Выбрать главу

Ich setzte mich und versuchte ihn nicht anzustarren, während Jason mir alles erklärte.

Hier folgt, was er sagte, ein bisschen vereinfacht und mit einigen Details angereichert, die ich später erfuhr.

Der Marsianer hatte seinen Planeten verlassen, kurz bevor sich die Spinmembran um diesen gelegt hatte.

Wun Ngo Wen war Historiker und Linguist, relativ jung für marsianische Verhältnisse — fünfundfünfzig terrestrische Jahre — und körperlich gut in Schuss. Er war Gelehrter von Beruf, leistete zudem zwischen zwei Aufträgen freiwillige Arbeit für landwirtschaftliche Kooperativen und hatte gerade einen Monat am Delta des Kirioloj verbracht, in der Gegend, die wir als das Argyre-Planitia-Einschlagbecken bezeichneten und von den Marsianern die Baryalische Ebene (Epu Baryal) genannt wurde, als der Einsatzbefehl ihn ereilte.

Wie tausende von anderen Männern und Frauen seines Alters und seiner Klasse, hatte Wun seine Zeugnisse den Ausschüssen überantwortet, die eine projektierte Reise zur Erde planten und koordinierten, ohne aber im Ernst damit zu rechnen, dass er dafür ausgewählt werden würde. Er war eigentlich sogar von Natur aus eher zurückhaltend und hatte sich bisher, abgesehen von Dienstreisen und Familientreffen, kaum aus seiner eigenen Präfektur herausgewagt. Er war überaus bestürzt, als sein Name aufgerufen wurde, und wäre er nicht erst kürzlich in sein Viertes Lebensalter eingetreten, hätte er sich dem Ansinnen möglicherweise verweigert. Mit Sicherheit wären doch wohl andere für diese Aufgabe besser geeignet? Aber nein, offenbar nicht; seine Begabungen und sein Lebensweg entsprächen den Anforderungen in einzigartiger Weise, versicherten die Behörden, und so regelte er seine Angelegenheiten (sofern es etwas zu regeln gab) und bestieg einen Zug zum Startkomplex in Basalt-Trocken (auf unseren Karten: Tharsis), wo er in die Aufgabe eingewiesen wurde, die Fünf Republiken auf einer diplomatischen Mission zur Erde zu repräsentieren.

Die marsianische Technologie hatte sich erst seit kurzem dem Projekt der bemannten Raumfahrt zugewandt. In der Vergangenheit hatten die regierenden Räte darin ein ausgesprochen riskantes Abenteuer gesehen, mit dem man nur Gefahr lief, die Aufmerksamkeit der Hypothetischen zu erregen und wichtige Ressourcen zu vergeuden, denn es würde einen aufwendigen Produktionsprozess erfordern, der zudem nicht vorgesehene Substanzen in eine akribisch regulierte und sehr empfindliche Biosphäre entlassen würde. Die Marsianer waren von Natur aus Konservierende, Hortende. Ihre kleinteilige, biologisch ausgerichtete Technologie war alt und ausgereift, der industrielle Sektor jedoch schmal und durch die unbemannten Forschungsflüge zu den winzigen, völlig nutzlosen Monden des Planeten schon gehörig strapaziert.

Aber seit Jahrhunderten hatten sie die spinumhüllte Erde beobachtet und allerlei Spekulationen angestellt. Sie wussten, dass der dunkle Planet die Wiege der Menschheit war, und Teleskop-Bilder sowie die aus einem verspätet angekommenen NEP-Schiff geborgenen Daten lehrten sie, dass die umgebende Membran durchlässig war. Sie begriffen die temporale Natur des Spins, nicht aber die Mechanismen, die ihn erzeugten. Eine Reise vom Mars zur Erde, so ihre Überlegung, wäre zwar physisch möglich, aber schwierig und unpraktisch. Schließlich befand sich die Erde in einem praktisch statischen Zustand; ein in die terrestrische Dunkelheit geworfener Kundschafter würde dort für Jahrtausende festgehalten, auch wenn er, nach eigener Zeitrechnung, schon am Tag darauf wieder aufbräche.

Nun war es aber so, dass aufmerksame Astronomen kürzlich kastenartige Strukturen entdeckt hatten, die sich in aller Stille hunderte von Kilometern über den marsianischen Polen bildeten — Artefakte der Hypothetischen, nahezu identisch mit denen, die man von der Erde her kannte. Nach einhunderttausend Jahren der Abgeschiedenheit hatte der Mars schließlich doch die Aufmerksamkeit der gesichtslosen, omnipotenten Wesen erregt, mit denen er sich das Sonnensystem teilte, und die Schlussfolgerung — dass der Mars bald eine eigene Spinmembran bekommen würde — war unausweichlich. Starke gesellschaftliche Kräfte plädierten für eine Kontaktaufnahme mit der verhüllten Erde. Die knappen Ressourcen wurden auf dieses Ziel hin konzentriert. Ein Raumschiff wurde entworfen und montiert. Und Wun Ngo Wen, ein Gelehrter, der umfassende Kenntnisse von den noch vorhandenen Bruchstücken der terrestrischen Geschichte und Sprache besaß, wurde verpflichtet, die Reise anzutreten — zu seinem Kummer.

