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»Auch wenn ich gerade in der Schule bin?«

»Ich bezweifle, dass die New Reformasi euch in der Schule belästigen werden. Wenn du in der Schule bist, konzentrier dich auf den Unterricht. Ansonsten, auf der Straße, an einem Warung, wo auch immer, sobald du etwas siehst oder mithörst, was mich oder die Klinik oder Pak Tyler — von dem du nicht sprechen darfst — betrifft, kommst du sofort hierher. Hast du verstanden?«

»Ja«, erwiderte En und murmelte noch etwas, das ich nicht verstand.

»Nein«, sagte Ina schnell, »Zahlungen sind damit nicht verbunden. Was für eine beschämende Frage! Allerdings, falls ich zufrieden bin, könnten gewisse Vergünstigungen folgen. Im Augenblick bin ich ganz und gar nicht zufrieden.«

En sauste davon, und sein übergroßes weißes T-Shirt flatterte hinter ihm her.

In der Dunkelheit einer regnerischen Nacht wusch mich Ibu Ina, rieb und spülte einen Sumpf abgestorbener Haut von meinem Körper.

»Erzählen Sie mir etwas von ihnen, an das Sie sich erinnern. Erzählen Sie mir, wie es war, zusammen mit Diane und Jason Lawton aufzuwachsen.«

Ich dachte darüber nach. Oder besser gesagt, ich tauchte in den trüben Teich der Erinnerung, um dort etwas Geeignetes für sie zu finden, etwas, das nicht nur wahr, sondern auch irgendwie bezeichnend war. Ich bekam nicht genau das zu fassen, was ich wollte, aber es trieb doch etwas an die Oberfläche: ein sternenheller Himmel, ein Baum. Der Baum war eine Silberpappel, dunkel und geheimnisvoll. »Einmal sind wir zelten gefahren«, sagte ich. »Das war vor dem Spin, aber nicht lange.«

Es war angenehm, die tote Haut abspülen zu lassen, jedenfalls zuerst, denn die freigelegte neue Haut war extrem empfindlich. Die erste Berührung des Schwamms war lindernd, die zweite fühlte sich an wie Jod auf einer feinen Fleischwunde. Ina war sich dessen bewusst.

»Sie drei? Waren Sie nicht noch ein bisschen jung dafür, ein Zeltausflug, ich meine, nach den Gepflogenheiten dort, wo Sie herkommen? Oder sind Sie mit Ihren Eltern gefahren?«

»Nein. E. D. und Carol sind einmal im Jahr in die Ferien gefahren, zu den einschlägigen Urlaubsorten oder auf einem Kreuzschiff, vorzugsweise ohne Kinder.«

»Und Ihre Mutter?«

»Ist lieber zu Hause geblieben. Es war ein Ehepaar aus der gleichen Straße, das uns in die Adirondacks mitgenommen hat, zusammen mit ihren eigenen zwei Söhnen, Teenager, die nichts mit uns zu tun haben wollten.«

»Warum haben sie dann… oh, ich vermute, der Vater wollte sich bei E. D. Lawton einschmeicheln? Vielleicht, um ihn selbst um einen Gefallen bitten zu können?«

»So ungefähr. Ich habe nicht nachgefragt. Genauso wenig wie Jason. Diane mag es gewusst haben — sie hat auf solche Sachen geachtet.«

»Ist auch nicht so wichtig. Sie sind zu einem Zeltplatz in den Bergen gefahren? Jetzt mal auf die Seite drehen, bitte.«

»Einer von diesen Campingplätzen mit angeschlossenem Parkplatz. Nicht gerade unberührte Natur. Aber es war ein Wochenende im September und wir hatten das Gelände fast für uns. Wir haben die Zelte aufgebaut und ein Feuer angemacht. Die Erwachsenen…«Jetzt fiel mir auch ihr Name wieder ein. »Die Fitches haben Lieder gesungen, und wir mussten beim Refrain mitsingen. Offenbar hatten sie schöne Erinnerungen an die Sommerlager ihrer Jugend. Im Grunde war es ziemlich deprimierend. Die Fitch-Söhne fanden es total schrecklich und haben sich die ganze Zeit mit Kopfhörern in ihrem Zelt versteckt. Die Eltern haben dann irgendwann aufgegeben und sind zu Bett gegangen.«

»Und haben euch drei beim Lagerfeuer zurückgelassen. War es eine klare Nacht oder eine regnerische, wie heute?«

»Eine klare Frühherbstnacht.« Ganz bestimmt nicht wie die jetzige, mit ihrem Froschgequake und dem aufs dünne Dach hämmernden Regen. »Kein Mond, aber eine Menge Sterne. Nicht warm, aber auch nicht richtig kalt, obwohl wir ein ganzes Stück weit oben in den Bergen waren. Windig. So windig, dass man der Unterhaltung der Bäume lauschen konnte.«

