»Sehe ich so schlimm aus?«
Sie streichelte meine Stirn. »Es ist nicht leicht, stimmt’s?«
»Ich habe nicht erwartet, dass es ohne Schmerzen abgeht.«
»Noch ein, zwei Wochen, dann ist es vorbei. Bis dahin…«
Sie musste nichts weitersagen. Das Medikament arbeitete sich tief ins Muskelgewebe, ins Nervengewebe vor.
»Das hier ist aber ein guter Ort. Wir haben Krampflöser, Schmerzmittel. Ina weiß, was los ist.« Sie lächelte schief. »Trotzdem… nicht unbedingt das, was wir geplant hatten.«
Unsere ursprünglichen Pläne waren auf Anonymität gegründet, jede der Bogen-Hafenstädte hätte für zahlungsfähige Amerikaner ein sicherer Ort zum Untertauchen sein sollen. Für Padang hatten wir uns nicht nur der Bequemlichkeit wegen entschieden — Sumatra war die am dichtesten beim Bogen gelegene Landmasse —, sondern auch wegen seines enorm schnellen wirtschaftlichen Wachstums und weil die jüngsten Probleme mit der New-Reformasi-Regierung in Jakarta die Stadt in eine für uns nützliche Anarchie gestürzt hatten. Ich würde die Drogenbehandlung in einem unauffälligen Hotel durchleiden, und wenn alles vorbei war — wenn ich buchstäblich generalüberholt war —, würden wir Plätze für die Überfahrt an einen Ort buchen, an dem uns kein Unheil erreichen konnte. So hatten wir es uns vorgestellt.
Womit wir nicht gerechnet hatten, das war die Rachsucht der Regierung Chaykin und ihre Entschlossenheit, an uns ein Exempel zu statuieren — sowohl für die Geheimnisse, die wir bewahrt, als auch für die, die wir bereits enthüllt hatten.
»Ich schätze, ich habe mich am falschen Ort ein bisschen zu auffällig benommen«, sagte Diane. »Ich hatte bei zwei verschiedenen Rantau-Kollektiven für uns gebucht, aber beide Abmachungen sind geplatzt, plötzlich wollten die Leute nicht mehr mit mir reden, und es war offensichtlich, dass wir viel zu viel Aufmerksamkeit erregten. Das Konsulat, die New Reformasi und die örtliche Polizei, alle haben sie unsere Beschreibung. Keine völlig präzise Beschreibung, aber nahe genug dran.«
»Und deshalb hast du diesen Leuten gesagt, wer wir sind.«
»Ich hab’s ihnen gesagt, weil sie es ohnehin schon vermutet hatten. Nicht Ibu Ina, aber mit Sicherheit Jala, ihr Ex. Das ist ein ganz gerissener Bursche. Er betreibt eine relativ respektable Reederei. Ein Großteil der Beton- und Palmölladungen, die durch den Hafen von Teluk Bayur gehen, machen dabei Station in dem einen oder anderen von Jalas Lagerhäusern. Das Rantau-gadang-Geschäft erzielt zwar weniger Gewinn, ist aber dafür steuerfrei, und diese Emigranten-Schiffe kommen auch nicht leer zurück. Außerdem hat er noch einen flotten Nebenerwerb mit Schwarzmarktrindern und -ziegen.«
»Klingt wie jemand, der uns ohne weiteres an die New Reformasi verkaufen würde.«
»Aber wir zahlen besser. Und bereiten ihm weniger Probleme mit den Gesetzen, solange wir nicht gefasst werden.«
»Was hält Ina davon?«
»Wovon? Dem Rantau gadang? Zwei ihrer Söhne und eine Tochter befinden sich in der Neuen Welt. Von Jala? Sie hält ihn für mehr oder weniger vertrauenswürdig — wenn man ihn kauft, dann bleibt er gekauft. Von uns? Sie glaubt, wir seien nicht weit vom Stand der Heiligkeit entfernt.«
»Wegen Wun Ngo Wen?«
»Hauptsächlich.«
»Was für ein Glück, dass du sie gefunden hast.«
»Es war nicht nur Glück.«
»Trotzdem sollten wir sehen, dass wir so bald wie möglich wegkommen.«
»Sobald es dir besser geht. Jala hat ein Schiff bereit. Die Capetown Maru. Das ist der Grund, warum ich zwischen hier und Padang hin- und hergependelt bin. Es gibt noch mehr Leute, die ich bezahlen muss.«
Aus Ausländern mit Geld verwandelten wir uns sehr schnell in Ausländer, die früher mal Geld hatten. »Trotzdem«, sagte ich, »ich wünschte…«
»Ja, was?« Sie strich mit einem Finger über meine Stirn, hin und her, ganz langsam.