Wun Ngo Wen fand sich, während er seinen Körper auf die Beengtheit und die Entkräftigung der langen Reise durch den Raum und die Härten der hohen Schwerkraft auf der Erde vorbereitete, mit der Wahrscheinlichkeit des eigenen Todes ab. Er hatte seine Familie fast vollständig beim Kirioloj-Hochwasser vor drei Sommern verloren — ein Grund, warum er sich überhaupt als Freiwilliger hatte registrieren lassen, und ein Grund, warum er ausgewählt worden war; für ihn war das Risiko des Todes leichter zu tragen als für die meisten anderen. Trotzdem konnte man nicht behaupten, dass er dem Tod freudig entgegensah, vielmehr hoffte er, ihm ein Schnippchen schlagen zu können. Er trainierte hart. Er machte sich mit den Feinheiten und Eigenarten seines Schiffes vertraut. Und falls die Hypothetischen den Mars tatsächlich in ihre Arme schlossen — nicht dass er sich so etwas erhofft hätte —, bedeutete das, dass sich ihm sogar die Chance auf eine Rückkehr eröffnete, und zwar nicht auf einen Planeten, der ihm in Millionen von Jahren fremd geworden war, sondern in sein vertrautes, gegen die Erosion der Zeit konserviertes Zuhause mit allen Erinnerungen und Verlusten.

Obwohl natürlich nicht mit einer Rückkehr gerechnet wurde. Wuns Schiff war auf eine Einzelfahrt ausgerichtet. Falls er tatsächlich je zum Mars zurückkehren sollte, dann nur mit Hilfe der Erdbewohner, die, so glaubte Wun jedenfalls, extrem großzügig würden sein müssen, um ihn mit einer Rückfahrkarte auszustatten.

Und so hatte er seinen, wie zu vermuten stand, letzten Blick auf den Mars — das windgepeitschte Flachland von Basalt-Trocken, Odos on Epu-Epia — ordentlich ausgekostet, bevor er in die Flugkammer der vergleichsweise primitiven vielstufigen Eisen-und-Keramik-Rakete eingeschlossen wurde, die ihn ins All hinaustrug.

Den Großteil der Reise verbrachte er in einem Zustand medikamentös herbeigeführter Stoffwechselträgheit, dennoch war es eine aufreibende Geduldsprobe. Die marsianische Spinmembran wurde in Stellung gebracht, während er unterwegs war, und so war Wun für den Rest des Fluges isoliert, durch die zeitliche Diskontinuität von beiden menschlichen Welten abgeschnitten: der vor ihm und der hinter ihm. Der Tod mochte schrecklich sein, aber konnte er sich wesentlich von diesem Ruhiggestelltsein unterscheiden, dieser drückenden Verwahrung in einer winzigen Maschine, die endlos durch ein unmenschliches Vakuum stürzte?

Die Stunden geistiger Klarheit nahmen ab. Er suchte Zuflucht in Tagträumen und erzwungenem Schlaf.

Sein Schiff, in vielerlei Hinsicht primitiv, aber mit ausgefeilten und halbintelligenten Steuerungsgeräten ausgestattet, verbrauchte den Großteil seiner Treibstoffreserven beim Eintritt in die hohe Umlaufbahn um die Erde. Der Planet unter ihm war ein schwarzes Nichts, sein Mond eine große Scheibe. Mikroskopische Sonden nahmen Proben aus der Erdatmosphäre, generierten rotverschobene Entfernungsmessungen, bevor sie im Spin verschwanden, gerade genug Daten, um einen Eintrittswinkel zu errechnen. Das Schiff war mit einer stattlichen Reihe von aerodynamischen Bremsen und gezielt einsetzbaren Fallschirmen ausgerüstet, und mit ein bisschen Glück würde es ihn durch die dichte und turbulente Luft zur Oberfläche des gewaltigen Planeten tragen, ohne dass er geröstet wurde oder es ihn zerschmetterte. Aber es kam eben sehr viel aufs Glück an. Zu viel, wie Wun fand. Er stieg in ein Fass mit schützendem Gel und leitete den endgültigen Abstieg ein, ganz und gar darauf gefasst, zu sterben.