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Drei Jahre als Erster Sekretär (Handel), sowjetische Militärmis­sion in Potsdam, erinnerte sich Smiley. Kein Hinweis auf ge­heimdienstliche Verbindung.

»Ich verlange zu erfahren, wo ich bin!« schrie Grigoriew. »Ich bin höherer Sowjetdiplomat. Ich verlange, unverzüglich mit meinem Botschafter zu sprechen!«

Die unablässige Beschäftigung seiner Hand mit der lädierten Schulter nahm seiner Entrüstung die Schärfe.

»Man hat mich gekidnappt! Ich wurde gegen meinen Willen hierher gebracht! Wenn Sie mich nicht unverzüglich zu meinem Botschafter zurückkehren lassen, gibt es einen ernsten interna­tionalen Zwischenfall!«

Grigoriew hatte die Bühne für sich allein und vermochte sie nicht ganz auszufüllen. Nur George wird Fragen stellen, hatte Toby seinem Team eingeschärft. Nur George wird antworten. Doch Smiley saß so still da wie ein Bestattungsunternehmer; anschei­nend konnte nichts ihn aus der Ruhe bringen.

»Wollen Sie Lösegeld?« rief Grigoriew ihnen allen zu. Ein gräß­licher Gedanke schien ihm zu kommen. »Sind Sie Terroristen?« flüsterte er. »Aber wenn Sie Terroristen sind, warum verbinden Sie mir nicht die Augen? Warum lassen Sie mich Ihre Gesichter sehen?« Er glotzte zuerst de Silsky an, dann Skordeno. »Legen Sie Gesichtsmasken an. Gesichtsmasken! Ich will keinen von Ih­nen kennen!«

Gereizt durch das anhaltende Schweigen schlug Grigoriew die geballte Faust in die Handfläche und brüllte zweimaclass="underline" »Ich be­stehe darauf!« Woraufhin Smiley mit der Miene amtlichen Be­dauerns ein Notizbuch öffnete, das auf seinem Schoß lag, etwa so, wie es Kirow getan hätte, und einen leisen, sehr amtlichen Seufzer von sich gab. »Sie sind Botschaftsrat Grigoriew von der sowjetischen Botschaft in Bern?« fragte er mit denkbar gelang­weilter Stimme.

»Grigoriew! Ich bin Grigoriew! Ja, ausgezeichnet, ich bin Gri­goriew! Und wer sind Sie, bitte? Al Capone? Wer sind Sie? Warum fixieren Sie mich wie ein Kommissar?«

Kommissar war für die Beschreibung von Smileys Verhalten un­übertrefflich: Es war träge bis zur Gleichgültigkeit.

»Nun, Herr Botschaftsrat, wir haben keine Zeit zu verlieren, ich muß Sie daher bitten, sich die belastenden Fotos auf dem Tisch hinter Ihnen genau anzusehen«, sagte Smiley mit der gleichen wohlberechneten Trägheit.

»Fotos? Was für Fotos? Wie können Sie einen Diplomaten bela­sten? Ich verlange, unverzüglich mit meinem Botschafter zu tele­fonieren!«

»Ich würde dem Herrn Botschaftsrat empfehlen, zuerst die Fo­tos anzusehen«, sagte Smiley in mürrischem, keinem Bundes­land zugehörigen Deutsch. »Nach Kenntnisnahme steht es dem Herrn Botschaftsrat frei, anzurufen, wen immer er möchte. Bitte links zu beginnen«, schlug er vor. »Die Fotos sind von links nach rechts angeordnet.«

Ein Mensch, der erpreßt wird, hat die Würde aller unserer Schwächen, dachte Smiley, als er verstohlen beobachtete, wie Grigoriew am Tisch entlangschlurfte, als träfe er die Auslese an einem der zahllosen diplomatischen Büffets. Ein Mensch, der erpreßt wird, ist unser aller Ebenbild, geschnappt im letzten Moment, wenn wir versuchen, der Falle zu entrinnen. Smiley hatte die Anordnung der Bilder persönlich besorgt; er hatte sich dabei die orchestrierte Abfolge von Katastrophen aus Grigo­riews Sicht vorgestellt. Die Grigoriews parken ihren Mercedes vor der Bank. Die Grigoriewa wartet mit ihrem chronisch ver­biesterten Gesichtsausdruck allein auf dem Fahrersitz und um­klammert das Steuer, für den Fall, daß jemand versuchen sollte, es ihr wegzunehmen. Grigoriew und die kleine Natascha auf ei­nem Tele-Foto, dicht an dicht auf einer Bank sitzend. Grigoriew im Bankgebäude, mehrere Aufnahmen, als Gipfelpunkt ein prachtvoller Schnappschuß über die Schulter Grigoriews, der eine Auszahlungsquittung unterschreibt, mit dem vollen Namen Adolf Glaser klar leserlich in Maschinenschrift über seinem Na­menszug. Dann Grigoriew, sichtlich ungelenk auf einem Fahr­rad, wie er in die Auffahrt zum Sanatorium einschwenkt; dann wiederum die Grigoriewa, verdrossen im Wagen hockend, diesmal neben Gertschens Scheune, auf dem Wagendach ihr Fahrrad verzurrt. Aber das Foto, das Grigoriew am längsten fes­selte, war, wie Smiley feststellte, die Tele-Aufnahme, die den Meinertzhagen-Mädchen gelungen war. Die Qualität war nicht besonders, aber die beiden Köpfe im Wagen konnte man deut­lich erkennen, auch wenn sie Mund an Mund zusammengewach­sen schienen. Einer gehörte Grigoriew. Der andere, der mit menschenfresserischer Gier über ihn herfiel, gehörte der kleinen Natascha.

