Выбрать главу

VORWORT

Du kommst nach Muscat? Bring Muskatnüsse mit!“ -„Klar, mach ich.“ Mit diesem leichtfertigen Versprechen im Gepäck flog ich 2006 ins Sultanat Oman. Und suchte dann bei 45 Grad Hitze vergeblich nach Gewürznüssen. Wie in Bologna, dachte ich mir, da waren die Spaghetti Bolognese auch gut versteckt. Oder wie damals in Cadbury Castle, wo es weder Cadbury’s noch sonst irgendwelche Schokolade gab. Da stand ich also leise köchelnd in Muscat auf der Straße, hatte noch kein Mitbringsel, aber eine Idee: Ich sollte ein Buch schreiben über all die Dinge, die nach Orten benannt sind - und die es dann vor Ort gar nicht gibt.

Die Liste der Dinge wuchs überraschend schnell. Schon auf dem Rückflug von Arabien fielen mir das Leipziger Allerlei und die Königsberger Klopse ein, und viele Freunde und Kollegen erzählten mir ihre eigenen „Sorry, das haben wir nicht“-Erlebnisse. Malaga-Eis am Strand von Malaga? Hat Seltenheitswert. In Fraßhausen gibt es angeblich kein Gasthaus. In Afrika trinkt man nicht den ganzen Tag Afri Kola. Wer vor Ort danach verlangt, wird „Sorry, haben wir nicht“ zur Antwort bekommen und eine kleine Enttäuschung im Erinnerungsgepäck mitnehmen. Die ist immerhin groß genug sich an diesen kleinen Moment zu erinnern, an dem man festgestellt hat, dass es die Welt herzlich wenig interessiert, wenn man sie aus deutscher Perspektive betrachtet, oder Berlin mit süddeutschen Augen.

Nicht einmal alle dieser „Haben wir nicht“-Produkte sind echte Mogelpackungen. Oft sind es einfach Industriemarken, die sich mit Ortsnamen schmücken und damit Flair verbreiten wollen, gerne genommen bei Autos und alkoholischen Getränken. Oft sind es ganz einfach Übersetzungsfehler, etwa bei der Lyoner Wurst, die in Lyon Cervelas heißt, während die Saucisson de Lyon dort eine Salami ist. Noch viel öfter sind es simple regionale Bezeichnungen wie bei der serbischen Bohnensuppe, die es im ganzen Balkan gibt und die seit dem Krieg in kroatischen Lokalen und bei deutschen DosensuppenHerstellern eben nicht mehr serbische Bohnensuppe, sondern Balkantopf heißt. Über die Lyoner Wurst und die Serbische Bohnensuppe gibt es daher hier auch nichts mehr zu lesen. An die sechzig solcher Dinge hatte ich am Ende auf meiner Liste.

Einige Fälle sind jedoch besonders, und ihre Geschichten erzähle ich hier. Da findet man historische Irrtümer, die bis in die Antike zurück reichen. Da treten Jahrhunderte alte Eitelkeiten zu Tage, unglaubliche Verschrobenheiten und tief auf dem Grund der jeweiligen Volksseele sitzende Sehnsüchte. Wie ich das herausgefunden habe? Ich habe in meinen alten Reisetagebüchern geblättert und bin vielen Tipps nachgegangen, habe mit Bekannten aus aller Welt gemailt, gechattet, gesprochen. Vor allem aber bin ich immer gereist, statt nur Urlaub zu machen, in bisher vierzig Länder auf vier Kontinenten. Daher ist dies auch kein Buch über Dinge geworden, sondern ein Buch über Orte. Ein Buch über Begegnungen und Überraschungen, über das Kopfschütteln und das Staunen. Über das Reisen eben. Beim Lesen fällt hoffentlich jedem eine eigene Geschichte ein, die er unterwegs erlebt hat und die er seitdem gerne im Freundeskreis erzählt. Hat jemand vielleicht in Argentinien vergeblich nach einem Lokal gesucht, in dem man Tango Argentino tanzen kann? Am Aralsee keine Aral-Tankstelle gefunden? Von der Elfenbeinküste hoffentlich keine Elfenbeinschnitzerei mitgebracht? Ich habe in Muscat meine Nuss dann doch noch gefunden, und hatte nicht nur ein Mitbringsel, sondern auch eine Erfahrung mehr in der Tasche. Mit der Geschichte aus dem Oman beginnt daher auch die Weltreise zu den Orten, an denen es allerlei gibt, aber nicht das Ding, das man erwartet hätte.

