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Ich zuckte mit den Achseln. »Nimm dir noch eine Woche frei. Flieg mit mir zurück.«

»Du hast gesagt, er hätte zu tun.«

»Sobald die Raketen gestartet sind, heißt es nur noch: abwarten und Tee trinken. Du kannst mit uns nach Canaveral kommen. Zusehen, wie Geschichte gemacht wird.«

»Diese Raketenstarts sind nutzlos«, erklärte sie, aber es klang wie etwas Angelerntes. »Ich würde schon gern, ich kann es mir nur nicht leisten. Simon und ich kommen zurecht, aber wir sind nicht reich. Wir sind keine Lawtons.«

»Ich spendier dir das Flugticket.«

»Du bist ein freigiebiger Betrunkener.«

»Ich mein es ernst.«

»Danke, aber nein. Das kann ich nicht annehmen.«

»Überleg es dir in Ruhe.«

»Frag mich noch mal, wenn du nüchtern bist.« Und dann, als wir die Stufen zur Veranda hinaufstiegen und das gelbe Licht auf ihre Augen fiel, sagte sie: »Ganz gleich, was ich einmal geglaubt haben mag — und ganz gleich, was ich vielleicht zu Jason gesagt habe…«

»Du brauchst das nicht zu sagen, Diane.«

»Ich weiß, dass E. D. nicht dein Vater ist.«

Was ich allerdings interessant fand an diesem Widerruf, war die Art, wie sie ihn vorbrachte. Fest und entschieden. Als wisse sie es inzwischen besser. Als habe sie eine andere Wahrheit entdeckt, einen alternativen Schlüssel zu den Geheimnissen der Lawtons.

Diane ging ins Große Haus zurück. Ich beschloss, dass ich weitere Sympathiebekundungen nicht ertragen könne, und verzog mich ins Haus meiner Mutter, das überheizt und stickig wirkte.

Am nächsten Tag sagte Carol, dass ich mir ruhig Zeit damit lassen könne, die Sachen meiner Mutter auszuräumen, »etwas zu arrangieren«, wie sie sich ausdrückte. Mit dem Kleinen Haus würde nichts passieren, sagte sie. Warte einen Monat. Ein Jahr. Ich könne »etwas arrangieren«, sobald ich Zeit dazu hätte und es keine seelische Belastung für mich darstellte.

Dass die seelische Belastung verschwinden würde, hielt ich für unwahrscheinlich; trotzdem bedankte ich mich für ihre Geduld und verbrachte den Tag damit, für den Rückflug nach Orlando zu packen. Mir machte die Vorstellung zu schaffen, dass ich etwas, das meiner Mutter gehört hatte, mitnehmen sollte; dass sie sich gewünscht hätte, ich würde ein Andenken an sie behalten und es meinerseits in einem Schuhkarton aufbewahren. Aber was? Eine ihrer Hummelfiguren, die sie geliebt hatte, die aber in meinen Augen nur teurer Kitsch waren? Den Kreuzstich-Schmetterling an der Wohnzimmerwand, den »Wasserlilien«-Druck im selbstgebastelten Rahmen?

Während ich noch mit mir zu Rate ging, tauchte Diane in der Tür auf. »Steht das Angebot noch? Der Flug nach Florida? War das dein Ernst?«

»Selbstverständlich.«

»Ich hab nämlich mit Simon gesprochen. Er ist zwar nicht übermäßig begeistert von dem Plan, aber er meint, er würde schon noch ein paar Tage allein zurechtkommen.«

Wie rücksichtsvoll von ihm, dachte ich.

»Also, es sei denn… ich meine, du hattest einiges getrunken…«

»Sei nicht albern. Ich ruf die Fluggesellschaft an.«

Ich buchte einen Platz auf Dianes Namen für den ersten Flug am nächsten Tag.

Dann packte ich zu Ende. Was die Besitztümer meiner Mutter betraf, so entschied ich mich schließlich für die beiden leicht angestoßenen Jadebuddha-Buchstützen.

Ich suchte im ganzen Haus, sah sogar unter den Betten nach, aber der fehlende Karton ANDENKEN (AUSBILDUNG) schien auf Dauer verschwunden zu sein.

Schnappschüsse der Ökopoiesis

Jason schlug vor, wir sollten uns Zimmer in Cocoa Beach nehmen und dort auf ihn warten, er werde dann am nächsten Tag zu uns stoßen. Er musste noch eine letzte Fragerunde mit den Medien bestreiten, hatte sich aber die Zeit vor den Starts freigehalten, weil er diese erleben wollte, ohne von einer CNN-Crew mit dümmlichen Fragen gelöchert zu werden.

