Verblüffend, dachte ich, wie geschäftig wir uns in Menschen verwandelt hatten, die einander nicht besonders gut kannten.
Es gab weitere Raketenstarts im Frühling und Sommer jenen Jahres, mit Beobachtungsgeräten im Gepäck, die Monate in einer hohen Erdumlaufbahn verbrachten und mit visuellen und spektralen Bildern vom Mars zurückkehrten — Schnappschüsse der Ökopoiesis.
Die ersten Ergebnisse waren nicht eindeutig: ein moderater Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehalts, was aber auch ein Nebeneffekt der Sonnenerwärmung sein konnte. Der Mars blieb, wenn man auch nur halbwegs plausible Maßstäbe anlegte, eine kalte, unwirtliche Welt. Jason räumte ein, dass sich die GEMOs — die genetisch veränderten Marsorganismen, die den Löwenanteil der ersten Saatgutfracht gestellt hatten — womöglich nicht gut an die tagsüber herrschende UV-Strahlung und den an oxydierenden Agenzien reichen Regolith des Planeten angepasst hätten.
Aber im Hochsommer sahen wir dann starke spektrographische Hinweise auf biologische Aktivität. Da war mehr Wasserdampf in einer dichteren Atmosphäre, mehr Methan, Äthan und Ozon, sogar ein winziger, aber nachweisbarer Zuwachs an freiem Stickstoff.
Bis Weihnachten waren diese, wenn auch noch immer subtilen, Veränderungen so dramatisch über das Niveau dessen hinausgewachsen, was der solaren Erwärmung hätte zugeschrieben werden können, dass kein Zweifel mehr bestehen konnte: Der Mars war ein lebendiger Planet geworden.
Die Startrampen wurden erneut bereitgemacht, neue Frachten mikrobischen Lebens waren gezüchtet und verpackt. Volle zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts der USA fielen in diesem Jahr auf spinbezogene Raumfahrtprogramme — in anderen Industrieländern war der Anteil ähnlich hoch.
Im Februar erlitt Jason einen Rückfall. Als er aufwachte, konnte er nicht mehr beide Augen gleichzeitig fokussieren. Sein Neurologe veränderte die Medikation und verordnete ihm vorübergehend eine Augenklappe. Jason erholte sich rasch, konnte aber fast eine Woche lang nicht zur Arbeit gehen.
Diane stand zu ihrem Wort. Sie begann, mich mindestens einmal im Monat anzurufen, meistens noch häufiger, oft spät Abends, wenn Simon am anderen Ende ihrer kleinen Wohnung schon schlief. Sie hatten ein paar Zimmer über einem Antiquariat in Tempe, das Äußerste, was sie sich leisten konnten von Dianes Gehalt und den unregelmäßigen Einkünften, die Simon vom Jordan Tabernacle nach Hause brachte. Bei warmem Wetter konnte ich im Hintergrund das Summen der primitiven Klimaanlage hören; im Winter lief das Radio leise mit, um das Geräusch ihrer Stimme zu tarnen.
Ich lud sie ein, anlässlich der nächsten Startserie wieder nach Florida zu kommen, aber das konnte sie natürlich nicht einrichten: sie musste arbeiten, sie hatten am Wochenende Freunde von der Kirche zu Gast, Simon würde kein Verständnis dafür haben. »Simon macht eine kleine spirituelle Krise durch. Er versucht mit dem Messias-Problem klarzukommen.«
»Es gibt ein Messias-Problem?«
»Du solltest mal in die Zeitungen gucken«, sagte Diane, die offenbar eine etwas unrealistische Vorstellung davon hatte, inwieweit solche religiösen Streitfragen Thema in der kommerziellen Presse wurden, jedenfalls in Florida; drüben im Westen mochte es anders sein. »Die alte NK-Bewegung glaubte an eine Parusie ohne Christus. Das hat uns von den anderen abgehoben.« Das, dachte ich, und ihre Vorliebe für öffentliche Nacktheit. »Die frühen Autoren, Ratel und Greengage, sahen im Spin eine direkte Erfüllung der biblischen Prophezeiung — und das hieß, dass die Prophezeiung selbst neu definiert, von den historischen Ereignissen neu konfiguriert wurde. Es musste keine Trübsalszeit im wörtlichen Sinne mehr geben und nicht einmal eine physische Wiederkunft Christi. Das ganze Zeug in den Briefen an die Thessalonicher, an die Korinther und im Buch der Offenbarung konnte neu interpretiert oder ignoriert werden, denn der Spin war ein echter Eingriff Gottes in die Geschichte der Menschheit — ein greifbares Wunder, das Vorrang gegenüber der Schrift hat. So war uns die Freiheit gegeben, das Königreich auf Erden zu schaffen. Plötzlich waren wir selbst für unseren Chiliasmus verantwortlich.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann.« Tatsächlich hatte ich, seit das Wort »Parusie« gefallen war, mehr oder weniger nur noch Bahnhof verstanden.
