigung. Er zerrte an sei­nem blockierten Arm, um sich loszumachen, aber Toby hielt ihn fest. Skordeno und de Silsky gaben Rückendeckung, doch die Entfernung zum Wagen betrug noch immer fünfzehn Meter, und das war nach Tobys Maßstäben ein weiter Weg, wenn man einen stämmigen Russen mit sich zerren mußte. Toby redete un­unterbrochen; das gebot ihm sein Instinkt.

»Es liegen gewisse Unregelmäßigkeiten vor, Herr Botschaftsrat. Schwere Unregelmäßigkeiten. Wir haben eine Akte über Ihre werte Person, liest sich höchst unerfreulich. Wenn ich dieses Dossier der Schweizer Polizei übergeben würde, so könnten alle diplomatischen Proteste der Welt Sie nicht vor der peinlichsten öffentlichen Bloßstellung schützen. Welche Folgen dies für ihre berufliche Karriere haben würde, muß ich wohl nicht erwähnen. Bitte. Ich sagte bitte.«

Grigoriew hatte sich noch immer nicht geregt. Er schien gelähmt vor Unentschlossenheit. Toby schubste ihn am Arm, aber Gri­goriew stand wie ein Fels und schien den physischen Druck nicht wahrzunehmen. Toby schob energischer an. Skordeno und de Silsky rückten noch dichter auf, doch Grigoriew besaß die stör­rische Kraft eines Irren. Sein Mund öffnete sich, er schluckte, sein Blick heftete sich dümmlich auf Toby.

»Welche Unregelmäßigkeiten?« sagte er schließlich. Nur der Schock und die Ruhe in seiner Stimme gaben Grund zur Hoff­nung. Sein dicker Körper stemmte sich auch weiterhin gegen jede Bewegung. »Wer ist dieser Glaser, von dem Sie sprechen?« fragte er heiser, im gleichen benommenen Ton. »Ich bin nicht Glaser. Ich bin Diplomat. Grigoriew. Das Konto, von dem Sie sprechen, ist durchaus legal. Als Handelsattache habe ich Immunität. Ich habe auch das Recht, im Ausland Bankkonten zu unterhalten.«

Toby feuerte seinen zweiten und letzten Schuß ab. Das Geld und das Mädchen, hatte Smiley gesagt. Das Geld und das Mädchen sind Ihre einzigen Trümpfe, mehr haben Sie nicht auszuspielen. »Es geht auch noch um das delikate Problem Ihrer Ehe, Herr Botschaftsrat«, begann Toby aufs neue mit gespielter Verlegen­heit. »Ich muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre Eskapaden inner­halb der Botschaft unerfreuliche Auswirkungen auf Ihre Häus­lichkeit haben könnten.« Grigoriew setzte sich in Bewegung, und man hörte ihn murmeln Bankier — ob es ungläubig oder höhnisch gemeint war, wird man nie erfahren. Seine Augen schlossen sich, und er wiederholte das Wort, diesmal - laut Skordeno - klang es eindeutig obszön. Aber er setzte sich wieder in Bewegung. Die rückwärtige Tür des Wagens war geöffnet. Der zweite Wagen wartete dahinter. Toby plapperte irgendeinen Unsinn über die Hinterziehung von Steuern auf schweizerische Bankzinsen, aber er wußte, daß Grigoriew ihm nicht wirklich zuhörte. De Silsky schlüpfte an ihnen vorbei, sprang in den Fond des Wagens, und Skordeno warf Grigoriew direkt hinterher, dann setzte er sich neben ihn und schmetterte die Tür zu. Toby nahm den Beifahrersitz ein; eines der Meinertzhagen-Mädchen chauffierte. Toby ermahnte sie auf Deutsch, langsam zu fahren und um Gottes willen zu bedenken, was ein Berner Sonntag sei. Kein Englisch in seiner Hörweite, hatte Smiley gesagt.

