Die Kleidung, die ich gestern getragen hatte, war gewaschen worden und lag zusammengelegt neben der Pritsche. Ich befand mich zwischen zwei Fieberattacken — ich hatte gelernt, diese kleinen Oasen des Wohlbefindens als solche zu erkennen — und war kräftig genug, mich anzuziehen.
Ich balancierte gerade auf einem Bein und bemühte mich, das andere in meine Hose einzufädeln, als Ibu Ina durch den Vorhang spähte. »Oh, Ihnen geht’s gut genug, dass Sie stehen können«, sagte sie.
Kurzzeitig. Ich sank, erst halb angezogen, zurück auf die Pritsche. Ina betrat das Zimmer mit einer Schüssel Reis, einem Löffel, einem emaillierten Blechbecher. Sie kniete sich neben mich und deutete mit den Augen auf das Holztablett: Ob ich irgendetwas davon haben wolle?
Ich stellte fest, dass das der Fall war. Zum ersten Mal seit vielen Tagen hatte ich Hunger. Meine Hose saß lächerlich locker, meine Rippen stachen obszön hervor. »Danke«, sagte ich.
»Wir sind uns letzte Nacht vorgestellt worden.« Sie reichte mir die Schüssel. »Können Sie sich daran erinnern? Ich muss mich für die primitive Art der Unterbringung entschuldigen. Dieser Raum dient eher der Tarnung als der Bequemlichkeit.«
Sie mochte fünfzig oder sechzig Jahre alt sein. Ihr Gesicht war rund und faltig, die Züge in einem Mond aus braunem Fleisch konzentriert, was ihr etwas Apfelpuppenhaftes verlieh, akzentuiert noch durch den langen schwarzen Rock und die weiße Haube. Hätten die Amish-Leute in Westsumatra gesiedelt, würden sie vielleicht so etwas wie Ibu Ina hervorgebracht haben.
Sie sprach englisch mit singendem indonesischen Akzent, aber ihre Ausdrucksweise war untadelig. »Sie sprechen unsere Sprache sehr gut«, sagte ich, das einzige Kompliment, das mir auf die Schnelle einfiel.
»Danke, ich habe in Cambridge studiert.«
»Englisch?«
»Medizin.«
Der Reis war etwas fade, aber gut. Ich zeigte demonstrativ guten Willen, ihn aufzuessen.
»Vielleicht später mehr?«, fragte sie.
»Ja, danke.«
Ibu war ein Ausdruck des Respekts in der Sprache der Minangkabau, verwendet bei der Anrede von Frauen (das männliche Gegenstück war Pak). Woraus folgte, dass Ina eine Minangkabau-Ärztin war und wir uns im Hochland von Sumatra befanden, vermutlich in unmittelbarer Nähe zum Mount Merapi. Alles, was ich über Inas Volk wusste, stammte aus dem Reiseführer über Sumatra, den ich auf dem Flug von Singapur hierher gelesen hatte: Es gab mehr als fünf Millionen Minangkabau, die in Dörfern und Städten des Hochlands lebten; viele der besten Restaurants in Padang wurden von Minangkabau betrieben; sie waren berühmt für ihre matrilineare Kultur, ihren Geschäftssinn und ihre Vermischung von Islam und traditionellen Adat-Gebräuchen.
Alles keine Erklärung dafür, was ich im Hinterzimmer der Praxis einer Minang-Ärztin zu suchen hatte.
»Schläft Diane noch? Ich verstehe nämlich nicht…«
»Ibu Diane hat den Bus zurück nach Padang genommen, fürchte ich. Aber Sie sind hier sicher.«
»Ich hatte gehofft, dass auch sie sicher sein würde.«
»Sie wäre hier natürlich sicherer als in der Stadt, ganz bestimmt. Aber das würde keinem von Ihnen aus Indonesien heraushelfen.«
»Wie haben Sie Diane kennen gelernt?«
Ina grinste. »Reine Glückssache — oder hauptsächlich Glück. Sie war gerade in Verhandlungen mit meinem Ex-Mann Jala, der, unter anderem, im Import-Export-Geschäft ist, als sich herausstellte, dass sich die New Reformasi ein bisschen allzusehr für sie interessierten. Ich arbeite ein paar Tage im Monat in einem staatlichen Krankenhaus in Padang und war entzückt, als Jala mich mit Diane bekannt machte, auch wenn er nur nach einem vorübergehenden Versteck für einen potenziellen Kunden gesucht hat. Es war so aufregend, der Schwester von Pak Jason Lawton zu begegnen!«
Das war in mehrerlei Hinsicht überraschend, wenn nicht erschreckend. »Sie haben von Jason gehört?«
»Gehört, ja — anders als Sie hatte ich nie die Ehre, mit ihm zu sprechen. Oh, aber wie begierig habe ich die Nachrichten über Jason Lawton in den frühen Tagen des Spins verfolgt! Und Sie waren sein Arzt. Und jetzt sind Sie hier im Hinterzimmer meiner Klinik!«
»Ich weiß nicht, ob Diane irgendetwas davon hätte erwähnen sollen.« Ich war mir absolut sicher, dass sie es besser nicht hätte tun sollen. Unser einziger Schutz war die Anonymität, und die war jetzt gefährdet.
