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»Das ist keine Entscheidung, die man unter Druck treffen sollte.«

»Ich wollte nicht andeuten, dass er mich unter Druck setzt. Leg es in Gottes Hände, sagt er. Leg es in Gottes Hände, und es wird gut werden.«

»Aber du bist zu klug, um das zu glauben.«

»Bin ich das? O Tyler, ich hoffe nicht. Ich hoffe wirklich, dass ich das nicht bin.«

Molly hingegen hatte keine Verwendung für »diesen ganzen Gott-Mist«, wie sie es nannte. Jeder ist seines Glückes Schmied, war ihre Philosophie. Vor allem, wenn die Welt in die Binsen gehe und keiner von uns älter als fünfzig werden würde. »Ich habe nicht die Absicht, bis dahin auf den Knien herumzurutschen.«

Sie war von Natur aus zäh. Sie kam aus einer Familie von Milchbauern, die einen zehnjährigen Rechtsstreit geführt hatte wegen eines Projekts zur Ölförderung aus Teersand, das an ihr Land grenzte und es langsam vergiftete. Im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung tauschten sie am Ende ihr Land gegen eine Abfindung, die groß genug war, um für einen sorgenfreien Ruhestand und eine anständige Ausbildung der Tochter aufzukommen. Trotzdem war es eine dieser Erfahrungen, so Molly, bei denen »selbst ein Engelsarsch Ausschlag kriegen würde«.

Was die gesellschaftlichen Entwicklungen betraf, konnte sie kaum etwas überraschen. Eines Abends saßen wir vor dem Fernseher und sahen einen Bericht über die Unruhen in Stockholm: Eine aus Kabeljaufischern und religiösen Fanatikern zusammengesetzte Menge warf Fenster ein und setzte Autos in Brand; Polizeihubschrauber beschossen den Mob mit klebrigem Gel, bis große Teile von Gamla Stan aussahen wie etwas, was ein Godzilla mit Tuberkulose ausgehustet haben könnte. Ich machte eine alberne Bemerkung darüber, wie schlecht sich die Leute benehmen würden, wenn sie Angst hätten, und Molly sagte: »Na komm, Tyler, hast du ernsthaft Verständnis für diese Arschlöcher?«

»Das hab ich nicht gesagt, Moll.«

»Wegen des Spins kriegen sie grünes Licht, ihr Parlamentsgebäude in Schutt und Asche zu legen. Warum? Weil sie Angst haben

»Es ist keine Entschuldigung. Es ist ein Motiv. Sie haben keine Zukunft. Sie glauben, sie haben nicht mehr lange zu leben.«

»Tja, willkommen im Klub. Wie originell. Sie müssen sterben, du musst sterben, ich muss sterben — wann wäre es je anders gewesen?«

»Nun, früher hatten wir den Trost, zu wissen, dass die menschliche Spezies auch ohne uns fortbestehen würde.«

»Aber Spezies sind auch sterblich. Geändert hat sich nur, dass dieses Ereignis nicht mehr in ferner nebliger Zukunft liegt. Gut möglich, dass wir alle zusammen in ein paar Jahren auf irgendeine spektakuläre Weise sterben werden — aber selbst das ist nur eine Möglichkeit. Könnte auch sein, dass die Hypothetischen uns noch ein bisschen länger leben lassen. Aus welchen Gründen auch immer.«

»Und das macht dir keine Angst?«

»Doch, natürlich. Das alles macht mir Angst. Aber das ist kein Grund, auf die Straße zu gehen und Leute umzubringen.« Sie deutete auf den Fernseher — jemand hatte eine Granate auf den Riksdag abgefeuert. »Das ist so überwältigend dumm. Es bewirkt gar nichts. Ein reines Abreagieren der Hormone. Auf dem Niveau von Affen.«

»Du kannst nicht so tun, als würde es dich nicht berühren.«

Sie überraschte mich dadurch, dass sie lachte. »Nein, das ist dein Stil, nicht meiner.«

»Ach ja?«

Sie wandte sich ab, kam dann aber wieder und sah mich fast trotzig an. »Du tust doch immer so cool, was den Spin angeht. Genau wie du cool tust, wenn es um die Lawtons geht. Sie benutzen dich, sie ignorieren dich, und du lächelst, als sei das die natürliche Ordnung der Dinge.« Sie wartete auf eine Reaktion. Ich war zu störrisch, ihr damit zu dienen. »Ich finde einfach, dass es bessere Möglichkeiten gibt, sich ins Ende der Welt zu ergeben.«

Sie wollte aber nicht sagen, was für Möglichkeiten das waren.