Irgendwo in der Nähe des Bahnhofs mußte Grigoriew auf dumme Gedanken gekommen sein, denn es entstand ein kurzes Handgemenge, und als Toby in den Rückspiegel blickte, war Grigoriews Gesicht schmerzverzerrt, und er hielt beide Hände über die Leistengegend. Sie fuhren zur Länggass-Straße, einer öden Straße hinter der Universität. Die Tür des Miethauses öff­nete sich im selben Augenblick, als sie davor hielten. Auf der Schwelle stand eine magere Frau. Es war Millie McCraig, die Haushälterin und altgediente Circus-Kraft. Beim Anblick ihres Lächelns bäumte Grigoriew sich auf, und nun ging es nur noch um Tempo, nicht mehr um Tarnung. Skordeno sprang auf den Gehsteig, packte Grigoriews Arm und riß ihn fast aus dem Ge­lenk; de Silsky mußte einen weiteren Schlag gelandet haben, ob­gleich er später schwor, es sei ein unglücklicher Zufall gewesen, denn Grigoriew tauchte zusammengekrümmt aus dem Wagen, und sie trugen ihn zwischen sich über die Schwelle wie eine Braut und stolperten selbdritt geräuschvoll ins Wohnzimmer. Smiley saß in einer Ecke und erwartete sie. Im Zimmer herrschten brau­ner Chintz und Spitzendeckchen vor. Die Tür fiel zu, die Ent­führer leisteten sich eine kurze Siegerpause. Skordeno und de Silsky lachten vor Erleichterung laut auf. Toby nahm die Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ruhe«, sagte er leise. Sie gehorchten ihm sofort.

Grigoriew massierte sich die Schulter, der Schmerz schien ihn für alles andere unempfänglich zu machen. Smiley, der ihn genau beobachtete, schöpfte Trost aus dieser Selbstbezogenheit: Un­bewußt stellte Grigoriew sich mit diesem Schulterreiben in die Reihen der Verlierer. Smiley erinnerte sich an Kirow, an das Fiasko mit der Ostrakowa und an seine beflissene Anwerbung Otto Leipzigs. Er blickte Grigoriew an und las aus allem, was er sah, die gleiche unheilbare Mittelmäßigkeit: aus dem neuen, aber schlecht gewählten gestreiften Anzug, der die Beleibtheit des Trägers betonte; den teuren grauen Schuhen, perforiert, um luftdurchlässig, aber zu schmal, um bequem zu sein; dem ge­schniegelten gewellten  Haar.  Alle diese winzigen nutzlosen Werke der Eitelkeit meldeten Smiley einen Drang zur Größe, der, wie er wußte - und wie auch Grigoriew zu wissen schien -, niemals Erfüllung finden würde.

Ehemaliger Universitätsdozent, besagte das Schriftstück, das Enderby ihm bei Ben ausgehändigt hatte. Vertauschte offenbar die akademische Laufbahn gegen die Annehmlichkeiten des Di­plomatenstatus.

Ein Kneifer, hätte Ann gesagt, die seine Sexualität mit einem ein­zigen Blick erfaßt hätte. Heimschicken.

Aber Smiley konnte ihn nicht heimschicken. Grigoriew war ein angehakter Fisch, und Smiley mußte sich in Sekundenschnelle entscheiden, wie er ihn an Land ziehen sollte. Grigoriew trug eine randlose Brille und wurde um das Kinn herum zu fett. Sein Haaröl, von der erhöhten Körpertemperatur erwärmt, gab einen Zitronendunst ab. Er knetete noch immer seine Schulter, aber jetzt starrte er seine Entführer der Reihe nach an. Schweiß rann über sein Gesicht wie Regentropfen.

»Wo bin ich?« verlangte er wild von Toby zu wissen, den er für den Anführer hielt; Smiley ignorierte er vollständig. Seine Stimme war heiser und schrill. Er sprach deutsch, mit slavischen Kehllauten.