»Toll«, sagte Diane, als ich diese Information an sie weitergab. »Dann kann ich ja all die dümmlichen Fragen selbst stellen.«

Es war mir gelungen, sie in Hinsicht auf Jasons Gesundheitszustand zu beruhigen: nein, er werde nicht sterben, und sofern es irgendwelche Signallichter in seiner Krankenakte gebe, sei das ganz allein seine Angelegenheit. Sie akzeptierte das, oder schien es jedenfalls zu akzeptieren, wollte ihn aber trotzdem sehen, und sei es nur, um sich Gewissheit zu verschaffen — als habe der Tod meiner Mutter ihren Glauben an die Fixsterne des Lawton-Universums nachhaltig erschüttert.

Also nutzte ich meinen Perihelion-Ausweis und meinen Kontakt zu Jase, um uns zwei benachbarte Suiten in einem Holiday Inn mit Ausblick auf Canaveral zu mieten. Nicht lange, nachdem das Mars-Projekt ersonnen und die Einwände der Umweltschutzbeauftragten gehört und ignoriert worden waren, hatte man ein Dutzend Flachwasser-Abschussrampen errichtet und vor der Küste von Merritt Island verankert. Es waren diese Bauwerke, die wir von unserem Hotel aus besonders gut sehen konnten. Ansonsten bestand die Aussicht aus Parkplätzen, Winterstränden, blauem Wasser.

Wir standen auf dem Balkon ihrer Suite. Sie hatte geduscht und sich umgezogen, und wir wollten jetzt nach unten gehen, um uns den Herausforderungen des Hotelrestaurants zu stellen. Auf allen anderen Baikonen, soweit wir sie sehen konnten, drängten sich die Kameras und Fotoobjektive — das Holiday Inn war ein ausgewiesenes Pressehotel (Simon mochte den säkularen Medien misstrauen, aber Diane war plötzlich mittendrin statt nur dabei). Wir konnten die untergehende Sonne nicht sehen, doch fiel ihr Licht auf die fernen Startrampen und Raketen, was diese eher ätherisch als real erscheinen ließ, wie eine Schwadron von Riesenrobotern, die zu irgendeiner Schlacht im Mittelatlantischen Graben abmarschierten. Diane trat einen Schritt von der Brüstung zurück, als würde sie der Anblick erschrecken. »Warum sind es denn bloß so viele?«

»Ökopoiesis mit der Schrotflinte«, erwiderte ich.

Sie lachte, es klang ein bisschen vorwurfsvoll. »Ist das ein Ausdruck von Jason?«

War es nicht, jedenfalls nicht ganz. »Ecopoiesis« war ein Ausdruck, der von einem gewissen Robert Haynes im Jahre 1990 geprägt wurde, zu einer Zeit, als Terraformung noch eine rein spekulative Wissenschaft war. Gemeint war streng genommen die Schaffung einer sich selbst regulierenden anaerobischen Biosphäre, wo vorher keine existiert hatte, doch der moderne Sprachgebrauch bezeichnete damit jede rein biologische Einwirkung auf den Mars. Zur Begrünung des Mars waren zwei Varianten des planetarischen Bauens erforderlich: grobe Terraformung, um die Oberflächentemperatur und den atmosphärischen Druck zu erhöhen, bis annehmbare Lebensbedingungen entstanden; und Ökopoiesis, die Verwendung von mikrobischem und pflanzlichem Leben, um den Boden aufzubereiten und die Luft mit Sauerstoff anzureichern.

Die schwere Arbeit hatte der Spin schon für uns erledigt: Sämtliche Planeten des Sonnensystems — mit Ausnahme der Erde — waren durch die Ausdehnung der Sonne beträchtlich erwärmt worden. Was zu tun blieb, war die Feinarbeit — Ökopoiesis. Freilich gab es eine Vielzahl möglicher Wege dahin, viele Kandidaten unter den einzusetzenden Organismen, von felsenbewohnenden Bakterien bis hin zu Hochgebirgsmoosen.

»Schrotflinte also deshalb«, spekulierte Diane, »weil ihr sie alle losschickt.«

»So viele, wie’s irgend geht, weil es bei keinem der Organismen eine Garantie gibt, dass er sich anpasst und überlebt. Einer aber schafft es womöglich.«

»Vielleicht mehr als einer.«

»Nichts gegen einzuwenden. Wir wollen ja ein Ökosystem, keine Monokultur.« Tatsächlich waren die Abschüsse zeitlich gestaffelt. Die erste Welle sollte nur anaerobe und photoautotrophe Organismen transportieren, simple Lebensformen, die keinen Sauerstoff benötigten und Energie aus Sonnenlicht gewannen. Sofern sie in ausreichend großer Anzahl gediehen und starben, würden sie eine Schicht von Biomasse schaffen, die komplexere Ökosysteme nähren konnte. Die nächste Welle, ein Jahr darauf, würde oxigenierende Organismen ins Spiel bringen, und mit den letzten unbemannten Abschüssen sollten primitive Pflanzen anreisen, um den Boden zu präparieren und Verdunstungs- und Niederschlagszyklen zu regulieren.