»Es kommt mir alles so unwahrscheinlich vor.«
»Na ja, wir leben auch in unwahrscheinlichen Zeiten. Aber du hast schon Recht, es gibt keine Garantie, dass es funktionieren wird.«
»Und wenn nicht?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Was hätten wir verloren?«
»Viel Geld. Viel Arbeitskraft.«
»Ich kann mir keine bessere Verwendung dafür vorstellen. Ja, es ist ein Vabanquespiel, alles andere als eine sichere Sache, aber der potenzielle Gewinn lohnt das Risiko in jedem Fall. Und es bringt allgemeinen Nutzen, bisher jedenfalls. Gut für die Moral zu Hause und eine günstige Gelegenheit, die internationale Zusammenarbeit zu fördern.«
»Aber ihr habt Leute in die Irre geführt. Ihr habt ihnen vorgegaukelt, dass der Spin etwas ist, das wir managen, das wir technisch in den Griff kriegen können.«
»Hoffnungen geweckt, meinst du.«
»Die falsche Sorte Hoffnung. Und wenn ihr scheitert, bleibt ihnen überhaupt keine Hoffnung mehr.«
»Was sollen wir denn deiner Ansicht nach tun, Diane? Uns auf unsere Gebetsteppiche zurückziehen?«
»Es würde sicherlich nicht bedeuten, dass man seine Niederlage eingesteht — das Beten, meine ich. Und wenn ihr erfolgreich seid, ist der nächste Schritt, Menschen loszuschicken?«
»Ja, wenn wir den Planeten begrünen können, schicken wir Menschen.« Ein viel schwierigeres, ethisch komplexes Vorhaben. Wir würden die Kandidaten in Zehnergruppen auf den Weg bringen. Sie würden eine unvorhersehbar lange Reise in engster Umgebung mit begrenzten Vorräten ertragen müssen. Sie würden ein atmosphärisches Abbremsen von nahezu tödlichem Delta v nach Monaten der Schwerelosigkeit zu erleiden haben, gefolgt von einem gefährlichen Abstieg zur Planetenoberfläche. Falls all das funktionierte und falls ihre karg bemessene Überlebensausrüstung den parallelen Abstieg schaffte und halbwegs in ihrer Nähe landete, würden sie als Nächstes Techniken und Fähigkeiten entwickeln müssen, um in einer Umgebung zu überdauern, die für eine menschliche Besiedlung nicht annähernd geeignet war. Ihre Mission bestand nicht darin, zur Erde zurückzukehren, sondern lange genug zu leben, um sich in ausreichender Zahl zu vermehren und ihren Nachkommen tragfähige Existenzbedingungen zu hinterlassen.
»Welcher zurechnungsfähige Mensch würde sich darauf einlassen?«
»Du würdest dich wundern.« Ich konnte zwar nicht für die Chinesen, die Russen oder irgendwelche anderen internationalen Freiwilligen sprechen, aber die nordamerikanischen Expeditionskandidaten waren ganz gewöhnliche, ja geradezu schockierend normale Männer und Frauen. Sie waren ausgewählt worden auf Grund ihrer Jugend, ihrer körperlichen Robustheit und ihrer Fähigkeit, Unannehmlichkeiten auch über längere Zeit zu ertragen. Nur wenige von ihnen waren Testpiloten bei der Airforce gewesen, aber alle besaßen das, was Jason als die »Testpilotenmentalität« bezeichnete, nämlich die Bereitschaft, ein gravierendes Risiko für Leib und Leben einzugehen, um etwas Spektakuläres zu erreichen. Und natürlich waren die meisten von ihnen dem Tode geweiht, ebenso wie die Mehrzahl der Bakterien, die wir nach oben schicken würden. Das Äußerste, was wir hoffen durften, war, dass eine Gruppe Überlebender, die durch die hoffentlich bemoosten Schluchten der Valles Marineris wanderte, auf eine ähnliche Gruppe von Russen oder Dänen oder Kanadiern treffen und eine lebensfähige marsianische Menschheit auf den Weg bringen würde.
»Und das kannst du alles gutheißen?«
»Mich hat niemand nach meiner Meinung gefragt. Aber ich wünsche ihnen alles Gute.«
Diane warf mir einen Das-reicht-nicht-Blick zu, entschied sich aber, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinunter ins Foyer-Restaurant. Schon als wir uns hinter einem Dutzend von Fernsehtechnikern anstellten, um einen Tisch zugewiesen zu bekommen, muss sie die wachsende Erregung gespürt haben, und nachdem wir bestellt hatten, wandte sie den Kopf, lauschte nach Bruchstücken der Unterhaltungen ringsum — Wörter wie »Photodissoziation«, »kryptoendolithisch« und, ja, auch »Ökopoiesis« wehten von den Tischen der gedrängt sitzenden Journalisten herüber, die sich schon mal in den Jargon für den nächsten Tag einübten oder sich einfach zu verstehen mühten, wovon die Rede war. Dies war das erste Mal seit der Mondlandung vor über sechzig Jahren, dass die Aufmerksamkeit der Welt sich so ausschließlich auf ein Raumfahrtabenteuer konzentrierte, und der Spin verlieh dieser Zweitauflage etwas, das der Mondlandung gefehlt hatte: echte Dringlichkeit, ein globales Bewusstsein für das Risiko.