»Das Telefon steht zu Ihrer Verfügung, Herr Botschaftsrat«, ließ Smiley sich ruhig vernehmen, als Grigoriew sich noch im­mer nicht regte.

Doch Grigoriew war über diesem letzten Foto erstarrt, und seine Miene drückte äußerste Verzweiflung aus. Er war nicht nur ein ertappter Mann, dachte Smiley; er war ein Mann, dessen schön­ster und bisher in den Schleier des Geheimnisses gehüllter Lie­bestraum plötzlich an die Öffentlichkeit gezerrt und zum Ge­spött geworden war.

Wiederum im gleichen lustlosen Ton amtlicher Notwendigkeit begann Smiley nun mit dem, was Karla als die Pressionsphase bezeichnet hätte. Andere Inquisitoren, sagt Toby, hätten Grigo­riew eine Wahl geboten und dadurch unweigerlich den Wider­stand des Russen und den russischen Hang zur Selbstzerstörung wachgerufen: eben jene Impulse, sagt er, die eine Katastrophe hätten heraufbeschwören können. Andere Inquisitoren, be­hauptet er, hätten gedroht, gebrüllt, wären schließlich pathetisch und vielleicht sogar gewalttätig geworden. Nicht so George, sagt er: niemals. George hielt bis zuletzt den gleichmütigen Erfül­lungsgehilfen durch: Grigoriew, wie alle Grigoriews dieser Welt, nahm ihn als sein unabwendbares Geschick an. George schloß jede Wahl kategorisch aus. George machte Grigoriew klar, warum er keine Wahl haben könne: Das Wichtigste, Herr Botschaftsrat - sagte Smiley, als erläuterte er eine Steuerforde­rung-, sei zu bedenken, welche Wirkung diese Fotos dort auslö­sen könnten, wo sie sehr bald unter die Lupe genommen wür­den, wenn man nichts unternähme, um ihre Weiterleitung zu verhindern. Da seien erstens einmal die Schweizer Behörden, sagte Smiley, die verständlicherweise über den Mißbrauch eines schweizerischen Passes durch einen akkreditierten Diplomaten ungehalten sein würden, ganz zu schweigen von dem schweren Verstoß gegen die Bankgesetze. Energischer offizieller Protest müßte die Folge sein, und die Grigoriews würden über Nacht nach Moskau zurückgeschickt, alle zusammen, um nie wieder die Früchte eines Auslandsposten zu genießen. Aber auch da­heim in Moskau würde man Grigoriew kaum mit offenen Armen empfangen, erklärte Smiley. Seine Vorgesetzten im Außenmini­sterium brächten wohl wenig Verständnis auf für sein Verhalten, »sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich«; von einer wei­teren Verwendung im Staatsdienst könne keine Rede sein. Er würde als Verbannter im eigenen Land leben müssen, sagte Smi­ley, und seine Familie mit ihm. Seine ganze Familie. »Stellen Sie sich vor, daß Sie vierundzwanzig Stunden am Tag Madame Gri­goriewas Grimm im hintersten Sibirien über sich ergehen lassen müßten«, war der Sinn seiner Rede.

Woraufhin  Grigoriew  auf einen  Stuhl  plumpste und  beide Hände über dem Kopf zusammenschlug, als fürchte er, der Schädel könne ihm platzen.

»Und schließlich«, sagte Smiley und blickte, wenn auch nur ganz kurz, von seinem Notizbuch auf - und was er darin las, sagte Toby, weiß Gott allein, die Seiten waren liniert, aber im übrigen völlig leer -, »schließlich, Herr Botschaftsrat, gilt es noch, die Reaktion gewisser staatlicher Sicherheitsorgane auf diese Fotos zu bedenken.«

Und nun ließ Grigoriew seinen Kopf los, zog das Taschentuch aus der Brusttasche und begann, sich die Stirn zu wischen, doch so heftig er auch wischte, der Schweiß trat immer wieder von neuem hervor. Er rann so unaufhaltsam, wie Smileys Schweiß damals im Verhörraum in Delhi, als er Karla Auge in Auge ge­genübergesessen hatte.