Ibu Ina wirkte niedergeschlagen. »Natürlich wäre es besser gewesen, diesen Namen nicht zu erwähnen. Aber Ausländer mit rechtlichen Problemen sind in Padang gang und gäbe. Es gibt sogar einen ziemlich schrecklichen Ausdruck dafür: Dutzendware. Ausländer mit rechtlichen und gesundheitlichen Schwierigkeiten sind noch problematischer. Diane muss erfahren haben, dass Jala und ich große Bewunderer von Jason Lawton sind — es kann nur reine Verzweiflung gewesen sein, die sie bewogen hat, sich auf seinen Namen zu berufen. Und trotzdem mochte ich ihr nicht glauben, bis ich mir im Internet Fotografien angesehen habe. Ich nehme an, einer der Nachteile der Berühmtheit besteht darin, dass man ständig fotografiert wird. Jedenfalls war da ein Foto der Familie Lawton, aufgenommen in der Frühzeit des Spins, aber ich habe sie trotzdem erkannt: Sie hatte die Wahrheit gesagt! Und also musste es auch wahr sein, was sie mir über ihren kranken Freund erzählt hatte. Sie waren Arzt von Jason Lawton. Und natürlich von dem anderen, dem noch berühmteren…«
»Ja.«
»Dem kleinen schwarzen faltigen Mann.«
»Ja.«
»Von dessen Medizin Sie krank geworden sind.«
»Dessen Medizin mich aber auch wieder gesund machen wird, hoffe ich.«
»Genau wie bei Diane, so hat sie jedenfalls gesagt. Das finde ich interessant. Gibt es wirklich noch ein Stadium des Erwachsenseins jenseits des Erwachsenseins? Wie fühlen Sie sich?«
»Könnte besser sein, ehrlich gesagt.«
»Aber der Prozess ist noch nicht beendet.«
»Nein, der Prozess ist nicht beendet.«
»Dann sollten Sie sich ausruhen. Kann ich Ihnen irgendetwas bringen?«
»Ich hatte Schreibhefte, Papier…«
»In einem Bündel bei Ihrem anderen Gepäck. Ich werde es holen. Sind Sie nicht nur Arzt, sondern auch Schriftsteller?«
»Nur zeitweilig. Ich muss einfach ein paar Gedanken zu Papier bringen.«
»Vielleicht können Sie, wenn Sie sich besser fühlen, einige dieser Gedanken mit mir teilen.«
»Vielleicht. Es wäre mir eine Ehre.«
Sie erhob sich wieder. »Vor allem über den kleinen schwarzen faltigen Mann. Den Mann vom Mars.«
In den folgenden Tagen schlief ich unregelmäßig, war beim Erwachen verblüfft über die vergangene Zeit, die plötzlich angebrochene Nacht oder den unerwarteten Morgen, und orientierte mich, so gut ich konnte, an den Gebetsrufen, den Verkehrsgeräuschen und an der Versorgung durch Ibu Ina, die mir Reis mit Curryeiern brachte und mich gelegentlich mit einem Schwamm wusch. Wir unterhielten uns, aber das Gesprochene rann durch mein Gedächtnis wie Sand durch ein Sieb, und an ihrem Gesichtsausdruck sah ich, dass ich mich gelegentlich wiederholte oder Dinge nicht mehr wusste, die sie mir erzählt hatte. Helligkeit, dann Dunkelheit, Helligkeit, dann Dunkelheit, und dann, plötzlich, Diane neben Ina am Bett kniend. Beide sahen mich ernst an.
»Er ist wach«, sagte Ina. »Bitte entschuldigen Sie mich. Ich lasse Sie beide allein.«
Dann war nur noch Diane neben mir.
Sie trug eine weiße Bluse, einen weißen Schal über ihren dunklen Haaren, bauschige blaue Hosen. Von der Aufmachung her wäre sie in Padang nicht besonders aufgefallen, wenn sie auch zu groß und zu blass war, um wirklich als Einheimische durchzugehen. »Tyler.« Die Augen waren blau und groß. »Achtest du auch auf deine Flüssigkeitsaufnahme?«