Ina lächelte. »Die Unterhaltung der Bäume? Ja, ich weiß, wie das klingt. Und jetzt auf die linke Seite, bitte.«

»Der Ausflug war langweilig gewesen, aber jetzt, wo wir drei unter uns waren, wurde es besser. Jason holte eine Taschenlampe und wir gingen ein bisschen vom Feuer weg, zu einer Lichtung in einem Pappelhain, weg von den Autos und Zelten und Leuten, eine Stelle, wo der Hügel nach Westen hin abfiel. Jason zeigte uns, wie das Zodiakallicht am Himmel aufstieg.«

»Was ist das Zodiakallicht?«

»Sonnenlicht, das von Eispartikeln im Asteroidengürtel reflektiert wird. In sehr klaren, dunklen Nächten kann man es manchmal sehen.« Beziehungsweise konnte man, vor dem Spin. Gab es das Zodiakallicht immer noch, oder hatte der solare Druck das Eis weggefegt? »Es kam vom Horizont herauf wie Atem im Winter, weit entfernt, ganz zart und fein. Diane war fasziniert. Sie hörte zu, wie Jason es uns erklärte, und damals haben Jasons Erklärungen sie noch fasziniert — sie war dem noch nicht entwachsen. Sie liebte seine Intelligenz, liebte ihn für seine Intelligenz…«

»Genau wie Jasons Vater vielleicht? Auf den Bauch jetzt bitte.«

»Aber nicht auf diese besitzergreifende Weise. Es war das reine kulleräugige Entzücken.«

»Entschuldigung, kulleräugig?«

»Große Augen machen. Jedenfalls, dann wurde der Wind stärker und Jason richtete die Taschenlampe auf die Pappeln, damit Diane sehen konnte, wie die Zweige sich bewegten.« Und damit kehrte eine sehr lebendige Erinnerung an die junge Diane zurück: in einem Pullover, der mindestens eine Größe zu groß war, die Hände in Strickwolle vergraben, die Arme umeinander geschlungen, das Gesicht nach oben gerichtet und in den Augen die Spiegelung des Lichtkegels. »Er zeigte ihr, wie die großen Äste sozusagen in Zeitlupe schaukelten, während die Bewegung der Zweige viel schneller war. Das lag daran, dass jeder Ast und jeder Zweig eine Resonanzfrequenz besaß, wie Jason es nannte. Und diese Resonanzfrequenzen könne man sich als musikalische Noten vorstellen — die Bewegung des Baums im Wind sei eigentlich eine Musik, die das menschliche Ohr nur nicht wahrnehmen könne, der Baumstamm gebe den Bass vor, die Äste sängen die Tenorlinien und die Zweige spielten die Piccoloflöte. Oder man könne sie, sagte er, als reine Zahlen begreifen, jede einzelne Resonanz, vom Wind selbst bis zum Zittern eines Blattes, eine Berechnung innerhalb einer Berechnung innerhalb einer weiteren Berechnung.«

»Sie beschreiben das sehr schön.«

»Nicht halb so schön, wie Jason es beschrieben hat. Es war, als sei er in die Welt verliebt, jedenfalls in ihre Strukturen. Die Musik in ihr. Aua!«

»Entschuldigung. Und Diane war in Jason verliebt?«

»Verliebt darin, seine Schwester zu sein. Stolz auf ihn.«

»Und waren Sie darin verliebt, sein Freund zu sein?«

»Vermutlich.«

»Und verliebt in Diane.«

»Ja.«

»Und sie in Sie.«

»Vielleicht. Ich habe es gehofft.«

»Was, wenn ich fragen darf, ist dann schief gelaufen?«

»Wie kommen Sie darauf, dass irgendetwas schief gelaufen sei?«

»Sie sind offensichtlich noch immer verliebt. Sie beide, meine ich. Aber nicht so wie ein Mann und eine Frau, die seit vielen Jahren zusammen sind. Etwas muss Ihrem Zusammensein im Weg gewesen sein… Entschuldigen Sie, ich bin ganz furchtbar aufdringlich.«

Ja, etwas war uns im Weg gewesen. Vieles. Am augenfälligsten, nehme ich an, der Spin. Er hatte ihr so viel Angst gemacht, aus Gründen, die ich nie richtig begriffen hatte; als sei der Spin eine Herausforderung und eine Absage an alles, was ihr Sicherheit gab. Was gab ihr Sicherheit? Der ordentliche Gang des Lebens: Freunde, Familie, Arbeit — eine Art fundamentaler Verständigkeit in der Einrichtung der Welt, die im Großen Haus von E. D. und Carol Lawton bereits ziemlich prekär gewirkt haben muss, mehr ersehnt als wirklich gegeben.