»Es bedeutet — na ja, wichtig ist eigentlich nur, dass Jordan Tabernacle, unsere kleine Kirche, jeglicher NK-Doktrin offiziell abgeschworen hat, obwohl die Gemeinde zur Hälfte aus ehemaligen NK-Leuten wie Simon und mir besteht. Plötzlich gibt es also diesen ganzen Streit über die Trübsalszeit und darüber, wie sich der Spin zur biblischen Prophezeiung verhält. Und die Leute schlagen sich auf diese oder jene Seite. Bereaner gegen Progressive, Covenanter gegen Preteristen. Gibt es einen Antichrist, und wenn ja, wo ist er? Erfolgt die Entrückung vor der Trübsalszeit, währenddessen oder danach? Solche Themen. Vielleicht klingt es banal, aber die spirituellen Einsätze sind hoch und die Leute, die in diese Diskussionen verwickelt sind, stehen uns nahe, sind unsere Freunde.«
»Wo stehst du denn?«
»Ich persönlich?« Sie schwieg, und da war es wieder, das murmelnde Geräusch des Radios im Hintergrund, die Valiumstimme eines Sprechers, der die Spätnachrichten verlas: Neueste Informationen über die Schießerei in Mesa… Parusie ja oder nein. »Man könnte sagen, ich bin im Konflikt. Ich weiß nicht, was ich glaube. Manchmal vermisse ich die alten Zeiten. Das Paradies erfinden, während man das Leben lebt. Es scheint, als wäre…« Sie hielt inne. Jetzt war da noch eine andere Stimme, die das Murmeln des Radios verdoppelte: Diane? Bist du immer noch auf?
»Tut mir Leid«, flüsterte sie. Simon auf Kontrollgang. Es war Zeit, unser telefonisches Stelldichein, ihren Akt körperloser Untreue, abzubrechen. »Ich ruf dich bald wieder an.«
Sie legte auf, bevor ich mich verabschieden konnte.
Die zweite Serie Saatguttransporte ging so reibungslos vonstatten wie die erste. Wieder wurde Canaveral von den Medien belagert, aber diesmal verfolgte ich das Ereignis auf einer großen Digitalprojektion im Perihelion-Auditorium. Es war ein Start bei Sonnenschein, und er ließ die Reiher in den Himmel über Merritt Island flattern wie helles Konfetti.
Ein weiterer Sommer des Wartens. Die europäische Weltraumbehörde ESA platzierte eine Reihe orbitaler Teleskope und Interferometer im Weltraum, und im September waren sämtliche Büros bei Perihelion mit hochauflösenden Bildern unseres Erfolges tapeziert. Ich rahmte mir eines davon für das Wartezimmer: eine farbgenerierte Wiedergabe des Mars, ein Ausschnitt, der Olympus Mons als eisige Silhouette zeigte, durchschnitten von frischen Entwässerungskanälen; Nebel, der wie Wasser durch Valles Marineris floss, grüne Kapillaren, die sich über Solis Lacus schlängelten. Das südliche Hochland der Terra Strenum war immer noch Wüste, aber die Krater dieser Region waren unter dem Einfluss eines feuchteren, windigeren Klimas fast bis zur Unsichtbarkeit erodiert.
Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre schwankte einige Monate lang, weil die Population der aeroben Organismen mal wuchs, mal wieder schrumpfte, aber im Dezember hatte er zwanzig Millibar überschritten und stabilisierte sich. Inmitten einer potenziell chaotischen Mischung von Treibhausgasen, eines instabilen hydrologischen Kreislaufs und neuartiger biogeochemischer Rückkopplungsschleifen entdeckte der Mars sein ureigenes Gleichgewicht.