»Ich wünschte, ich müsste nicht alleine schlafen.«
Sie lachte kurz auf und legte ihre Hand auf meine Brust. Auf meinen ausgemergelten Brustkorb, auf die noch immer hässliche Krokodilhaut. Nicht gerade eine Anregung für Intimes. »Es ist zu heiß zum Kuscheln.«
»Zu heiß?«
Ich hatte die ganze Zeit gezittert.
»Armer Tyler.«
Ich wollte ihr sagen, sie solle vorsichtig sein. Aber vorher machte ich noch kurz die Augen zu — und als ich sie wieder öffnete, war sie nicht mehr da.
Schlimmeres würde unvermeidlich folgen, aber tatsächlich fühlte ich mich in den nächsten Tagen viel besser — das Auge des Sturms, wie Diane es genannt hatte. Es war, als hätten die marsianische Substanz und mein Körper einen vorläufigen Waffenstillstand ausgehandelt, Gelegenheit für beide Seiten, sich für die Entscheidungsschlacht zu sammeln. Ich versuchte, mir die Atempause zunutze zu machen.
Ich aß alles, was Ina mir anbot, und von Zeit zu Zeit lief ich im Zimmer hin und her, um ein wenig Energie in meine dürren Beine zu leiten. Hätte ich mich kräftiger gefühlt, wäre mir diese Betonschachtel (in der medizinischer Bedarf aufbewahrt worden war, bevor Ina sich ein an die Klinik angrenzendes alarmgesichertes Lager hatte bauen lassen) vielleicht wie eine Gefängniszelle vorgekommen, unter den gegebenen Umständen war sie sogar beinahe gemütlich. Ich stapelte unsere Hartschalenkoffer in eine Ecke und verwendete sie, auf einer Schilfmatte sitzend, als eine Art Schreibtisch. Das hohe Fenster ließ ein bisschen Sonnenlicht ins Zimmer strömen.
Und es ließ auch einen einheimischen Schuljungen ins Zimmer blicken, dessen Augen ich bereits zweimal auf mich gerichtet gesehen hatte. Als ich Ina davon berichtete, nickte sie, verschwand kurz und kehrte wenig später mit dem Jungen im Schlepptau zurück. »Das ist En«, sagte sie und warf ihn mir, durch den Vorhang hindurch, praktisch in die Arme. »En ist zehn Jahre alt. Er ist sehr gescheit. Er möchte einmal Arzt werden. Außerdem ist er der Sohn meines Neffen. Unglücklicherweise ist er mit großer Neugier geschlagen, was manchmal zu Lasten der Vernunft geht. Er ist auf die Mülltonne geklettert, um zu sehen, was ich in meinem Hinterzimmer versteckt habe. Unverzeihlich. Entschuldige dich bei meinem Gast, En.«
En ließ den Kopf so tief hängen, dass ich Sorge hatte, seine riesige Brille würde ihm von der Nase rutschen. Er murmelte etwas vor sich hin.
»Auf Englisch«, sagte Ina.
»Sorry!«
»Nicht sehr elegant, aber inhaltlich korrekt. Vielleicht kann En etwas für Sie tun, Pak Tyler, um sein schlechtes Benehmen wieder gutzumachen?«
En war offensichtlich in der Bredouille. Ich versuchte, ihn daraus zu befreien. »Außer meine Privatsphäre zu achten, wüsste ich nichts.«
»Ganz bestimmt wird er Ihre Privatsphäre von nun an respektieren — nicht wahr, En?« En wand sich und nickte. »Außerdem habe ich eine Aufgabe für ihn. En kommt fast jeden Tag zur Klinik. Wenn ich nicht zu beschäftigt bin, zeige ich ihm ein paar Sachen. Das Schaubild der menschlichen Anatomie. Das Lackmuspapier, das im Essig seine Farbe verändert. En behauptet, dankbar zu sein für solche Gefälligkeiten.« Ens Nicken bekam einen beinahe spastischen Charakter. »Als Gegenleistung — und als eine Art Wiedergutmachung für seine grobe Missachtung der Budi-Gebote — wird En ab sofort als Beobachtungsposten für die Klinik dienen. En, weißt du, was das bedeutet?«
En hörte auf zu nicken und blickte argwöhnisch drein.
»Es bedeutet, dass deine Wachsamkeit und Neugier von nun an einem guten Zwecke dienen werden. Falls irgendjemand ins Dorf kommt und sich nach der Klinik erkundigt — jemand aus der Stadt, meine ich, vor allem, wenn er wie ein Polizist aussieht oder sich so benimmt —, wirst du sofort hergelaufen kommen und mir Bescheid sagen.«