»Das alles ist Jasons Werk, nicht wahr?«
»Schon möglich, dass es auch ohne Jason und E. D. passieren würde. Aber es würde ganz anders vor sich gehen, vermutlich lange nicht so schnell und so effizient. Jase war von Anfang an im Zentrum des Geschehens.«
»Und wir an der Peripherie. Kreisen immerzu um das Genie herum. Ich verrate dir ein Geheimnis: Ich hab ein bisschen Angst vor ihm. Ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Ich weiß, dass er mich ablehnt.«
»Nicht dich. Deinen Lebensstil vielleicht.«
»Du meinst meinen Glauben. Es ist okay, darüber zu reden. Ich weiß, dass Jase sich ein bisschen… ja, betrogen fühlt. Aber zu Unrecht. Jason und ich sind nie demselben Weg gefolgt.«
»Im Grunde, weißt du, ist er immer noch einfach Jase. Der gute alte Jase.«
»Aber bin ich auch noch die gute alte Diane?«
Worauf ich nichts zu erwidern wusste.
Sie aß mit großem Appetit, und nach dem Hauptgericht bestellten wir noch Nachtisch und Kaffee. Ich sagte: »Was für ein Glück, dass du dir hierfür Zeit nehmen konntest.«
»Ein Glück, dass Simon mich von der Leine gelassen hat?«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Ich weiß. Aber in gewisser Weise ist es so. Simon hat mitunter einen Hang zum Kontrollieren. Er weiß gern, wo ich bin.«
»Ist das ein Problem für dich?«
»Du meinst, ist meine Ehe in Schwierigkeiten? Nein, ist sie nicht, und das würde ich auch nicht zulassen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht hin und wieder verschiedener Meinung wären.« Sie zögerte. »Wenn ich darüber rede, erzähl ich es dir, okay? Nicht Jason. Nur dir.«
Ich nickte.
»Simon hat sich ein bisschen verändert, seit du ihm begegnet bist. Haben wir alle, alle, die in den alten NK-Tagen dabei waren. Bei NK ging es darum, jung zu sein und eine Gemeinschaft des Glaubens zu errichten, so etwas wie einen heiligen Raum, wo wir keine Angst voreinander haben mussten, wo wir einander umarmen konnten, nicht nur im bildlichen Sinne, sondern tatsächlich. Der Garten Eden auf Erden. Aber wir hatten uns etwas vorgemacht. Wir dachten, AIDS würde keine Rolle spielen, Eifersucht würde keine Rolle spielen — konnten sie ja gar nicht, weil wir das Ende der Welt erreicht hatten. Aber die Trübsalzeit ist lang, Ty. Die Trübsal ist Arbeit für ein ganzes Leben, und dafür müssen wir gesund und stark sein.«
»Du und Simon…«
»Oh, wir sind gesund.« Sie lächelte. »Danke der Nachfrage, Dr. Dupree. Aber wir haben Freunde an AIDS und an Drogen verloren. Die Bewegung war eine Achterbahnfahrt, Liebe auf dem Weg nach oben und Trauer auf dem Weg nach unten. Das wird dir jeder sagen, der dabei war.«
Gut möglich, aber Diane war die einzige NK-Veteranin, die ich kannte. »Die letzten Jahre waren für niemanden leicht.«
»Simon hat sich schwer getan, damit fertig zu werden. Er glaubte wirklich, wir wären eine gesegnete Generation. Einmal hat er mir erzählt, dass Gott sich der Menschheit so weit genähert habe, dass es einem vorkomme, als würde man in einer Winternacht neben einem Ofen sitzen und könne sich praktisch die Hände am Königreich des Himmels wärmen. Wir haben alle so empfunden, aber bei Simon hat es wirklich das Beste in ihm hervorgebracht. Und als dann alles zerfiel, als so viele von unseren Freunden krank wurden oder in diese oder jene Abhängigkeit abdrifteten, da hat ihn das ziemlich tief getroffen. Das war auch die Zeit, als das Geld allmählich knapp wurde und Simon sich eine Arbeit suchen musste — wir beide mussten das. Ich hab ein paar Jahre lang aushilfsweise gearbeitet. Simon konnte keinen säkularen Job finden — er ist jetzt Hausmeister in unserer Kirche in Tempe, Jordan Tabernacle heißt sie, und sie bezahlen ihn, wenn sie können… Er lernt gerade für sein Installateurszeugnis.«