MUSKATNÜSSE

Marktkaufleute, Gewürzhändler und eine Krämerseele

Muskatnüsse? Sorry, die haben wir nicht.“ Ein Händler nach dem anderen lässt mich abblitzen, als ich durch den Souq, den traditionellen Markt, von Muttrah bummle. Pashminaschals und singende Kamele stehen dort in Reih und Glied, rosa Moschee-Wecker für einen Dollar und grob geschnitzte Buchstützen. Ich stöbere in einem Silberschmuckladen. Unter den hölzernen Dächern des Marktes ist das Licht gedämpft, die kleinen Läden quellen über vor Ware. „Sehen Sie, diese wunderschöne Kette“, säuselt der pakistanische Verkäufer, „echt antik! Über 200 Jahre alt“. Es hängt eine Münze mit einem Stempel aus dem Jahr 1952 daran, aber Märchen gehören im Orient zum Geschäft. Alles ist schön, wenn man es so sehen möchte, und der Zauber des Souqs liegt in der Kunst des Verkaufens, des Handelns und des Stöberns nach Schnäppchen. Ein mit Handschlag besiegeltes Geschäft ist perfekt, wenn Händler und Verkäufer gleichermaßen zufrieden sind. Ich wähle eine traditionelle schachtelförmige Kette, die aber mit kleinen vergoldeten Kirschen verziert ist. „Scheußlich“, wird später ein arabischer Bekannter sagen. Mir gefällt sie.

Das „ursprüngliche, unverfälschte Arabien“ versprechen die Touristenkataloge den Reisenden, die sich an die Südspitze der arabischen Halbinsel in das Sultanat Oman wagen. Luxus und Lokalkolorit am indischen Ozean. Das Öl und die kluge Investitionspolitik des Herrschers Sultan Qabus haben dem Land einen sanften Aufschwung beschert, der die Bürger zufrieden und weltoffen genug macht, um wohlsituierte Europäer unbehelligt reisen lassen zu können. Der Größenwahn der Boomtowns am Persischen Golf ist im Oman dagegen nicht ausgebrochen, denn dafür gibt es zu wenig Öl.

Wo könnte Arabien echter sein als im Souq, dem Markt, wo der Geist der alten Handels- und Seefahrerkulturen lebendig ist, und wo die alten Schlitzohren endlich feilschen können, bis die Sonne untergeht? Im Oman erfüllt ein solcher Souq, im Küstenort Muttrah gelegen, das Klischee besonders schön. Muttrah gehört de facto als Ortsteil zu Muscat, der Hauptstadt des Oman. Da muss es doch Muskatnüsse geben. Sagten zumindest alle Freunde vor meiner Abreise, damit ein Souvenir in Auftrag gebend. Du fährst nach Muscat? Bring eine Muskatnuss mit!

Auf dem Lebensmittelmarkt am Hafen dreht sich der Handel heute vor allem um Fisch. Kleine Holzboote haben direkt am Markt angelegt, neben der Landestelle liegt auf geflochtenen Matten der Fang des Morgens: Glänzende Thunfische, kleine Haie, feiste Kraken und haufenweise der handgroße Hammour, der lokale Lieblingsfisch. Und allerlei Fische in den Technicolor-Farben des indischen Ozeans. Die Händler sehen, dass ich nicht kaufen, sondern nur fotografieren will, bleiben versteinert auf ihren Holzhockern sitzen. Der Markt ist modern, die Verkaufsmatten liegen nicht auf dem Boden, sondern auf Betonsockeln, ein ordentliches Dach schützt vor der stechenden Sonne, und vorne, wo die Fische ausgenommen werden, gibt es fließendes Wasser, Kacheln und praktische Rinnen, in denen das Gekröse Richtung Meer schwimmt, wo schon die Möwen lauern. Das ist auf anderen Fischmärkten der Region nicht so, weshalb man sie schon lange bevor man sie sieht, riechen kann.

In der Halle daneben liegen die Beilagen bereit: frische Tomaten, Gurken, Okras, getrocknete Limetten. Über manchem Händlertisch hängen getrocknete Haifischflossen - „In Wasser gekocht in drei Minuten fertig“, sagt der Verkäufer, „mit Curry essen!“. Ein alter Mann bietet einen grünen Kaktus an, der aus fingerdicken, eckigen Strängen besteht, er bricht mir ein Stück ab, „für den Magen ist das, Madame, gut für den Magen!“ Es hat die Konsistenz von Radiergummi und schmeckt wie ein Kräuterbitter-Konzentrat. Muskatnüsse? Kennt hier keiner. Ob ich nicht vielleicht Pistazien wolle?

Vom Lebensmittelmarkt führt eine Promenade zurück zum Handwerker-Souq. Die Häuser ganz vorne am Wasser sind schneeweiß getüncht, die Holzbalkone herausgeputzt, sie sind Zeugen einer Zeit, als Muttrah tatsächlich der große Handelsumschlagplatz der Region war, als dort die Gewürzschiffe aus Indien anlegten, die Tabaklieferungen aus Sumatra, die Kaffee-Fähren aus Afrika, und die arabischen Dhows, die Holzschiffe, die den persischen Golf hinauf und hinunter segelten. Bestimmt, so träumt die sehnsüchtige Seele des europäischen Krämers, kamen hier von weit entfernten, nahezu geheimen Gewürzinseln die Muskatnüsse an, wurden auf Kamelrücken umgeladen und weit, weit transportiert, so weit, dass niemand mehr wusste, wie ihr ursprünglicher Name lautete, und man sie schließlich nach dem Hafen benannte, in dem man sie auf die Reise nach Europa geschickte hatte: Muscat.