Jeder, der bei Perihelion arbeitete, hatte bei der Einstellung eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichnet, und wir alle waren einer gründlichen Überprüfung durch das Heimatschutzministerium unterzogen worden. Wir waren diskret und sahen ein, dass Interna welcher Art auch immer nicht nach draußen sickern durften. Indiskretionen konnten parlamentarische Ausschüsse beunruhigen, mächtige Freunde in Verlegenheit bringen, Geldgeber abschrecken.

Aber jetzt hatten wir einen Marsianer im Gebäude — weite Teile des Nordflügels waren in eine vorübergehende Unterkunft für Wun Ngo Wen und seine Helfer umgewandelt worden —, und das war ein nur schwer zu hütendes Geheimnis.

Viel länger konnte es jedenfalls nicht mehr gewahrt werden. Als Wun in Florida eintraf, waren etliche Angehörige der Washingtoner Elite und einige ausländische Staatsoberhäupter bereits über ihn informiert. Das Außenministerium hatte ihm ad hoc vollen rechtlichen Status gewährt und beabsichtigte, ihn zum geeigneten Zeitpunkt auf internationaler Ebene vorzustellen. Seine Helfer waren schon dabei, ihn für den unvermeidlichen Medienaufruhr zu trainieren.

Das alles hätte anders gehandhabt werden können und vielleicht sogar sollen. Man hätte ihn den Vereinten Nationen überantworten und seine Anwesenheit sofort bekannt machen können. Die Regierung Garland musste mit scharfem Protest rechnen, weil sie ihn versteckt gehalten hatte. Die Christlich-Konservative Partei streute bereits Andeutungen, wonach »die Regierung über das Ergebnis des Terraformungprojekts mehr weiß, als sie zu erkennen gibt«, in der Hoffnung, damit den Präsidenten aus der Reserve zu locken oder Lomax, seinen designierten Nachfolger, der Kritik auszuliefern. Kritik würde es unvermeidlich geben, aber Wun hatte seinen Wunsch bekundet, nicht zum Wahlkampfthema zu werden. Er wolle sich der Öffentlichkeit stellen, sagte er, doch er werde damit bis zum November warten.

Wun Ngo Wens Existenz war allerdings nur das auffälligste der mit seiner Ankunft verbundenen Geheimnisse. Es gab noch andere. Und daraus entwickelte sich ein seltsamer Sommer bei Perihelion.

Jason bestellte mich im August in den Nordflügel. Ich traf ihn in seinem Büro — seinem wirklichen Büro, nicht der geschmackvoll eingerichteten Suite, in der er offizielle Gäste und die Presse begrüßte —, einem fensterlosen Würfel mit einem Schreibtisch und einem Sofa. Wie er so in Jeans und Sweatshirt auf seinem Stuhl hockte, rings um ihn Stapel wissenschaftlicher Zeitschriften, sah er aus, als sei er aus dem ganzen Durcheinander herausgewachsen wie eine hydroponische Gemüsesorte. Er schwitzte. Kein gutes Zeichen bei Jason.

»Ich verliere wieder meine Beine«, sagte er.

Ich räumte ein bisschen Platz auf dem Sofa frei, setzte mich und wartete auf nähere Einzelheiten.

»Ein paar Wochen lang habe ich kleine Anfälle gehabt. Das Übliche. Nichts, was man nicht überspielen könnte. Aber es geht nicht weg. Es wird sogar schlimmer. Vielleicht müssen wir die Medikation anpassen.«

Vielleicht. Doch eigentlich gefiel es mir nicht, was die Medikamente in letzter Zeit mit ihm angestellt hatten. Jason nahm inzwischen täglich eine Hand voll von Pillen ein: Myelinaufbauer, um den Verlust von Nervengewebe zu verlangsamen, neurologische Anreger, die dem Gehirn helfen sollten, beschädigte Regionen neu zu vernetzen, und Sekundärmedikation gegen die Nebenwirkungen der Primärmedikation. Konnten wir die Dosis erhöhen? Möglicherweise. Doch das Verfahren hatte eine Toxizitätsgrenze, die schon jetzt bedenklich nahe gerückt war. Er hatte nicht nur einiges an Gewicht verloren, auch etwas womöglich noch Wichtigeres schien vom Verlust bedroht: ein gewisses emotionales Gleichgewicht. Jason redete schneller und lächelte seltener. Während er früher vollkommen in seinem Körper zu ruhen schien, bewegte er sich nun wie eine Marionette — wenn er etwa nach einem Becher griff, schoss seine Hand übers Ziel hinaus und musste behutsam zurückgesteuert werden.